Kommentare Marketing: Schutz vor dem Content-Crash

Nacken-Holger GfergoJeder Börsenprofi weiß: Berichtet die „Bild“-Zeitung auf Seite Eins über Aktien, ist die Zeit gekommen, sich aus dem Markt zu verabschieden. Der Hintergrund ist einfach: Wenn alle über Dividendentitel reden, haben auch fast alle welche im Depot. Es gibt mehr potenzielle Verkäufer als Käufer. In dieser Situation reicht oft schon eine kleine schlechte Nachricht aus, um eine Verkaufshysterie auszulösen. Hallo Crash.

Gelten ähnliche Regeln auch für die Kommunikationsbranche? Es sei dahingestellt, ob ein Medium wie „Werben & Verkaufen“ die „Bild“-Zeitung der Marketing-Szene ist. Jedenfalls tauchen hier ebenso wie in anderen einschlägigen Fachpublikationen in jüngster Zeit immer häufiger Berichte über Unternehmen auf, die sich auf Content Marketing stürzen. Alle wollen zu Redaktionen werden und ihre Kunden und Interessenten laufend mit spannenden Inhalten versorgen. Sei es der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), der Wirtschaftsprüfer KPMG oder der immer wieder als Beispiel genannte Brause-Hersteller Red Bull. Die Begeisterung für das Thema lässt sich auch bei Google-Trends ablesen. Unten ist dargestellt, wie oft der Begriff „Content Marketing“ in Suchanfragen auftaucht. Die Kurve steigt seit 2011 steil an.

Google-Kurve

 

 

 

Doch wie lange noch? Interessant ist in diesem Zusammenhang der von Google mit dem Buchstaben B markierte Eintrag. Dahinter verbirgt sich eine Studie von Forrester Research aus dem Juli 2014. Kernaussage: Rund 85 Prozent der Marketing-Verantwortlichen geben an, dass ihre eigene Content Strategie bisher nicht dazu führe, mehr Geschäft zu generieren. Eins ist klar: Spricht sich diese Erkenntnis erst einmal bis zu den Vorständen herum, gibt es Personalgespräche. Droht der Content-Welle das baldige Aus?

Das ist nicht zu befürchten. Schließlich ist auch das Internet nicht deshalb verschwunden, weil um die Jahrtausendwende die Tech-Blase an der Börse platze. Die Grundidee des Content Marketings ist schließlich weiterhin valide: Menschen interessieren sich für gute Geschichten. Doch im Umgang mit dem Thema dürfte sich einiges ändern.

Es geht um die Kernfrage: Wenn alle senden wie die Weltmeister, wer hat Zeit die Inhalte zu konsumieren? Schon jetzt sieht sich der durchschnittliche Konsument mit 5.000 Werbebotschaften pro Tag konfrontiert. Klar: Im Wettbewerb um die knappe Zeit der Nutzer siegen Inhalte mit Qualität. Doch was genau zeichnet die aus? Zwar haben die meisten Unternehmen begriffen, dass eine Content-Strategie sich nicht darin erschöpft, ihre Pressemeldungen jetzt auch auf Facebook zu posten. Aber selbst bei etablierten Content-Angeboten stellt sich die Frage: Sind die Inhalte wirklich spannend und relevant für die Zielgruppe? Mein Kollege Tobias Mündemann warnt auf seinem Blog „Äpfel mit Birnen“ zu Recht vor einer neuen Beliebigkeit.

Ein genauer Blick hinter die Kulissen gefeierter Content-Marketing-Angebote ist mitunter sehr aufschlussreich. Die Coca-Cola-Journey-Website beglückt ihre User aktuell zum Beispiel mit einem Stück über „den inneren Sonnenschein“. Zum Einstieg heißt es: „Wie sieht die Welt von morgen aus? Geht sie unter? Oder werden wir Mauern und Grenzen überwinden? Wie es scheint, gehört die Welt den Optimisten. Auch wenn jeder weiß, dass es nicht immer so gut ausgeht.“ Nun klar, morgen kann es regnen oder auch nicht. Um was es im Text geht, erfährt der Leser erst drei Zeilen weiter: Eine israelische Neurowissenschaftlerin hat herausgefunden, dass positives Denken in der Struktur unseres Gehirns angelegt ist. An sich eine spannende Geschichte, doch leider fehlt dem Stück jegliche Einordnung. Was folgt aus ihrer Entdeckung? Was sagen Kollegen? Was läuft bei Depressiven falsch? Am Ende des Textes erfährt der Leser dann, um was es eigentlich geht: „Optimismus kann die Welt verändern! Und genau diesen Optimismus macht Coca-Cola in seinem aktuellen Werbespot zum Thema.“ Der folgt dann im Anschluss.

Nun wäre es unfair, die an sich sehr professionell gemachte Journey-Seite pauschal als bunt verkleidete Werbung zu deklassieren. Aber: Eine Kombination aus beliebigen Botschaften und wenig Relevanz wird im Kampf um die Aufmerksamkeit der Zielgruppe auf Dauer einen schweren Stand haben. Mitunter fehlt es im Content-Dschungel schlicht an Sorgfalt, Ideen und Qualität. Wer auf dem überfüllten Markt künftig eine Chance haben will, sollte sich deshalb zu Herzen nehmen: Auch die Verwendung der schönsten Buzzwords hilft wenig, wenn sich dahinter keine Substanz verbirgt.

Über den Autor: Holger Nacken ist Mitglied der Geschäftsführung und Partner bei ergo Kommunikation in Köln. Beachten Sie weitere Beiträge von Nacken im Blog „Bare Münze“ von ergo.

Seitennavigation