Rezensionen Bieler: Public Relations und Massenkommunikation

Denise Bieler: "Public Relations und Massenkommunikation. Einrichtung von Pressestellen um die Wende des 20. Jahrhunderts". Band 1 der Reihe "Geschichte der Kommunikation", hrsg. von Philomena Schönhagen und Stefanie Averbeck-Lietz. Nomos Verlagsgesellschaft/Edition Reinhard Fischer, Baden-Baden, 2010. 270 Seiten. Preis: 39,00 Euro. ISBN: 978-3-8329-4731-6.

Rezension von Julia Wittwer, Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Frankfurter Kunstvereins und Absolventin von PR Plus (www.prplus.de)
 
"Public Relations und Massenkommunikation. Einrichtung von Pressestellen um die Wende des 20. Jahrhunderts" von Denise Bieler beleuchtet die Anfänge der Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland und bietet neue forschungsrelevante Einsichten zu den Motiven und Ursachen ihrer Entstehung. Die Studie ist der erste Band der neu lancierten Buchreihe Geschichte der Kommunikation, die auf Beiträge zur Geschichte der gesellschaftlichen Kommunikation, ihrer Medien sowie kommunikationswissenschaftlicher Theorie- und Ideengeschichte zielt.

Den Anstoß für die Studie gab das von der Autorin konstatierte Forschungsdefizit in der deutschsprachigen PR-Geschichtsschreibung, Public Relations als Phänomen gesellschaftlicher Kommunikation und in Zusammenhang mit der Evolution von Massenkommunikation und Journalismus zu beschreiben. So auch die Leistungen der Öffentlichkeitsarbeit in der Massenkommunikationsforschung entsprechend zu würdigen. Kern der Untersuchung bildet die theoriegeleitete systematische Analyse historischer Quellen aus Stadt-, Landes, Kirchen- und Unternehmensarchiven sowie die Rekonstruktion einzelner Fallbeispiele aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen.

Mit sorgfältiger Analyse des historischen Materials zeichnet Bieler die Entwicklung einer "systematischen Öffentlichkeitsarbeit" um die Wende des 20. Jahrhunderts in Deutschland nach. Diese ist gleichermaßen nachzuvollziehen an der Genese städtischer Öffentlichkeitsarbeit am Beispiel Magdeburgs und Stuttgarts und im Fallbereich Justiz mit der Untersuchung der Einrichtung einer Pressestelle am Kammergericht Berlin-Moabit. Das gleiche veranschaulicht die Autorin im Fallbereich der evangelischen Kirche anhand der Pressearbeit der Inneren Mission und einzelner Landeskirchen, am Beispiel der beiden Unternehmen Krupp und Siemens sowie auch exemplarisch an der Einrichtung einer PR-Stelle beim Bund Deutscher Frauenvereine.

PR als "Gegenrationalisierungsprozess"
Wie Bieler schlüssig anhand der Fallbeispiele darlegt, kann die Entstehung von PR als Rationalisierung des Kommunikationsverhaltens benachteiligter oder von gesellschaftlicher Kommunikation ausgeschlossener Akteure verstanden werden. Dies spiegelt sich in der Gründung von PR-Stellen, die in allen aufgezeigten Fällen aus zuvor erfolglosem Einsatz verschiedener Strategien der Teilhabe und/oder Einflussnahme auf das Kommunikationsgeschehen resultierte. Ziel war es auf diese Weise eine professionelle und systematische, da auf die medialen Bedürfnisse hin zugeschnittene "Öffentlichkeitsarbeit" (meist Pressearbeit) einzurichten.

Ursachen und Motive für dieses Vorgehen leitet die Autorin von der notwendig gewordenen Reaktion auf Rationalisierungs- und Konzentrationsprozesse in der Massenkommunikation ab. Diese wiederum brachte ein von Industrialisierung, Technisierung und bürgerlicher Aufklärung beeinflusste, verstärkt ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Wandel mit sich. Das Erreichen breiter Bevölkerungsgruppen war zunehmend nur noch über die Massenmedien möglich. Gleichzeitig wurden die Chancen der Teilhabe an öffentlicher Kommunikation durch die Verselbstständigung der medialen Vermittlung eingeschränkt. Mit der Ausdifferenzierung der Gesellschaft und steigendem Wettbewerb wuchs daher für soziale Akteure die Notwenigkeit eigenes Verhalten zu legitimieren oder eigene Interessen öffentlich zu machen.

Durch die Evolution der Massenmedien verursacht, ist PR nach Bieler daher als Gegenrationalisierungsprozess zu verstehen, mit dem Ziel, die Mitteilungschancen partikulärer Interessen im gesamtgesellschaftlichen Kommunikationsprozess zu optimieren. Für die Einordnung der oft vernachlässigten Bedeutung der PR im Zusammenhang mit dem Journalismus zeigt die Autorin auf, dass beide gleichermaßen wichtige Bestandteile in der massenmedial vermittelten Kommunikation darstellen.

PR-Praxisnutzen
Die Studie von Denise Bieler bietet zwar zunächst keinen direkten Nutzwert für die tägliche PR-Praxis, der Blick auf die Frühzeit der PR und die Hintergründe ihrer Entwicklung bringt aber wichtige Erkenntnisse für die Ausbildung und Konstitution der heutigen PR- und Medienarbeit. So ist für die Erweiterung des theoretischen Wissensbestandes sicherlich sowohl für PR-Mitarbeiter als auch Journalisten hilfreich die Zusammenhänge und Interdependenzen zwischen PR und Pressewesen aus ihrer gemeinsamen Geschichte heraus nachzuvollziehen.

Fazit: Das Buch ist nicht nur für Medien- und Kommunikationswissenschaftler, sondern für alle PR-Treibenden und Journalisten sehr lesenswert. Durch die Beantwortung der grundlegenden Frage nach den Motiven der Herausbildung der Öffentlichkeitsarbeit führt die Studie von Denise Bieler zu wichtigen neuen Erkenntnissen, die herkömmliche Definitionen und PR-Theorien hinterfragen und den Wissensbestand des Fachgebietes einen wichtigen Schritt weiterbringen. Forschungsrelevant ist in diesem Zusammenhang die These der Autorin, dass sich eine systematisch-professionell betriebene PR bereits um die Wende zum 20. Jh. in Deutschland herausgebildet hat und nicht erst nach 1945, beeinflusst von der amerikanischer Wirtschaftshilfe. So ist ihre Frage legitim warum dieser Befund in der Grundlagenforschung gerne ausgeblendet wird. Hier erhofft man sich von Bieler allerdings eine differenziertere Definition einer "systematisch betriebenen PR" vor 1945.

Unter dieser Begrifflichkeit scheint sich nämlich in den aufgezeigten Fällen allein Pressearbeit zu subsumieren und nicht die nach fortschrittlichen Ansätzen verstandenen Öffentlichkeitsarbeit, die den Dialog mit sämtlichen relevanten internen- und externen Bezugsgruppen einer Institution sucht. So bleibt nachzuweisen, ob man - anderen Forschungsthesen folgend -, von der Herausbildung einer Öffentlichkeitsarbeit, verstanden als "strukturiertes Berufsfeld" mit festgeschriebenen Aufgabenfelder und Standesfunktion seiner Mitglieder, im gesamtdeutschen Raum doch erst ab 1950 sprechen kann.

Die Rezensentin
Julia Wittwer ist Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Frankfurter Kunstvereins, ein internationales Ausstellungshaus für zeitgenössische Kunst. Nach dem Studium der Anthropologie und Kunstgeschichte in Freiburg und Madrid, arbeitete sie nach dem wissenschaftlichen Volontariat als persönliche Referentin des Generaldirektors am UNESCO Weltkulturerbe Völklinger Hütte – Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur und später in der Pressestelle der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Seit 2007 leitet sie das Pressebüro des Frankfurter Kunstvereins und betreute neben der Durchführung des Fernstudiums von PR Plus als freie PR-Beraterin u.a. das Instituto Cervantes Frankfurt.

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