Interview mit Frank Stauss und Mathias Richel – Teil 2:

Frank Stauss und Mathias Richel haben mit „Richel, Stauss“ eine neue Strategie-Agentur gegründet. Die beiden erfahrenen Campaigner und Wahlkampfstrategen bezeichnen sich selbst als überzeugte Demokraten und Europäer. Sie sind dafür bekannt, klar ihre politische Haltung zu artikulieren. Im zweiten Teil dieses Interviews sprach das „PR-Journal“ mit Richel und Stauss über Agenda Setting, Einfluss von Beratern und schlechte Stimmung.

PR-Journal: Aktuell wirkt die mediale Berichterstattung zu Politik- und Wirtschaftsthemen skandal- und moralgetrieben. Es dominiert die Flüchtlingsfrage. Warum ist es so schwer für Parteien und Unternehmen, positives Agenda Setting zu betreiben?
Stauss: Wir sind bei Wahlkämpfen viel in Fokusgruppen unterwegs. Das Erstaunliche ist, dass das Flüchtlingsthema in diesen Gruppen kaum noch relevant ist. Manchmal kommt in anderthalb Stunden das Wort ‚Flüchtlinge‘ nicht mal vor. Heißt: Der Schuh drückt woanders: bei Mieten, Landflucht und Veränderungen in der Gesellschaft wie der Ton in Auseinandersetzungen.
Richel: Das Flüchtlingsthema suggeriert, die am einfachsten lösbare Herausforderung zu sein. Langfristige Fragen wie Infrastrukturmaßnahmen, Mietentwicklungen, Integration statt Migration oder globale Themen sind deutlich komplexer. Es ist schwer, mit Botschaften durchzukommen. Mit der Flüchtlingsfrage lässt sich natürlich wahnsinnig gut polarisieren.
Stauss: Die Medien sind Opfer einer funktionierenden Strategie der neuen Rechten. Journalisten sagen dann zwar, sie müssten den Shitstorm, der sie beim Thema Flüchtlinge erreicht, ernst nehmen. Tatsächlich wissen Medien aber natürlich, dass sie mit Buzzwords wie ‚Flüchtlingen‘, ‚Asyl‘ oder ‚Grenze‘ bestimmte Leute erreichen. Dass es immer die Gleichen sind, die zum Beispiel vor den Talkshows sitzen, und diese Menschen immer dieselbe Meinung haben, wissen sie eigentlich auch.

Stauss Frank Richel Mathias Gf Agentur c Paul Seitz

PR-Journal: Auch Unternehmen kann es nicht gefallen, wenn ihre positiven Themen kaum noch vorkommen. Eine dauerhaft schlechte Stimmung wirkt sich im Zweifelsfall negativ auf ihr Geschäft aus.
Stauss (l.): Die Frage ist: Sind wir in der Lage, wieder einen Zukunftsoptimismus zu bespielen? Nehmen wir das Thema Binnenmigration und Landflucht, das aktuell gerade politisch entdeckt wird.
Was heißt eigentlich autonomes Fahren für den ländlichen Raum? Welche Chancen bietet das? Was bedeutet Telemedizin für die medizinische Versorgung? Es könnte ja sogar sein, dass es gut ist, plötzlich eine deutlich größere Bandbreite an Fachärzten konsultieren zu können als nur einen schlechten Hausarzt. Sind elektrisch betriebene Autos nicht das optimale Zweit- oder Drittfahrzeug für ländliche Gegenden, da man selten 300 Kilometer am Tag fährt und das Auto bequem laden kann? Wir befinden uns in einer Panikspirale, die es zu durchbrechen gilt. Das ist durchaus möglich, wenn es konsequent angegangen wird.

Panikspirale durchbrechen

PR-Journal: Welche Rolle können Unternehmen dabei einnehmen?
Richel (r.): Aktuell findet ein Umdenken statt. Die großen Player, die viele Angestellte haben, müssen und werden sich zu den wichtigen Fragen positionieren. Sie müssen es, weil es betriebswirtschaftlich negative Konsequenzen für sie haben kann, wenn sie es nicht machen. Sie finden keine Angestellten mehr, wenn das Binnenklima schlecht ist. Haltung ist ein HR-Thema: Sie hilft Unternehmen, Mitarbeiter für sich zu gewinnen. Ich bin überzeugt davon, dass es da draußen etwa 80 Prozent Menschen gibt, die darauf warten, dass man ihnen auch kommunikativ ein Angebot macht.

PR-Journal: Wie könnte so ein Angebot aussehen? Wie müssen Unternehmen und Parteien kommunizieren?
Richel: Handwerklich glaube ich, dass Politik und Unternehmen die erwähnten 80 Prozent der Menschen emotional abholen müssen. Wir erleben aktuell eine Sprache in der Politik, die von einer Fachsicht geprägt ist, aber niemanden mitreißt. Wenn man gegen eine Kampagne angehen will, die derart polarisiert wie die Flüchtlingsthematik, dann reicht es nicht aus, mit Worthülsen zu arbeiten, die inhaltlich richtig, aber eben nicht erfassbar sind. Man muss deshalb in der Kommunikation nicht populistischer und polemischer werden, aber deutlicher und direkter. Das haben Politik und auch viele Unternehmen verlernt. 
Stauss: Es gilt zudem, Faktoren wie den demographischen Wandel in Erwägung zu ziehen. Wir reden darüber immer nur im Zusammenhang mit Pflege und Gesundheitsfragen. Was bedeutet eigentlich eine alternde Gesellschaft für die Kommunikation? Eine alternde Gesellschaft ist selten eine offene. Die wenigsten werden im höheren Alter fröhlicher. Es entsteht eine gewisse Innovationsfeindlichkeit. Möglicherweise brauchen wir eine andere Ansprache.
Richel: Es gilt für Unternehmen, Werte, die wir in der Gesellschaft haben, in die Zukunft zu übersetzen. Das passiert zu wenig.

Worthülsen reichen nicht mehr aus

PR-Journal: Weshalb erscheinen insbesondere deutsche Unternehmen in ihrer Kommunikation so verunsichert und zurückhaltend? Positiver Spirit scheint eher von den amerikanischen Tech-Konzernen zu kommen.
Richel: Für mich ist das auch eine kulturelle Frage: In Deutschland herrscht eine gewisse Subventionsmentalität. Wir machen also nichts, bevor die Politik Initiativen ergreift. Das ist ein deutlicher Unterschied zu den USA. Es gibt die Haltung, etwas solange zu machen, wie es eben geht. Das sieht man zum Beispiel in der Automobilindustrie oder beim Thema Energie.
Stauss: Aus dieser Verteidigungshaltung gilt es herauszukommen. Sie resultiert aus Stagnation. Behalten wir sie bei, haben wir bald noch mehr Stagnation.

PR-Journal: Inwieweit ist es möglich, als Agentur insbesondere bei politisch komplexen Fragen Einfluss zu nehmen? Wo liegen die Grenzen der Beratung?
Richel: Das hat viel mit Vertrauen und Überprüfbarkeit zu tun. Unser Ansatz ist, dass wir als Berater für etwas stehen. Wir gehen bewusst in Auseinandersetzungen und kämpfen für unsere Ideen. Daraus wächst ein partnerschaftliches Vertrauensverhältnis, was dabei hilft, Punkte durchzubringen. Es macht keinen Unterschied, ob es Parteien oder Unternehmen sind – feste Strukturen gibt es überall. Umso wichtiger ist es, die richtigen Leute an einen Tisch zu bekommen.
Stauss: Wenn Kunden sich mehrere Meinungen anhören und zu einem anderen Ergebnis kommen als man selbst, dann ist das das Schicksal des Beraters. Damit lässt sich auch umgehen. Wenn man aber an den Punkt kommt, an dem kein Ratschlag mehr angenommen wird, muss man sich beidseitig die Frage stellen, ob eine Zusammenarbeit noch Sinn macht.
Richel: Es ist ein bisschen wie im Fußball: Wenn ein Trainer die Mannschaft nicht mehr erreicht, muss er gehen.

PR-Journal: Sie sind beide sehr politisch – und fest verortet. Inwieweit schließen sich bestimmte Kunden und Projekte für Sie aus?
Richel: Ein paar Sachen schließen sich aus. Eine Haltung öffnet auch Türen. Manchmal geht es genau darum, eine andere Sicht zu hören; eine Diskussion zu führen. Von daher hat es keinen geschäftlichen Impact.
Stauss:
Mit manchen Leuten kann man, mit anderen eher nicht. Was wir definitiv nicht wollen ist, für Kunden zu arbeiten, die seit 20 Jahren ihren Dreck in die Luft pusten und uns dann bitten, dafür zu sorgen, dass es gut aussieht.


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