Medien TV-Bilanz 2023: Deutschland zwischen Dauerkrise und Alltagsflucht
- Details
- von Thomas Dillmann, Bad Honnef
Die Nutzung des linearen TV-Programms ist 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 2,6 Prozentpunkte gesunken. Im vergangenen Jahr haben täglich 61,5 Prozent der Zuschauenden ab 3 Jahre, das sind 47,01 Millionen, die unterschiedlichen Inhalte der Programmanbieter eingeschaltet. Die tägliche TV-Nutzung lag bei 182 Minuten (2022: 195 Min.), bei den 14- bis 49-Jährigen bei 87 Minuten (2022: 101 Min.) und damit jeweils niedriger als im Vorjahr.
Was die Inhalte angeht, so konzentrierte sich das Interesse insbesondere im klassisch linearen TV erneut auf Informationsinhalte. Neben dem Interesse an Nachrichten, Magazinen und Dokumentationen bediente das Fernsehen im Jahr 2023 auch den Wunsch nach Ablenkung durch Unterhaltungsshows und fiktionale Formate.
"Damit verstetigt sich der Trend der Vorjahre: Das lineare Fernsehen hat bei tagesaktuellen Informationen und Formaten mit ausgeprägtem Live-Charakter nach wie vor eine starke Position, auch wenn im Jahr 2023 keine Sport-Großevents mit erfolgreicher deutscher Beteiligung stattfanden und sich dies, neben allen anderen Effekten, auch in den Daten widerspiegelt," so Kerstin Niederauer-Kopf, CEO der AGF Videoforschung.
"Angesichts des medialen Überangebots sind dies immer noch beachtliche Nutzungsanteile. Der Mensch hat letztlich kein unendliches Medienzeitbudget und dieses verteilt sich aufgrund der immer stärker fortschreitenden intra- und intermedialen Fragmentierung mittlerweile auf mehrere Mediengattungen und auch Angebotsformen," erläutert Niederauer-Kopf.
So bewegt sich der Nutzungsanteil von Informationsangeboten wie Nachrichten, Magazinen, Reportagen und Dokumentationen sowie Talks im Jahr 2023 mit 34 Prozent leicht unter dem Vorjahresniveau (2022: 36 %), da die Genres Nachrichten und Reportagen jeweils einen Prozentpunkt verlieren. Demgegenüber steigen die relativen Nutzungsanteile für Unterhaltungssendungen und fiktionale Formate um zirka zwei Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr auf insgesamt rund 60 Prozent. Sportübertragungen und -sendungen bleiben mit etwa sechs Prozent auf gleichbleibendem Niveau.
"Die leichten Verschiebungen im Programminteresse scheinen darauf hinzudeuten, dass die Zuschauenden zwar immer noch ein großes Interesse an gut recherchierten und starken Informationsformaten haben, aber in einer Zeit permanenter Krisen und Konflikte auch Ablenkung vom Alltag suchen," so die Vorsitzende der Geschäftsführung.
Die erfolgreichsten TV-Formate 2023
Der Blick auf die erfolgreichsten TV-Formate des Jahres 2023 zeichnet ein weitgehend stabiles Bild: Das Jahr 2023 war kein 'klassisches Sportjahr', Sport-Großevents und damit Zuschauermagnete wie die Olympischen Spiele, oder auch die FIFA-Fußball-Weltmeisterschaft der Männer fanden in den saisonal bedingt ohnehin schwächeren Sommermonaten nicht statt. Als erfolgreichstes TV-Format setzt sich der "Tatort: MagicMom" im Ersten mit durchschnittlich 13,928 Millionen Zuschauern an die Spitze, was einem Marktanteil von 40,5 Prozent entspricht. Die Abschiedsvorstellung von Thomas Gottschalk bei "Wetten, dass..?" bescherte dem ZDF im Gesamtpublikum eine beachtliche durchschnittliche Sehbeteiligung von 12,9 Millionen Personen (45,8 % MA) und damit Rang 2. Mit einer Sehbeteiligung von 11,613 Millionen (37,7 % MA) platziert sich der Münster-Tatort "Der Mann, der in den Dschungel fiel" auf Rang 3. Nachfolgend finden sich unter den TOP 5 wie erwartet Fußballspiele – seit einigen Jahren auch die Spiele der Frauen-Nationalmannschaft, deren frühzeitiges WM-Aus sehr wahrscheinlich dafür sorgte, dass die nachfolgenden Spielbegegnungen ohne deutsche Beteiligung an Attraktivität verloren. Das zweite Gruppenspiel der Frauen-Nationalmannschaft gegen Kolumbien sahen sich 10,4 Millionen. Personen an, dies entspricht einem Marktanteil von 61,3 Prozent. Nur knapp dahinter folgt das Länderspiel Deutschland - Frankreich der Herren mit einer durchschnittlichen Sehbeteiligung von 10,4 Millionen Zuschauenden und einem Marktanteil von 42,2 Prozent.
Streaming-Nutzung weiter steigend
Dass sich die mediale Nutzungsgewohnheiten verändern, belegen auch die Daten für die unter AGF-Messung befindlichen Streamingangebote: Im vergangenen Jahr hatten insgesamt 64,2 Millionen Personen mindestens einmal Kontakt mit einem Streamingangebot der Publisher, das entspricht 81,4 Prozent der Bevölkerung. Auch die durchschnittliche Sehdauer steigerte sich um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr und liegt 2023 bei durchschnittlich fünf Minuten pro Tag (2022: 4 Min.), sowohl bei den Zuschauenden ab drei Jahren als auch bei den 14- bis 49-Jährigen.
Der Ausweis und die Integration von weiteren Streamingangeboten und Plattformen wie DAZN, die seit Dezember 2023 unter AGF-Messung stehen, wird sich perspektivisch auch in insgesamt steigenden Streamingnutzungszahlen niederschlagen. Kerstin Niederauer-Kopf erklärt, warum: "Bereits jetzt sehen wir, dass - aufgrund der digitalen Herkunft der Plattform - beispielsweise die Bundesligaübertragungen von DAZN im Video-Streaming deutlich mehr Menschen als über den klassisch linearen Ausspielweg erreichen und damit den Streaminganteil im AGF-System erhöhen."
- Zugriffe: 4505