Rezensionen Baerns: Leitbilder von gestern? Zur Trennung von Werbung und Programm

Rezension von Lars Rademacher, Hannover

Lange ist nach einer Antwort auf die Frage gesucht worden, wie man den neuen Darwinismus der Medienwelt begegnen soll: Wer die Marktmacht hat – und das sind zum Beispiel die großen Medienverbünde diesseits und jenseits der Milchstraße – der kann das Prinzip des Cross-Media-Campaigning bis zum Exzess ausreizen. Wie lässt sich dem Einhalt gebieten? Wo andere noch zweifeln, da sieht die Wissenschaftlerin mit ihrem Abstand doch dankenswerterweise besonders klar. Barbara Baerns erinnert mit ihrem Band, dass man es sich eigentlich nicht zu schwer machen sollte, denn eigentlich sind die Dinge geregelt: Werbung und Programm, Text und Anzeige – das gehört unterschieden und klar erkennbar getrennt von einander.


Aufbauen auf Vorarbeiten einer früheren Veröffentlichung aktualisiert die Herausgeberin die alte und neu entfachte Diskussion mit Hilfe mehrerer Beiträger, aber auch durch die Kompilation der wichtigsten Dokumente zum Trennungsgrundsatz (die gut 60 Seiten füllen). Im wissenschaftlichen Teil steht die juristische Perspektive zunächst im Mittelpunkt. Baerns selbst beginnt mit einem brisanten Beispiel, der Einführung des neuen 5er BMW im Jahr 2003, und geht von dort aus zurück in die Tiefen der Konfliktgeschichte und die diversen Regelungsversuche zur Aufrechterhaltung des Trennungsgrundsatzes, der 2002 erneut bestätigt wurde. Kenntnisreich arbeitet die Autorin heraus, wie die einzelnen Gewerke der Kommunikationspraxis – Werbung, PR und Journalismus – mit dem Trennungsgebot und dessen jeweiliger Aktualisierung im eigenen Genre umgehen. Ihr Fazit: Die Aufweichung der Trennung ist in jedem der drei Gewerke in der jeweiligen Operationsweise fortgesetzt spürbar. Er ergeben sich Kopplungsszenarien, die sich dysfunktional auf die belange des Zuschauers, Hörers, Lesers auswirken (41f.).

Tiefer in die Rechtsprechung geht anschließend Joachim Bornkamp. Nicole Elping stellt das Thema auf eine europäische Basis und vergleicht parallele und abweichende Grundsätze in unserer Nachbarschaft. Dort ist festzustellen, dass eigentlich in ganz Europa das diffizile Verhältnis von Kontrolle und Freiheit der Medien über die nachträgliche Beurteilung der Berichterstattung gelöst wird, um sich nicht dem Vorwurf der Zensur auszusetzen. Ihr Fazit: In allen anderen Ländern – außer Deutschland, wo man ganz auf die Kräfte des Marktes und Selbstkontrolle vertraut – ist die Notwendigkeit einer externen Kontrolle der Medien anerkannt. Das hierzulande als besonders prekär empfundene Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Kontrolle ist andernorts unbekannt.

Nach einer differenzierten Verteidigung der Selbstregulierung durch den Werbelobbyisten Volker Nickel, der sich gegen eine Ausweitung der EU-Richtlinien zur Werbung wendet und eine Aktualisierung der Verständnisses für eine "zeitgemäße Marktkommunikation“ verlangt, gelangt Michael Krzeminski zu der Erkenntnis, dass die multimediale Aufarbeitung des Problems schon längst zu einer Neudefinition des Problems geführt hat, wo aus einen strikten Gegenüber Vorteile für beide Seiten werden können. Lutz Tillmanns vom Deutschen Presserat zieht aus der Darlegung einer Reihe einschlägiger Verfahren die Erkenntnis, dass Börsenhype und Jubelberichterstattung der letzten Jahre der Qualität der Wirtschaftsberichterstattung klar geschadet haben. Die Journalisten mahnt er zu mehr zur Wiederentdeckung ihrer Sorgfaltspflichten.

Mit medienethischen Codizes beschäftigt sich Stephan Russ-Mohl – allerdings ein wenig knapp. Aber das mag auch daran liegen, dass die Frage weniger theoretisch als empirisch komplex ist und sich somit systematisch recht schnell behandeln lässt. Dabei kommt ein schönes Diagramm über den vierfachen Filter professionellen Handelns in Journalismus und PR heraus, das zumindest deskriptiv gut einsetzbar scheint. Aus Unternehmenssicht erhält Johannes Schultz die Möglichkeit, die Geschichte von BMW und James Bond zu erzählen. Er plädiert – durchaus mehrdimensional und reflektiert – für einen unverkrampfteren Umgang mit Product Placement, das nicht zuletzt dadurch in Deutschland einen "positiven Schub“ erfahren habe, dass BMW mit dem Thema und seinen Marketing-Zielen von Anfang an offen umgegangen sei. Dem schließt sich eine Studie von Roland Burkart, Martin Kratky und Liselotte Stalzer zum Wandel von Advertorials an – etwas für Freunde der empirischen Arbeit.

Auch empirisch, aber mit anderem Erkenntnisinteresse beschäftigt sich Jens Woelke mit Möglichkeiten, die wahrnehmungsseitige Unterscheidung von Werbung und Programm zu erheben. Wie geht denn der Rezipient mit den Inhalten um? Sind die Unterschiede für ihn noch erkennbar? Die Antwort: Das hängt ab vom Format! Bei Fernsehserien sind Placements offenbar schwerer zu unterscheiden als bei Nachrichtenprogrammen und reinrassiger Werbung. Das überrascht nicht. Und Woelke findet auch die Erkenntnis bestätigt, dass Rezipienten Werbung nicht unbedingt als Werbung rezipieren müssen, sondern teilweise auch nach anderen Rezeptionsmodi (z.B. als unterhaltenden Text) verarbeiten. Spät, sehr spät kommt in der fortschreitenden Konvergenz der Medien- und Kommunikationswissenschaften in solch einer schönen Studie zum Tragen, dass die empirische Forschung vielleicht ein Stück schneller an ihr Ziel gekommen wäre, hätte sie die Erkenntnisse der Medienphilologie zu Gattungs- und Genrewissen früher aufgegriffen.

Der abschließende Text von Joachim Westerbarkey darf als einer der Höhepunkte des Bandes gelten, liefert er doch so etwas wie eine Fortschreibung von des 1995 in der Publizistik erschienenen Textes "Journalismus und Öffentlichkeit“ durch Anleihen in der Frametheorie. Nach einer gut gewichteten und ausführlichen Herleitung postuliert der Autor den Differenzverlust der Sphären Journalismus, Werbung und Entertainment als Risiko.

Das Fazit: Dieser Band gehört in jeden kommunikations- und medienwissenschaftlichen Bücherschrank, auch wenn ihm mindesten ein Beitrag fehlt: Eine genauerer Aufarbeitung der immer relevanter werdenden Medienkooperationen. Doch die sind sicher nur schwer zu beschreiben, schon deshalb, weil sicher kaum einer über sie reden wollen wird.

 

Buchtitel: Baerns: LeitbilderBarbara Baerns (Hsg.): "Leitbilder von gestern? Zur Trennung von Werbung und Programm. Eine Problemskizze und Einführung"; VS-Verrlag, Wiesbaden; 2004; 292 Seiten; Preis: 34,90 Euro; ISBN: 3-531-13354-3.

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