Kommentare Journalisten-Leitbild

Auf der Jahreskonferenz des netzwerk recherche (nr) 2006 am 19./20. Mai im NDR-Konferenzzentrum Hamburg steht das anspruchsvolle Programm unter dem Motto "Mehr Qualität durch Recherche – Von der Kür zur Pflicht". Aber mehr noch wird in den Gängen bei Gesprächen und im Internet die kontroverse Debatte über den Medienkodex des netzwerks fortgesetzt werden. Kaum jemand von Rang und Namen in der Kommunikationsbranche, der sich noch nicht beteiligt hätte an Lob und Kritik von Thomas Leif und Hans Leyendecker bei ihrem Versuch, Qualität und Unabhängigkeit des Journalismus trotz neuer Technologien und ökonomischen Drucks durch einen Richtschnur-Dekalog zu sichern. Aus dem bisherigen Diskussionsstand haben sich bei mir mehrere Eindrücke eingeprägt:

1. Thomas Leif hat – was die PR-Wirklichkeit angeht – Ängste aus einem lang überholten PR-Verständnis überspitzt mobilisiert.

2. Der Kodex als 10-Gebote-Katalog ist als Ganzes ein bemerkenswerter Beitrag zu einer Nachdenk-Diskussion, oder sollten wir besser sagen zu einem Nachsitz-Dialog? Von alteingesessenen Dinosauriern und "Realisten" ist er als fundamentalistisch geprägt denunziert worden, obwohl Leif und seine Mitstreiter ihn vor allem als kämpferischen Anstoß für den journalistischen Nachwuchs und nicht als dessen Abtreibung verstehen.

3. Die Kodex-Punkte 5) "Journalisten machen keine PR" und 6) "Journalisten verzichten auf jegliche Vorteilsannahme und Vergünstigung" sind in meinem Verständnis eine Reverenz an die erschröckliche Realitätsbekämpfung: die Suche nach dem 100%-Berufsbild einer idealen Journalistenrolle.
Als Beispiel nenne ich Automobil-, Pharma-, Reise-Journalisten, von dem Transvestiten "PR-Journalist" ganz zu schweigen. Es geht hier um eine individuelle Ethik der Selbstkontrolle, bevor Presserat oder Staatsanwaltschaft tätig werden.

Wolfgang Reineke, Heidelberg

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