Kommentare Schluss mit „Politik im Revanche-Stil“

Der Berliner Politikbetrieb befindet sich in der Sommerpause. Doch die Nachwirkungen dessen, was die Berliner Regierungskoalition aus SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP insbesondere im vergangenen halben Jahr diskutiert und teilweise beschlossen haben, wirkt deutlich nach. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wird immer größer, nicht zuletzt festzustellen an den rasant gestiegenen Zustimmungswerten für die lauteste Oppositionspartei, die AfD. Da ist es an der Zeit, einmal einen Blick auf die Kommunikation der Bundesregierung zu werfen.

Was im Wahlkampf 2021 für viele Wählerinnen und Wähler wie zupackende Kommunikation wirkte, wird heute vielfach als zaudernd und zögerlich empfunden. (Motiv: Agentur Brinkert Lück / SPD)

Zur subjektiven Bestandsaufnahme gehört, dass die Regierungskoalition sich von Entscheidung zu Entscheidung quält. Das Procedere ist stets ähnlich. Ob beim sogenannten Heizungsgesetz, beim Gesetz zur Verbesserung der Kindergrundsicherung oder bei der Nationalen Sicherheitsstrategie, um nur drei Beispiele zu nennen, es geht immer gleich zu. Die drei Regierungsfraktionen blockieren sich gegenseitig, bis am Ende der Ruf an Kanzler Olaf Scholz (SPD) ergeht, er möge schlichten.

Die Tagesschau diagnostizierte Ende Mai eine „Politik im Revanche-Stil“. Wenn eben eine Partei nicht das kriegt, was vermeintlich verbindlich vereinbart wurde, geht eine andere in die Blockadehaltung. Das alles ist dem öffentlichen Image der Ampelregierung nicht zuträglich.

Mehr noch, es geht einher mit einer öffentlichen Wahrnehmung, die aktuell inmitten einer nicht nachlassen wollenden Inflation geprägt ist durch soziale Abstiegsängste, Sorge um den weiteren Verlust wirtschaftlicher Stärke und einem wachsenden Gefühl, in äußerst unsicheren Zeiten zu leben. Veränderungen, beispielsweise in der Energie- oder Verkehrspolitik finden statt, ohne dass es der Politik gelingt, die betroffenen Menschen in ausreichendem Maße zu informieren und mitzunehmen.

Gewiss, die Politik hat es schwer in diesen Zeiten. Versäumnisse einer Politik, die notwendige Diskussionen und Entscheidungen in zukunftsrelevanten Feldern lange scheute, erleben viele Bürger heute als Zumutungen. Hinzu kommen Reflexe der Mediengesellschaft, in der Streit und das Ringen um Lösungen nicht als demokratische Kultur, sondern als Makel gedeutet werden.

Boris Palmer, der Ex-Grüne, der zweifelsohne nicht unverdächtig ist, immer mal wieder kräftig Öl ins Feuer der öffentlichen Diskussionen zu gießen, hat sich in der „Welt“ (paid) zu Wort gemeldet. Er spricht dort unter anderem auch das Thema Asylpolitik an. Aus seiner Perspektive als Oberbürgermeister von Tübingen fordert er einen härteren Umgang mit Menschen, die keinen Asylanspruch haben. Er halte es für gerecht und notwendig, Menschen ohne Asylanspruch an den Außengrenzen Europas in einem rechtsstaatlichen Verfahren aufzuzeigen, dass sie nicht nach Europa einwandern dürften. Migration müsse neu geordnet werden.

Darüber lässt sich sicher streiten. Aber von der Bundesregierung ist zu erwarten, dass sie schnell Haltung bezieht, dann mit einer Stimme spricht und die Erwartungen und Ängste der Bürger erkennbar ernst nimmt. Die Bundesregierung muss nicht nur in dieser Auseinandersetzung, sondern auch in ihren Gesetzesvorhaben und in ihrem Miteinander einen klaren Kurs aufzeigen, erkennbar machen, was sie will, und den koalitionsinternen Streit zügiger belastbaren Kompromissen zuführen. Und dabei ist vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz gefragt. Wenn er nicht mit einer klaren Kommunikation über alle Ebenen hinweg signalisiert, dass die Bundesregierung die Sorgen und Befürchtungen aus der Bevölkerung ernst nimmt und klare Position bezieht, dann wird er möglicherweise schneller als ihm lieb ist, zu „Olaf Machtlos“, wie die Tagesschau bereits Ende Mai zu bedenken gab.

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