Der Sprach-Optimist Habecks „Rede des Jahres“ unter der Lupe
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Wer sonst? Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wurde für die „Rede des Jahres“ ausgezeichnet. Für seine Video-Ansprache zu Israel und Antisemitismus. Zu Recht? Unser Sprach-Optimist Murtaza Akbar (Foto) hat die Rede aus rhetorischer Sicht mal unter die Lupe genommen. Er geht konkret durch, welche Regeln herausragender Reden Habeck angewandt hat – und kommt zu einem klaren Schluss.
Von Murtaza Akbar, Neu-Isenburg
Kennen Sie das Wort Verve? Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck habe „mit Verve und hoher Emotionalität“ das Existenzrecht Israels verteidigt und auf die besondere Verantwortung Deutschlands hingewiesen. Ein Satz aus der Begründung des Seminars für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen, die den Vizekanzler vor wenigen Wochen für die „Rede des Jahres“ ausgezeichnet hat. Es geht um seine Video-Ansprache vom 1. November zum Thema Israel und Antisemitismus. Sie sei ein „Musterbeispiel für eine engagierte und bedeutsame politische Rede“. Ja, das ist sie zweifelsohne. Und sie zeigt, dass es gut ist, auch bei einem denkbar hochsensiblen Thema die klaren Regeln der Rhetorik anzuwenden, damit die Rede wirklich bei den Menschen ankommt.
Bilder
Habeck startet wie so oft mit seiner bevorzugten Formel und die lautet: in Bildern zu sprechen, auch wenn es drastisch ist. Es geht um „so viele Menschen, deren Leben von Angst und Leid zerfressen wird.“
Persönlich
Nichts ist authentischer und emotionaler als die eigene persönliche Sicht und Erfahrung. Hier bedient sich Habeck dafür seiner Vorfahren: „Dieses besondere Verhältnis zu Israel rührt aus unserer historischen Verantwortung: Es war die Generation meiner Großeltern, die jüdisches Leben in Deutschland und Europa vernichten wollte.“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bezieht eindeutig Stellung. Hier ein Screenshot aus seiner Rede vom 1. November 2023. (Quelle: BMWK)
Elementar
Wo anfangen? Natürlich fundiert. Daran gibt es nichts zu rütteln. „Deutschland ist verpflichtet zu helfen, dass dieses Versprechen erfüllt werden kann. Das ist ein historisches Fundament dieser Republik.“
Konkret
Eine der wichtigsten Regeln, die viele gerne mit Allgemeinplätzen umschiffen. Nicht so Habeck, denn er weiß: Wer nicht konkret wird, erreicht die Menschen nicht. Keine Chance. Deshalb sagt er: „Ich habe kürzlich Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Frankfurt getroffen. In einem intensiven, einem schmerzhaften Gespräch erzählten mir die Gemeindevertreter, dass ihre Kinder Angst haben, zur Schule zu gehen, dass sie nicht mehr in Sportvereine gehen, dass sie auf Anraten ihrer Eltern die Kette mit dem Davidstern zu Hause lassen.“
Klar
Viele Redner trauen sich nicht, vermeintlich einfache Wahrheiten auszusprechen. Vielen wirkt das zu simpel. Falsch, Klarheit gehört ausgesprochen – im Zweifel sogar mehrmals wie von Habeck: „Es braucht jetzt Klarheit, kein Verwischen. Zur Klarheit gehört: Antisemitismus ist in keiner Gestalt zu tolerieren – in keiner.“
Relation
Um die Dimension der Botschaft und vor allem der Situation klarzumachen, zieht Habeck einen Vergleich eines politischen Gegners heran und setzt ihn in die richtige Relation samt schmerzendem Bild. „Die Relativierung des Zweiten Weltkriegs, des Nazi-Regimes als ‚Fliegenschiss‘ ist nicht nur eine Relativierung des Holocausts, sie ist ein Schlag ins Gesicht gegenüber den Opfern und Überlebenden.“
Heiße Eisen
Wer keine Probleme im eigenen Revier anspricht, kann keine große Rede halten. Habeck geht dem Thema politische Linke nicht aus dem Weg. „Sorge macht mir aber auch der Antisemitismus in Teilen der politischen Linken und zwar leider auch bei jungen Aktivistinnen und Aktivisten. Anti-Kolonialismus darf nicht zu Antisemitismus führen. Insofern sollte dieser Teil der politischen Linken seine Argumente überprüfen und der großen Widerstandserzählung misstrauen. Das ‚beide Seiten‘-Argument führt in die Irre. Die Hamas ist eine mordende Terrorgruppe, die für die Auslöschung des Staates Israels und den Tod aller Juden kämpft.“
Schmerz
Den Schmerz benennen. Habeck schreckt auch hier nicht davor zurück – was er ohnehin selten macht – sein favorisiertes Stilmittel, in Bildern zu sprechen, bei der Benennung des Schmerzes einzusetzen. „Und das Leid der Zivilbevölkerung jetzt im Krieg ist eine Tatsache. Eine furchtbare. Jedes tote Kind ist eines zu viel.“
Schluss
Eine sehr gute Rede hat immer einen klaren, einprägsamen Schluss. Viele Redner versäumen das. Bei Habeck selbstverständlich. „Und deshalb gilt, unverrückbar: Das Existenzrecht Israels darf nicht relativiert werden. Die Sicherheit Israels ist unsere Verpflichtung. Deutschland weiß das.“
Vergleiche, Relationen, Beweise, Zahlen, Daten und Fakten sind die harte Währung von herausragenden Reden, die aber nur ankommen, wenn sie mit persönlichen Erfahrungen, Anekdoten und Beispielen als Roten Faden gespickt sind. Robert Habeck zeigt, dass es auch und gerade bei gesellschaftlich hochrelevanten Themen möglich ist. Klare, kurze Sätze und eine ebenso klare Wortwahl zu einer sehr schwierigen Situation. Chapeau.
Der Autor Murtaza Akbar ist Geschäftsführer von Wortwahl – Agentur für Unternehmens- und Onlinekommunikation in Neu-Isenburg. Der gebürtige Frankfurter mit pakistanischen Wurzeln ist zudem Dozent an der Hochschule Darmstadt sowie Speaker, Präsentations- und Rhetoriktrainer – hier geht’s zu seiner Speaker-Broschüre. Zu erreichen ist Murtaza Akbar per E-Mail oder LinkedIn.
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