Diesen Kampf hat er sich gewiss nicht ausgesucht: Ein ukrainischer Panzersoldat, aufgenommen in Bachmut.

Foto: Serhii Nuzhenko/via REUTERS - aus: sueddeutsche.de

Es sind die Augen des Mannes, die den Betrachter nicht loslassen. Müde glühend schauen sie in die Kamera. Sie erzählen, was sie im urkrainischen Bachmut sehen: das Grauen des Stellungskrieges, dass die Seele verbrennt.
Letzte Woche stand die Filmcrew von „Im Westen nichts Neues“ stolz und gestriegelt auf der Bühne Hollywoods und nahm ihre verdienten Oskars in Empfang. Ihr Film öffnet die Tür einen Spalt, hinter der das Grauen des 1. Weltkriegs lauert. Der Zuschauer wird mitgenommen auf eine Reise vom nationalistischen Taumel in den Abgrund des Grabenkrieges. Der Film leistet das, was ein Kunstwerk leisten kann, aber der Krieg bleibt Fiktion.
Im Gesicht des jungen, unbekannten Panzersoldaten in Bachmut spiegelt sich die Wirklichkeit des Kampfes und die Rückkehr eines Albtraums nach Europa: der Alptraum des kriegerischen Nationalismus. Putins fiebrige Visionen eines Großrussland treffen auf den verbissenen Widerstandswillen eines Volkes, seines Präsidenten und seiner Verbündeten. Auch wenn klar ist, wer Angreifer und wer Verteidiger ist: Jeder Nationalismus ereifert sich, stilisiert Opfer, Leid und Zerstörung zu Heldentaten. Und doch bleiben am Ende nur Opfer, Leid und Zerstörung.

Der Fotograf Serhii Nuzhenko hat das Foto des ukrainischen Soldaten „geschossen“. Einen solchen Augenblick fängt man nur ein, wenn man sich selbst in Gefahr bringt, sich dem Leid und den Erfahrungen in der Kampfzone aussetzt:
„Wenn Dein Bild nicht gut genug ist, warst Du nicht nah genug dran.“ war das Mantra von Robert Capa, dem legendären Fotografen des 2.Weltkriegs und Mitbegründer der Agentur Magnum. Er selbst trat in Vietnam auf eine Mine.

„Wer den Krieg gesehen hat, weiß, dass er keine Sieger kennt.“ bekannte mir gegenüber einmal ein vietnamesischer Kameramann, der jahrelang im Dschungel gedreht hatte - Propaganda für den Vietcong im Kampf gegen die US-Armee. In seine Filmen gab es nur Sieger, in seinen Träumen nur Verzweiflung. Die Vietnamesen besiegten einen übermächtigen Feind - viele in der Ukraine werden von einem solchen Sieg träumen.
Auch der junge Mann im Panzer wird auf einen Sieg hoffen, aber für ihn wird es vor allem eine Ende des Schießens, Sterbens, Tötens bedeuten. Denn der Krieg, der ihn an den Steuerknüppel eines Tanks in Bachmut geführt hat, wird ihn nicht mehr loslassen. Das erzählen seine Augen und die vielen unerzählten Geschichten der Millionen Soldaten des letzten Jahrhunderts.

Dieser Krieg lehrt, dass die Droge des Nationalismus viele Menschen vereinnahmen kann - mit katastrophalem Ausgang. Aber nur selten sehen wir den Preis so deutlich, wie im Gesicht des jungen ukrainischen Panzerfahrers. Wir sehen oft nur feuerspeiende Geschütze, wuchtige Tanks, entschlossene Kommandanten in sichere Entfernung zur Schusslinie. Wir lesen von „Abnutzung“ und „Verheizen“. Unser mediales Bild vom Krieg ist so sauber, dass wir in Ruhe weiter über Wärmepumpen diskutieren können.
Die Stadt Bachmut ist zerstört, es wird nur noch um Ruinen gekämpft. Aber Bachmut ist zum Symbol geworden, das beiden Seiten viele Leben kostet. Zelensky entfaltete eine Fahne aus Bachmut im US-Kongress - damit wird jeder Rückzug zum Gesichtsverlust.

Wie auch immer der Kampf um die ostukrainische Stadt ausgeht, die Bilder der müden Gesichter und toten Häuser prägen sich in unser kollektives Gedächtnis ein. Machen wir uns ehrlich: Bachmut ist keine Netflix-Produktion.

Über den Autor:  Jost Listemann  -ist Inhaber der Videoproduktionsfirma Time:Code:Media GmbH in Berlin. Er berät globale Unternehmen und öffentliche Institutionen in ihrer visuellen Kommunikation. Gestartet als Politikwissenschaftler ist er seit 2000 in der PR-Branche als Filmproduzent tätig. An der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft leitet er die Ausbildung für visuelles Storytelling und Bewegtbild.


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