Termine Wie funktioniert Wahlkampf in Bayern? DPRG-Landesverband lud zur Podiumsdiskussion nach München

Wahlkampf aus der Sicht der Strategen und Chefkommunikatoren, das konnten die Mitglieder und Gäste der DPRG am 6. Juni in München miterleben. Die Landesgruppe Bayern hatte alle Landtagsparteien zu einer Podiumsdiskussion zum Thema „Wahlkampfkommunikation“ gebeten. „Es gibt eine erhebliche Anzahl von Wählern und Wählerinnen, die gehen ins Wahllokal und wissen noch nicht, wen sie wählen werden. Wirklich! Von den Wechselwählern entscheiden sich sehr viele erst in den letzten zwei Wochen vor der Wahl“, erläuterte Rainer Glaab, Kampagnenchef der bayerischen SPD, seine Einschätzung. Er machte deutlich, dass die Kampagne für Christian Ude, Münchner Oberbürgermeister und Spitzenkandidat  der Sozialdemokraten in Bayern, erst im Spätsommer, kurz vor dem Wahltermin am 15. September, richtig intensiviert wird.

Eine nach wie vor besondere Rolle haben im Wahlkampf die Kopfplakate am Straßenrand. Das wurde von allen Mitrednern einhellig bestätigt. Wer den Kandidaten möglichst prominent und vor allem möglichst oft plakatiert, der erhöht seine Gewinnchancen ganz immens. Weil nur eine Woche später als die Landtagswahl auch der Bundestag neu gewählt wird, ist eine sehr enge Absprache der  Parteizentralen in Berlin und den lokalen, beziehungsweise regionalen Gremien notwendig. Eine Besonderheit im bayerischen Wahlrecht: Die Reihenfolge der Listenplätze kann in der Wahlkabine munter durcheinander gewürfelt werden. Jeder Wähler kann sich seine Lieblingskandidaten quer über alle Listen heraussuchen. Das bedeutet für die Kommunikation, dass die Person der Kandidaten absolut im Mittelpunkt des Interesses steht. Oder überspitzt formuliert: Inhalte zählen nicht. Emotionen und Personen sind alles. Das könnte man zumindest aus den Antworten vom Podium auf eine Publikumsfrage herauslesen.

Michael Leonbacher,  Pressesprecher der Freien Wähler meinte beispielsweise: „Wir haben den Hubert Aiwanger vorne dran. Und mal ehrlich, zwei drei andere von den Freien Wählern kennt man vielleicht noch. Aber dann hört es beim Bürger schnell auf. Also stellen wir Aiwanger in den Mittelpunkt unsere Kampagne mit allen seinen Ecken und Kanten.“  Es gilt die Regel, authentisch zu bleiben und bloß nicht zu versuchen, den Kandidaten ein neues Image aufzupropfen im falsch verstandenen Bestreben, ihn bei neuen Wählerschichten aufzubauen. „Das wäre politischer Selbstmord“, bestätigte  Martin Hagen, Hauptgeschäftsführer der Bayern-FDP.

Der Kampf um jede Stimme bedeutet Mobilisierung der eigenen Wähler und zugleich auch die‚ Vielleicht-Wähler und Noch-Nichtwähler an die Urnen zu bringen. 42 % der Bayern haben im Jahr 2008 nicht gewählt. Die Grünen, deren Wähler traditionell aus dem akademischen Lager kommen, versuchen ungewöhnliche Wege, um ihre Anliegen zu verbreiten. Im Internet kann man das Wahlprogramm in „Einfacher Sprache“ herunterladen. „Wir sehen das vor allem als einen Weg zur Beteiligung an der Politik der Grünen“, erläutert Alex Burger, Pressesprecher der Grünen.  Das Internet spielt natürlich eine große Rolle bei der Wählerakquise. Aber mitunter würden die Zahlen der User, die bei facebook auf den „like-button“ drücken, völlig überschätzt. Bei den Spitzenkandidaten in Bayern liegt Ministerpräsident Horst Seehofer vorne, hat aber bei weitem nicht so viele Internetuser überzeugen können wie Gegenkandidat Christian Ude, die Inhalte seiner facebook auch zu teilen. „Die Seite von Seehofer ist eine Chimäre. Worauf es ankommt, ist die Verbreitung und da liegt Ude weit vorne“, meinte Glaab.

Alle Parteien legen gleichermaßen Wert auf die direkte Ansprache der Wähler an der Haustür. Worüber schon Cicero vor über 2000 Jahren räsonierte, schwappt heute als aktuelle Wahlkampfstrategie aus den USA zu uns herüber. Das dort im Präsidentenwahlkampf insbesondere vom Team Obama angewandte Microtargeting ist für Deutschland nicht anwendbar. Dort kennt man durch Abschöpfung des Internetverhaltens die Wählerpräferenzen bis hin zur einzelnen, adressierbaren Person. Das würde in Deutschland den Datenschutzbestimmungen widersprechen. Sehr wohl weiß man aber von Umfragen und vorausgegangenen Wahlen auch hier, welche Stimmpräferenzen in welchem Wohnblock eine hohe Wahrscheinlichkeit haben. Da war man sich auf dem Podium einig. Mit diesen Infos ausgerüstet, kann man auch in Deutschland sehr zielsicher auf Stimmenfang gehen und seine Wähler mobilisieren. „Canvassing“ nennt man das in USA und, auch da waren sich die Parteivertreter in München einig, das ist nur alter Wein in neue Schläuche gegossen.

Die Diskussion wurde von Hans-Peter Meier straff geführt und die Referenten immer wieder mit den Fakten aus den einschlägigen Wahlanalysen konfrontiert. Nicht weniger als drei Stunden lang hörten die 35 Gäste, die ins Hotel Cristal gekommen waren, gebannt zu. Die abschließende Bitte aus Erfahrungen der Parteien mit PR-Agenturen zu berichten, ergab interessante und amüsante Aspekte. Während sich die einen je nach Spezialaufgabe verschiedene Agenturen gesucht haben („In Österreich gibt es richtig gute Agenturen mit Wahlkampferfahrung, weil da die Parteien richtig Geld haben.“), wurden andere mit schlampiger Kaltakquise eingedeckt. So berichtete Martin Hagen, FDP, dass er einen Vorschlag auf den Tisch bekam, wo er als Herr Glaab angesprochen wurde. Der aber arbeitet für die SPD! Die CSU hatte, trotz sehr vieler Bemühungen der DPRG, keinen Referenten in die Diskussion geschickt. Moderator Meier hatte das bedauert, aber auch seinem Unverständnis deutlich Ausdruck verliehen. 

Thomas Achelis, München, PRJ-Korrespondent

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