Hochwertigem Journalismus steht nicht nur die Gratiskultur des Internets im Weg, sondern auch die Fake-News-verseuchten – sozialen – Medien. Wir müssen uns unbedingt rückbesinnen.
Als die sozialen Medien noch in den Kinderschuhen steckten, erkannten viele ihr Potenzial als „Fünfte Gewalt”. Sie würde die Vierte Gewalt der Massenmedien ergänzen und bereichern. Beliebige Teilnehmer könnten zum politischen Diskurs beitragen und die gesellschaftliche Entwicklung positiv beeinflussen: Die hoffnungsvolle, idealisierte Sicht einer weltweiten basisdemokratischen Bewegung.
Wie naiv.

Social Media ist ubiquitär und basisdemokratisch geworden, das stimmt, aber nicht wie erwartet. Andere Kräfte als erhofft geben den Takt vor, die kaum Interesse an einem aufrechten – politischen – Diskurs haben. Vielmehr überfluten Entertainment und Egomanie, aber auch Verschwörungsmärchen, Hasstiraden und massenhaft Fake News die Kanäle und untergraben die Rolle der klassischen Medien, deren Bedeutung weiter schrumpfen wird.

Die Politik spielt die Fake-News-Karte genauso gewieft. Natürlich missbrauchen Diktaturen, Autokratien und Despoten – auch in Europa – die sozialen Medien für ihre Zwecke und bringen die klassischen Medien auf Linie. Aber auch demokratisch gewählte Parteien, oft mit großer Affinität zum rechten politischen Spektrum, verbreiten ganz ungeniert Unwahrheiten über Social Media und diskreditieren seriöse Medien, um ihre Agenda durchzusetzen. In den USA sind die GOP (Grand old Party) und ihre Apologeten besonders aktiv, aber auch europäische Parteien aus der – naja, Mitte der Gesellschaft sind mit von der Partie.

Andererseits geht auch ein Teil der freien Presse den Fake-News-Weg ganz freiwillig und unverhohlen, zumal in den USA. Fox News etwa oder One America News Network pflegen eine immer aggressivere und radikalere Rhetorik und tragen erheblich zur Spaltung der Gesellschaft bei – alles nur, um Zuschauer zu halten oder zu gewinnen. Zugegebenermaßen ging bei Fox News diesmal der Schuss nach hinten los: In der Verleumdungsklage gegen den Wahlmaschinenhersteller Dominion musste Rupert Murdochs Fernsehsender gehörig Federn lassen.

Dennoch, das Rad dreht sich weiter, und das Agieren aller Fake-News-Akteure kulminiert in einem grandiosen Verwirrspiel: Mit großer Vehemenz beschuldigen sie ihre Gegner der Lüge; letztere tun es genauso. Wir, die Medienkonsumenten, sind mittendrin, bleiben fassungslos zurück und sind am Ende mit Fragen konfrontiert, deren Antworten nicht immer leichtfallen: Was sind Fake News, was nicht? Was und wem können wir trauen: welchen Social-Media-Kanälen, welchen klassischen Medien? Dem Boulevard, den Qualitätsmedien? Den Öffentlich-rechtlichen, den Privaten? Den Einzelpersonen, den Organisationen? Den lokalen, den internationalen?

Auch früher haben Akteure die Medien missbraucht, um ihre Unwahrheiten zu propagieren. Aber die Gratiskultur des Internets hat die Entwicklung dieses Phänomens beschleunigt: Abo- und Kauferlöse spielen keine große Rolle mehr, und Medien haben sich vollends von der Werbewirtschaft abhängig gemacht. Diese wiederum präferiert möglichst laute Auftritte mit großer Anhängerschaft, der Wahrheitsgehalt spielt dabei offenbar eine eher zweitrangige Rolle: die Beschreibung typischer Social-Media-Kanäle. Um mitzuhalten und ein möglichst großes Stück vom Kuchen abzubekommen, haben die klassischen Medien im Internet kaum eine andere Wahl, als ebenfalls die Lautstärke aufzudrehen und den Weg des teils unerträglichen Click Baitings zu gehen – leider auch unsere sogenannten Qualitätsmedien. Hochwertiger Journalismus steht dabei nicht mehr immer im Vordergrund: Eine am Boulevard angelehnte und marktschreierische Darstellung steigert eben die Anzahl der Klicks und erhöht so den Umsatz. Das sind noch lange keine Fake News, aber durchaus Realitätsverzerrungen durch die Hintertür. Den Gipfel der Skrupellosigkeit erreichte übrigens „Die Aktuelle“: Das Regenbogenblatt hatte ein Interview mit Michael Schumacher suggeriert und als Weltsensation angekündigt – die erfundenen Antworten kamen aber von einer KI. Das ist keine Pressefreiheit mehr, sondern schlichtweg Betrug.
Pressefreiheit ist eines unserer höchsten Güter. Sie lebt von Unabhängigkeit und Pluralismus. Die Wirkungsweise der sozialen Medien treibt indes merkwürdige Blüten. Sie sind unabhängig und pluralistisch, sicher, haben aber auch dazu geführt, dass Menschen dazu tendieren, nur noch mit Gleichgesinnten zu kommunizieren, wie die ehemalige Richterin am Supreme Court, Ruth Bader Ginsburg, betont hat: damit leben sie in einer sich stets verfestigten Informations- und Glaubensblase, aus der ein Ausbrechen immer schwieriger wird.

Ist das ein Gesellschaftsentwurf, den wir gut heißen: Gleichgesinnte gefangen in ihrer eigenen Blase? Verschlossen für andere Meinungen?

Wir sollten anderen mehr zuhören, sagte Ginsburg. Unterschiede begrüßen, statt sie abzuweisen. Dafür müssen wir aber wieder lernen, uns zu öffnen, unser Urteilsvermögen zu stärken, Aussagen zu hinterfragen, Informationen zu bewerten und die berühmt gewordenen „alternativen Fakten“ der früheren Trump-Beraterin Kellyanne Conway zu erkennen. Ähnlich der politischen Bildung brauchen wir eine Informationsbildung und viel mehr Medienkompetenz.
Eine starke, pluralistische und freie Presse spielt dabei eine überragende Rolle. Sie muss aber glaubwürdig sein, und das bedeutet vor allem die Rückbesinnung auf – aufwändige – investigative Pressearbeit. Es bedeutet auch weniger Machtkonzentration der Verlage, deren Führungsspitzen oft Einheitsmeinungen diktieren. Eine diversifiziertere Verlagslandschaft mit neuen Playern und spannenden Formaten wäre deshalb höchst willkommen.

All das will finanziert werden – und erfordert von uns ein neues Bewusstsein: Unterm Strich müssen wir bereit sein, uns von der Gratiskultur im Internet zu verabschieden und, ganz konkret, für unseren Medienkonsum wieder Geld in die Hand zu nehmen. Das mag für viele ein schwieriger Schritt sein. Es ist aber ein wirklich kleiner Preis für Pressefreiheit und für eine offene, freie und pluralistische Gesellschaft.

Über den Autor: Alain Blaes war nach seinem Physikstudium zunächst als Redakteur bei der Elektronik-Zeitschrift „Markt & Technik“ tätig. Später arbeitete er als freiberuflicher Journalist für deutsche, französische und US-amerikanische IT- und Wirtschaftsmedien. Darüber hinaus war er Deutschland-Korrespondent der US-IT-Zeitschrift „Datamation“ und Chefredakteur diverser IT-Titel des Verlags Moderne Industrie.
1990 gründete Blaes die Beratungsgesellschaft für strategische Kommunikation PR-COM in München. Das Unternehmen zählt heute zu den führenden, auf High-Tech-Märkte fokussierende PR-Agenturen in Deutschland.


Wir haben die Kommentarfunktion wegen zu vieler Spam-Kommentare abgeschaltet. Sie können uns aber trotzdem Ihre Meinung zu diesem Artikel als Leserbrief direkt zusenden. Falls Sie wünschen, dass wir Ihren Leserbrief als Kommentar dem Artikel hinzufügen, vermerken Sie dies bitte in der Mail an uns.
leserbrief@pr-journal.de


Heute NEU im PR-Journal