Unternehmen PR-Desaster: Kundenschelte von VW-Chef Müller löst Unverständnis aus

Mueller Matthias VorstandsvorsitzenderVWAGUnter der Überschrift „Volkswagen: Müller muss Wandel der Unternehmenskultur erreichen – daran wird er gemessen“ veröffentlichte das „PR-Journal“ am 28. September 2015 eine kritische Bestandsaufnahme, kurz nachdem Martin Winterkorn zurückgetreten war. Mehr als ein Jahr danach kommt die Diskussion rund um den VW-Abgasskandal immer noch nicht zur Ruhe. Nach den zuletzt kritisch geführten Diskussionen zur Rückrufaktion des VW-Konzerns kritisiert VW-Chef Matthias Müller (Foto) im Zuge der Vorstellung der beschlossenen Umstrukturierung des Konzerns das Verhalten seiner Kunden. In einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (F.A.S) ließ er anklingen, die Kunden würden lediglich auf die Entschädigungszahlungen in den USA schielen. Dabei könne die Situation in den USA und Deutschland nicht verglichen werden. Am Umweltschutz sei den Kunden hingegen wenig gelegen; insbesondere würden kaum Elektrofahrzeuge gekauft, so Müller. Diese Art von Kundenschelte löste nicht nur unter Kommunikationsexperten Befremden aus. Jetzt äußerte sich auch die Anwaltskanzlei Baum Reiter & Collegen aus Düsseldorf öffentlich. Sie vertritt im VW-Abgasskandal eine Vielzahl von Aktionären und Autofahrern.

Der deutsche VW-Käufer blicke verärgert auf die Entschädigungspraxis in den USA, gab die Düsseldorfer Rechtsanwaltskanzlei Baum Reiter & Collegen zu Protokoll, bei der auch der frühere Bundesinnenminister Gerhard Baum tätig ist. Seine Kollegen kritisierten die Ungleichbehandlung. In den USA nämlich erhielten die VW-Fahrer Zahlungen von bis zu 10.000 Euro. Überdies bietet VW eine Rücknahme des Fahrzeugs an. Hierzulande hingegen bitte der VW-Konzern seine Kunden lediglich zum Softwareupdate.

VW-Chef Matthias Müller weist indes auf die völlig unterschiedliche „Ausgangssituation“ in den USA und Deutschland hin. Den deutschen Anspruchsstellern wirft er „Rosinenpickerei“ vor. Viele Bürger würden die amerikanische Gesetzgebung zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Handelsabkommen TTIP kritisieren. Wenn es für Verbraucher aber darum ginge, selbst Vorteile zu erzielen, würde das amerikanische Recht aber als Maßstab herangezogen werden. In Deutschland bestehe schon kein Grund für eine entsprechende Entschädigungszahlung. Denn mit der Nachrüstung per Softwareupdate würde der Mangel restlos behoben, meint Müller, und wiederholt damit die bereits bekannte Auffassung des VW-Konzerns.

Rechtsanwalt Julius F. Reiter sagte dazu: „Von den Entschädigungsansprüchen aus dem Abgasskandal den Bogen zum Handelsabkommen TTIP zu schlagen, ist absurd. Die beiden Sachverhalte haben keine Gemeinsamkeiten. Die deutschen VW-Käufer beobachten lediglich aufmerksam, wie mit ihnen im Vergleich zu VW-Kunden in den USA umgegangen wird. Die Unterschiede sind bekanntlich gravierend. Deutsche VW-Fahrer fühlen sich daher – unabhängig von der nationalen Gesetzeslage – als Kunden 2. Klasse. Durch die jüngsten Äußerungen von Herrn Müller werden die WV-Kunden in diesem Gefühl erneut bestätigt.“

Gegen die erneute Behauptung, deutsche VW-Fahrer würden aufgrund der angebotenen Nachrüstung gar keinen Schaden erleiden, wendet Reiter ein: „Selbst wenn es VW gelänge eine Nachrüstung ohne die im Raum stehenden Nachteile wie Mehrverbrauch oder Leistungsverlust umzusetzen, so bleibt das betroffene Fahrzeug doch unvermeidlich mit einem Mangel behaftet, der jedenfalls zu einem merkantilen Minderwert führt.“

In der Tat dürften manipulierte VW-Fahrzeuge mit Unfallfahrzeugen vergleichbar sein. Der Preis für solche Fahrzeuge richtet sich nach Angebot und Nachfrage auf dem Fahrzeugmarkt. „Als Autokäufer würde ich mir genau überlegen, ob ich zum Beispiel 20.000,00 Euro für ein Fahrzeug ausgebe, dass mit der Manipulationssoftware ausgestattet war. Denn für den Kunden bleibt – als in der Regel technisch nicht näher versiertem Verbraucher – absolut ungewiss, ob die Nachrüstung später ggf. doch noch zu Schäden am Fahrzeug führt“, so Rechtsanwalt Reiter.

Nach alledem ist für die Kritik des VW-Chefs Matthias Müller an seinen Kunden kein Raum. Insbesondere der Vorwurf des mangelnden Interesses von Autokäufern an Elektrofahrzeugen, die schließlich zum Umweltschutz beitragen würden, hinkt. „Dass der Absatz von Elektrofahrzeugen hinter den Herstellererwartungen zurückbleibt, liegt nicht an potenziellen Käufern, sondern insbesondere daran, dass die geringe Reichweite der angebotenen Elektroautos die Alltagstauglichkeit einschränkt. Es gibt in Deutschland noch kaum Infrastruktur für Elektroautos. Viele Interessenten von Elektrofahrzeugen fürchten die vergebliche Suche von Stromtankstellen. Anstatt Kunden-Bashing zu betreiben, wäre VW gut beraten darauf hinzuwirken, dass zunächst einmal diese Probleme gelöst werden“, bemängelt Reiter weiter.

Die Anwürfe gegenüber VW-Kunden sind befremdlich. VW sollte im Gegenteil lieber auf die Kunden zuzugehen. Nur auf diese Weise kann es dem VW-Konzern gelingen, das Vertrauen am Fahrzeugmarkt zurückzugewinnen.

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