Branche Peter Szyszka zur US-Wahl: Prekäre Lebensverhältnisse Hauptursache für den Erfolg Trumps

Szyszka Peter PR Prof HHannoverPeter Szyszka (Foto) ist Professor für Public Relations, Spezialist auf dem Gebiet der Organisationskommunikation an der Hochschule Hannover und Leiter der Forschungsgruppe Beziehungskapital. Das „PR-Journal“ hat ihn zum Wahlausgang in den USA befragt. Hauptursache sind für den Kommunikationswissenschaftler die von vielen Amerikanern als unbefriedigend oder prekär empfundenen Lebensverhältnisse. Diese große Gruppe, so die These Szyszka, habe Trump mit markigen Sprüchen und dem Versprechen vieles radikal zu verändern kurz, knapp und leicht verständlich abgeholt. Wörtlich sagt Szyszka: „Wer sich benachteiligt fühlt, ist für Populismus zugänglich.“

PR-Journal: Herr Szyszka, können Sie als Kommunikationswissenschaftler uns und unseren Lesern vielleicht erklären, wie es zur Wahl von Donald Trump zum künftigen US-Präsidenten kommen konnte. Nur die wenigsten Laien und Experten hatten das erwartet. Bis kurz vor der Wahl, wiesen beinahe alle ernstzunehmenden Umfragen Hillary Clinton als wahrscheinliche Gewinnerin aus.
Peter Szyszka: Um ehrlich zu sein: Mir ging es so, wie bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich. Ein knappes Ergebnis war zu erwarten. Da hofft man auf einen glücklichen Ausgang und reflektiert die Ereignisse dann erst am Ende. In den USA wurde beiden Kandidaten nur bedingt mit Sympathiewerten begegnet, Hillary Clinton stand als Demokratin für das Establishment, Donald Trump propagierte als Republikaner Veränderung. Beide hatten eine 50 Prozent-Chance.
Um den Wahlausgang zu verstehen, muss man meines Erachtens hinter den Wahlkampf schauen und fragen, was besonders Trump im Wahlkampf mit seinem populistischen Auftreten adressiert hat, und das sind offenbar die von einem großen Teil der amerikanischen Bevölkerung als unbefriedigend oder prekär empfundenen Lebensverhältnisse. Die Gesellschaft ist gespalten und die, die vom Wohlstand nicht partizipieren, haben hier die Möglichkeit, aufzubegehren. Mich erinnert dieses Wahlverhalten ein Stück weit an die Endphase der Weimarer Republik, womit sich dieser Vergleich dann aber auch schon wieder erschöpft. Nur: Wer sich benachteiligt fühlt, ist für Populismus zugänglich.

PR-Journal: Wovon haben sich die Demoskopen in die Irre leiten lassen? Welche Besonderheiten dieses schmutzigen US-Wahlkampfs haben sie nicht berücksichtigt?
Szyszka: Sie werden, wie wir alle, auf den Populismus geschaut haben, auf das, was man macht oder nicht macht, und zunächst aus der Routine heraus an früheren Medienwahlkämpfen gemessen haben. Und da Trump hier keinen Fettnapf ausgelassen hat, ja, die Fettnäpfe bewusst gesucht hat, um zu provozieren, haben sie sich meines Erachtens in der Betrachtung des Wahlkampfs von der Vielzahl der ‚No-Gos‘ leiten lassen, mit denen Trump hantiert hat.
Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass seine Kandidatur anfangs niemand wirklich ernst genommen hat. Er wurde eher als Donald Duck, also eher als ein Spaßkandidat eingestuft. Auch die Demoskopen dürften ihn erst spät auf ihre Rechnung genommen haben. Nun beobachten Demoskopen ja nicht nur, sondern stellen vor allem Fragen, auf deren Basis sie dann ihre Urteile abgeben. Ich kenne diese Fragen nicht, aber offensichtlich wurden hier nicht die richtigen, nämlich die bei eben dieser populistisch geführten Wahl entscheidenden Fragen gestellt. Denn wirklich knapp war das Ergebnis am Ende ja nicht.

PR-Journal: In den ersten Analysen war die Rede davon, dass sich das „Postfaktische“ nun endgültig durchgesetzt habe. Gemeint ist, dass Einstellungen und Gefühle zu Fakten mehr zählen als die Fakten selbst. Teilen Sie diesen Ansatz?
Szyszka: Ich habe am Mittwoch ab 4:30 Uhr vor dem Fernseher gesessen und dann aufgrund der Ereignisse recht genau in die Wahlanalysen hinein gehört. Ich glaube, hier mit dem Postfaktischen zu argumentieren, ist zu kurz gesprungen.
Zunächst: Ja, tief reflektiert haben werden die meisten Wähler in den USA ihre Stimmabgabe nicht. Aber als unbefriedigend oder prekär empfundene Lebensverhältnisse sind für einen Teil der amerikanischen Gesellschaft Fakt. Die USA sind schon von ihrer Historie her noch mehr gespalten als etwa unsere Gesellschaft in Deutschland. Und die Ergebnisse der Politik des Demokraten Barak Obama, der gegen Republikaner in Senat und Repräsentantenhaus regieren musste, haben die Erwartungen der Menschen auf Besserung nicht erfüllt. Die Erfolge der Wirtschaft kommen in ihrem Geldbeutel nicht an. Das spricht im einfachen Denken für Richtungswechsel.
Ein großer Teil der Gruppe weniger gebildeter weißer Männer etwa hat der Analyse nach Trump gewählt mit alle dem, was sich da hinein interpretieren lässt. Und nicht nur die. Und dann kommt einer, verschafft sich mit markigen Sprüchen Gehör, verspricht radikale Veränderung und wird dann zur großen Überraschung intellektuellen Wahlkämpfer und -beobachter tatsächlich gewählt. Trump hat sie kurz, knapp und leicht verständlich abgeholt – das ist meine These.

‚Von den USA lernen, heißt siegen lernen‘

PR-Journal: Mal abgesehen davon, dass derzeit noch niemand sagen kann, was die Wahl Trumps politisch für Europa bedeutet, drängt sich aber die Frage auf, ob der US-Wahlkampf stilbildend für die künftige politische Kultur in Europa sein wird? Wird die politische Auseinandersetzung auch hierzulande giftiger und boshafter werden?
Szyszka: Augenzwinkernd könnte man für vergangene Wahlkämpfe ja sagen: ‚Von den USA lernen, heißt siegen lernen‘. Und dass der Populismus auch in Deutschland längst angekommen ist, zeigen AfD und Pegida.
In Deutschland geht es aber nicht um das ‚Ent‘ oder ‚Weder‘ zwischen zwei Personen, wer besser oder wer das kleinere Übel ist. In Deutschland werden mindestens sechs Parteien mit Erfolgsaussichten um Bundestagsmandate kämpfen und ein Teil von ihnen wird hinterher eine Regierungskoalition bilden müssen. Ich denke, dass grenzt die Möglichkeiten, auf breiter Ebene populistisch zu agieren, auf wenige Parteien ein. Und wenn dann etwa die AfD, wie erwartet, populistisch agiert und hierfür ihren Zuspruch erhält, dann hat dies im übertragenen Sinne auch etwas Gutes. Wir sehen dann, wo unsere Gesellschaft steht, wie groß die Quote derer ist, die radikal unzufrieden sind. Deshalb hoffe ich vor allem auf eine hohe Wahlbeteiligung.
Ob Giftigkeit und Boshaftigkeit auf breiter Ebene geeignete Mittel sein werden, um Wählerstimmen zu gewinnen, müssen wir abwarten. Sicher ist, dass Politik zuspitzen und auch provozieren muss, um im Grundrauschen aller Informationsflut Gehör zu finden. Dies ist heute dringlicher denn je, aber eigentlich nichts Neues.

Politik muss die Interessen der Menschen ernst nehmen

PR-Journal: Der „Spiegel“ hat analysiert, dass wir nun im „Zeitalter des Populismus“ angekommen sind. Gilt das auch für Deutschland oder wird es im kommenden Bundestagswahlkampf gelingen, Populisten zurückzudrängen? Wie könnte man dem Populismus entgegentreten?
Szyszka: Die Politik muss die Interessen der Menschen ernst nehmen und nicht nur die der Wirtschaft oder ihre eigenen. Die Gesellschaftsverhältnisse in den USA wie in Deutschland werden von einem ausgeprägten und, wenn man an Banken oder Facebook denkt, wenig gezügelten Ökonomismus geprägt, bei dem auf der einen Seite viel verdient wird, bei den Menschen in der Gesellschaft aber immer weniger ankommt.
Mich erinnert da vieles an Industriezeitalter und Manchestertum und das ist der Rückfall in das 19. Jahrhundert. Diese Dinge sind nicht nur in den USA aufgebrochen. Unsere Arbeitslosenstatistik etwa ist im wahrsten Sinne des Wortes ‚nett‘, ein Placebo, das die nicht gerade kleine Zahl prekärer oder unbefriedigender Lebensverhältnisse nur kaschiert. Denken Sie an 450-Euro-Jobs, der Notwendigkeit von Doppeljobs bis hin zu unserer Polizei oder unsere düsten Rentenaussichten. Wer da von sozialer Marktwirtschaft spricht, verhöhnt das Ganze. Das ist ein Nährboden für Populismus.
Am Wahltag hat „Kekskönig“ Werner Bahlsen – ein Zitat aus dem „Handelsblatt“ – als Vorsitzender des Wirtschaftsrats der CDU angemahnt, seine Partei kümmere sich zu wenig um die Wirtschaft. Ich würde dem entgegenhalten, dass sich die Parteien zu wenig um die Menschen kümmern, die erwarten, dass deren Mandatsträger auch Wählerinteressen vertreten.

Parteienwahlkampf in Deutschland bietet wenig Parallelen zum US-Wahlkampf

Szyszka weiter: Politik verliert da in den Augen der Menschen jede Glaubwürdigkeit, wenn etwa ein sozialdemokratischer Wirtschaftsminister das Freihandelsabkommen TTIP durchsetzen will und einen realen Nutzen für die Menschen nicht erklären kann. Die Sicherung von Arbeitsplätzen ist hier zu wenig, weil auch die Menschen sehen wollen, dass Mehrwerte auch bei ihnen ankommen.
Damit wird der Nährboden für Populismus in den Parteien selbst gepflegt. Solange in unseren Gesellschaften die Menschen der Wirtschaft und nicht die Wirtschaft den Menschen dienen muss, wird man Populismus in Deutschland nicht verhindern können. Vor dem Hintergrund unser historischen Erfahrungen, eines Parteienwahlkampfes und den Erfahrungen aus den USA erwarte ich aber, dass sich die gemäßigten Parteien in Deutschland nicht auf diese Schiene begeben werden. Wie man dabei Populismus begegnen kann, das müssen Sie Wahlkampfexperten fragen, die vor eben diesem Problem stehen.

PR-Journal: Herr Szyzka, wir danken Ihnen für Ihre Ausführungen.

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