Autorenbeitrag: Raus aus der digitalen Komfortzone – mehr Begegnungen wagen

Ja, Deutschland braucht mehr Digitalisierung. Und ja, digitale PR mit Fokus auf Effizienz, Daten-Optimierung und Algorithmen ist faszinierend und sollte stetig weiterentwickelt werden, keine Frage. Doch gleichzeitig ist es höchste Zeit für eine Renaissance der persönlichen Begegnung und des sozialen Kontakts. Es gilt: das eine tun, ohne das andere zu lassen. Wir dürfen uns nicht verlieren.
Der ehemalige Vorstand Kommunikation und Public Affairs der Renault Deutschland AG, der im Oktober eine eigene Kommunikationsberatung gegründet hat, plädiert in seinem Beitrag für das „PR-Journal“ für mehr persönliche Begegnungen.

Martin Zimmermann

Neulich beim „Automobilwoche“-Kongress in Berlin. Christian Hort, verantwortlich für das Automotive-Geschäft von T-Systems, hält einen klugen Vortrag zur rasanten Digitalisierung des Ökosystems Auto. Vor allem eine Aussage lässt mich aufhorchen: Entscheidend für das Gelingen der Digitalisierung der Mobilität auf vier Rädern, so Hort, seien Kollaboration und Vertrauen ins System. Erfolgsfaktoren: 70 Prozent People, 30 Prozent Technik. Vertrauen, Menschen, Erfolg – hier spricht kein HR-Manager, sondern ein hochrangiger Vertreter der IT-Branche. Auch deshalb fand ich Horts Vortrag klug.

Natürlich: Die Digitalisierung ist großartig. Sie macht unsere Kommunikation effizient, schnell und einfach. Corona und Kostendruck haben das Digitale auch in der PR beschleunigt. Diese Entwicklung wird weitergehen und sie muss weitergehen. Dennoch sollten wir achtgeben, unseren kommunikativen Fokus nicht zu sehr auf das Digitale zu verengen. Meine Beobachtung ist, dass – nicht durchgängig aber immer öfter – der Wert des menschlichen Miteinanders mitunter zu kurz kommt in der Digi-Offensive dieser Tage - auch in unserer Profession.

Klar, wozu rausgehen und das Gespräch suchen, wo doch die E-Message und das world wide web die nahezu grenzenlose Kommunikation mit Journalisten, mit Kollegen, Mitarbeitenden, Kunden und mit Stakeholdern in aller Welt ermöglichen. Doch wo liegt das Ende dieser Entwicklung? Eine Art Kommunikations-Metaverse? Für mich eine Horrorvorstellung.

Wir müssen aufpassen, dass der persönliche Kontakt nicht unter die Räder gerät. Kein Erfolg ohne Vertrauen. Vertrauen entsteht im Miteinander, auch und gerade im persönlichen. Das sieht sogar Slack-Gründer Stewart Butterfield so, im aktuellen „Focus“-Interview sagt er: „Dennoch ist gemeinsame Zeit wichtig, um Vertrauen aufzubauen.“

Ein zu einseitiger Digital-Fokus kann uns träge machen. Träge in Bezug auf unsere Fähigkeiten, face-to-face zu kommunizieren und einen deep-dive-talk mit unserem Gegenüber zu führen. Und Trägheit ist das Wenigste, was wir brauchen in unseren Zeiten. Deshalb: Wagen wir wieder mehr den Blick über den eigenen Bildschirm, trauen wir uns raus aus unserer eigenen Welt am immer leistungsfähigeren Rechner.

Wir brauchen mehr Mut, uns wieder physisch zu begegnen. Das gilt explizit nicht nur mit Blick auf die hoffentlich sehr nahe Nach-Corona-Zeit. Gerade wir, die wir Kommunikation mit Leidenschaft betreiben, sollten hier wieder mehr in die Offensive gehen. Mut zur Nähe zahlt sich aus – in Vertrauen, tieferer Kommunikation, mehr Wertschätzung, mehr Qualität und guten Geschichten.

„Geht’s raus und spielt Fußball“. Mit dieser Aufforderung führte Franz Beckenbauer die deutsche Mannschaft 1990 zum Weltmeistertitel. Ich sage: Geht’s raus und sprecht miteinander, kommuniziert auf Augenhöhe, erzählt Eure Story – extern und intern. Und suchen wir auch im Job wieder mehr die Nähe zu anderen Kolleginnen und Kollegen, zu den Chefinnen und Chefs, auch zu Dienstleistern. Das ist mitunter aufwändig, benötigt Zeit und kostet Geld. Aber es lohnt sich. Das Ergebnis ist eine bessere Kommunikation. Wer, wenn nicht wir Kommunikatoren sollten hier die Frontrunner sein?

Gute Geschichten entstehen in realen Begegnungen. Karl Deisseroth, Professor für Bioengineering und Psychiatrie in Stanford, sagte dazu vor einigen Monaten im „stern“: „Unsere Fähigkeit, ein ehrliches und geistreiches Gespräch mit anderen Menschen zu führen – das ist es, was uns Menschen im Kern ausmacht.“

Und ich sage: für ein Unternehmen sind regelmäßige Begegnungen der Mitarbeitenden der Kleber, der alles zusammenhält. Mobile Office ist super, aber wer nur noch mobil arbeitet, wird austauschbar. Wir Kommunikatorinnen und Kommunikatoren wissen, wie sehr es auf die Feinheiten ankommt, damit die Botschaft auch beim Empfänger ankommt und verstanden wird. Deshalb: nehmen wir den Fuß von der Bremse und schalten schnellstmöglich wieder einen Gang hoch beim beim persönlichen Miteinander. Damit meine ich explizit nicht die Wiederkehr endloser, sinnfreier Meetings.

Treffen wir die Medienschaffenden, die Kolleginnen und Kollegen, unsere Chefs, ja unser gesamtes beruflichen Beziehungsgeflecht. Das ist der Treibstoff für gelungene Kommunikation auch über die Algorithmen hinaus. Raus aus der digitalen Komfortzone, rein ins Vergnügen der guten Gesprächskultur und des vertraulichen Austausches. Ob Kongresse, Hintergrundgespräche, Pressekonferenzen, Mitarbeiter-Events, Branchentreffs oder auch lebendige Messen - Plattformen gibt’s genug. Nutzen wir sie!

Über den Autor: Martin Zimmermann, ehemaliger Vorstand Kommunikation und Public Affairs der Renault Deutschland AG, hat sich mit einer Kommunikationsberatung im Oktober 2022 selbständig gemacht. Unter dem Label „Martin Zimmermann Kommunikation“ möchte er Unternehmen und Persönlichkeiten mit kommunikativem Rat und pragmatischer Tat unterstützen. Branchenschwerpunkt ist der Sektor Automobil und Mobilität.

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Personalien

Birgit Höss steigt bei Bora weiter auf

Birgit HössBirgit Höss (Foto © privat) leitet seit April den Bereich Global PR & Media Relations bei Bora in Tirol. Sie ist bereits seit Anfang 2021 für den Hersteller von Kücheneinbaugeräten tätig, zuletzt als Team Lead Marketing Kommunikation. Zuvor war sie unter anderem Head of Marketing bei der IT-Firma Projekt Pro und Head of Marketing & Communications bei Hawe Mattro.

Agenturen

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Screenshot Website Schwartz PRDie Münchner Agentur Schwartz Public Relations, die ihren Schwerpunkt im Bereich Technologie und Digitalisierung hat, ist bei den SABRE Awards 2024 erneut unter den „Best Agencies to Work for“. Die Agentur mit Gründer und Geschäftsführer Christoph Schwartz an der Spitze sieht sich durch die neuesten Auszeichnungen erneut in ihrem Engagement für ein exzellentes Arbeitsumfeld bestätigen.

Unternehmen

Zwei deutsche Unternehmen unter den Top 100

Deckblatt des PwC Global Top 100 RankingNach einem schwierigen Jahr 2023 haben die 100 wertvollsten Unternehmen der Welt laut dem jährlichen „Global Top 100“-Ranking von PwC wieder ein neues Allzeithoch erreicht. Mit einer Gesamtmarktkapitalisierung von 39,9 Billionen US-Dollar zum 31. März 2024 übertrafen sie ihren bisherigen Spitzenwert aus dem Jahr 2022 von 35 Billionen US-Dollar. Deutschland landet im Länderranking auf Platz 13.

Verbände

DPRG und GPRA bündeln Kompetenzen

Ulf Mehner und Alexandra GroßWirtschaft und Gesellschaft stehen vor zahlreichen Transformationsprojekten: Energiewende, Mobilitätswende, Industrie-Umbau. Für den Erfolg sind Verständnis und Akzeptanz in der Bevölkerung entscheidend. Dafür bedarf es transparenter und professioneller Kommunikation auf Basis verbindlicher und nachvollziehbarer Qualitätskriterien und -standards. Die werden jetzt gemeinsam mit DPRG und GPRA erarbeitet.

Branche

Die Krise als Normalfall – Gastvortrag von Uwe Kohrs

GruppenbildWo findet die PR-Branche junge Nachwuchstalente? Sie sitzen an einem Freitagnachmittag in einem Vorlesungssaal der Hochschule Darmstadt und führen einen spannenden Dialog mit Praktikern der Branche. Am 26. April besuchte PR-JOURNAL-Chefredakteur Thomas Dillmann den Kurs „Issues Management und Krisenkommunikation“ von Professor Markus Kiefer. Mit dabei hatte er Uwe Kohrs, einen Experten für Krisenkommunikation.

Das PR-Interview

KI-Pionierarbeit bei Bosch seit 2017

Michael SchmidtkeMichael Schmidtke ist VP Content Flow and Digital Channels bei Bosch. Beim Webinar der AG CommTech vom 23. April gab er einen tiefen Einblick in sieben Jahre Nutzung von KI in der Unternehmenskommunikation von Bosch. Im Vorgriff auf den nächsten „CommTech Newsletter“, der am 8. Mai erscheint, veröffentlicht das PR-JOURNAL ein Interview mit Michael Schmidtke, das mit Hilfe von KI-Tools auf Basis der Aussagen Schmidtkes im Webinar erstellt wurde.

Autoren-Beiträge

Rechtsextreme Kommunikation erkennen und bekämpfen

Felix Meyer-WykUnsere Vorstellung von Rechtsextremen beschränkt sich oft auf offensichtliche Verfassungsfeinde: Glatzen mit Springerstiefel oder „Ausländer raus“-Rufe. Keine Frage, diese Gruppen sind gefährlich. Deutlich unauffälliger, aber mindestens genauso gefährlich sind die Neuen Rechten. Für uns als Kommunikatorinnen und Kommunikatoren ist es wichtig, ihre Denkmuster und Strategien zu kennen, denn mit ihren Auftritten werden wir es vermehrt zu tun haben.

Rezensionen

Ein Buch für Kommunikationsstrategen

Buchcover Wirtschaft als KommunikationWie Unternehmen und Wirtschaft öffentlich werden, das war einmal in einem relativ einfachen Managementprozess organisierbar. Wissen bereitstellen, im Wesentlichen über Produkte und Dienstleistungen. Und dieses Wissen dann in einseitigen Informations-Prozessen an die relevanten Stakeholder verbreiten. Aber, das war einmal. Wirtschaft 1.0 könnte man das nennen. Heute hat sich dies grundlegend verschoben …

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Drei Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für ChemieJährlich kürt der Informationsdienst Wissenschaft (idw) aus 20.000 Pressemitteilungen, die von mehr als 1.000 wissenschaftlichen Einrichtungen über die idw-Website verbreitet werden, die besten ihrer Art. Nach dem Urteil der Jury haben im Jahr 2023 das Max-Planck-Institut für Chemie, die Universität des Saarlandes und das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie gewonnen.

Whitepaper

Erfolg der Kommunikation stichhaltig nachweisen

In der Unternehmenswelt stehen Kommunikatorinnen und Kommunikatoren oft vor der Herausforderung, ihre Erfolge anhand von Kennzahlen wie Reichweite, Tonalität oder Share of Voice zu messen. Diese Metriken sind in der Kommunikationsbranche gängig und bieten Einblicke in die Wirksamkeit von PR- und Marketingkampagnen. Allerdings entsprechen diese Metriken nicht unbedingt den Anforderungen des Managements, das primär an betriebswirtschaftlichen Kennzahlen wie Umsatz, Gewinn und Unternehmenswert interessiert ist. Diese Diskrepanz kann zu Missverständnissen führen und die Anerkennung der Kommunikationsarbeit durch das Management beeinträchtigen.