von Dietrich Schulze van Loon, Molthan van Loon Communications Consultants (GPRA), Hamburg
Die Vergabe öffentlicher Aufträge war schon immer ein heikles Thema. Bei einem Gesamtvolumen von derzeit 250 Milliarden Euro sind die Interessenlagen zu unterschiedlich, als dass Einvernehmlichkeit die Vergabepraxis prägen könnte. Formale und rechtliche Bestimmungen gilt es dennoch einzuhalten – auch seitens der politischen Entscheidungsträger. Ausgerechnet jetzt, parallel zur Neuordnung des Vergaberechts, muss sich das Bundespresseamt mit Mauscheleivorwürfen auseinander setzen. Alles anstandslos oder doch eher ohne Anstand?
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) ist für die Grundsätze und Regelungen des öffentlichen Auftragswesens verantwortlich. Das hierbei anzuwendende Vergaberecht umfasst laut Bundesministerium „alle Regeln und Vorschriften (…), die das Verfahren für die öffentliche Hand beim Einkauf von Gütern und Leistungen vorschreiben. Immer dann, wenn ein Bundesministerium oder eine Landesbehörde z.B. Papier oder Büromöbel beschaffen oder ein neues Bürogebäude errichten lassen will, muss es diese Regeln beachten.“ „Zugleich“, erklärte Bundeswirtschaftsminister Michael Glos noch am 28. Juni die vielleicht wichtigste Funktion des Vergaberechts, „soll dem Steuerzahler Geld gespart werden durch wirtschaftlichen Einkauf.“
Sicherlich eine gute Sache dieses öffentliche Auftragswesen. Aber erst wer sich offiziell um einen Auftrag bemüht, lernt es in Gänze kennen: Zweifelsfrei handelt es sich dabei um ein Wesen höherer Natur – schwerfällig und bürokratisch, zugleich unglaublich detailliert und um formale Gesetzestreue bemüht. Kein Wunder, dass viele Unternehmen diesem Wesen zwei generelle Schwächen unterstellen: Ineffizienz und fehlende Transparenz. Folglich scheuen immer mehr Unternehmen den enormen personellen und finanziellen Aufwand – und beteiligen sich erst gar nicht mehr an Ausschreibungen.
Vom Verdacht zur Prüfung
Hinzu kommt ein aktueller Verdacht, der momentan die Agentur-Landschaft, insbesondere die Gesellschaft Public Relations Agenturen e.V. (GPRA), Verband der führenden PR-Beratungsunternehmen, beschäftigt: Bei der Suche des Bundespresseamtes nach einer Beratungsagentur für den Großauftrag Entwicklung und Umsetzung von Kommunikationsstrategien der Bundesregierung ist es zu Ungereimtheiten gekommen, die den Schluss zulassen, das Amt habe eine Agentur einseitig bevorzugt und die gesetzlichen Ausschreibungskriterien nicht ordnungsgemäß angewandt. Mit Pergamon, einer taufrischen Ausgründung von Scholz & Friends, sollte eine Agentur den Zuschlag erhalten, die noch nicht einmal die elementarsten Zuschlagskriterien erfüllt – anders als die renommierten, ebenfalls in die Endrunde vorgestoßenen Agenturen FischerAppelt Kommunikation, Johanssen + Kretschmer in Bietergemeinschaft mit Pleon und BBDO Campaign, McCann Ericksson, MediaConsulta, Publicis, Saatchi & Saatchi und Shanghai Berlin. Erst eine Veröffentlichung der ‚Süddeutsche Zeitung’ vom 16. September löste die Ankündigung einer Überprüfung innerhalb des Bundespresseamtes aus – mit der Folge einer Entscheidungsfristverlängerung auf den 19. Oktober.
Ein Artikel des Fachmagazins ‚Werben & Verkaufen’ legt außerdem nahe, dass mehrere Teilnehmer der (CDU-dominierten) Jury bei der Bewertung der Agenturen Punktevergaben laut vorab getroffener Absprache einheitlich vorgenommen haben – mit geradezu diskriminierenden Ergebnissen u. a. hinsichtlich der Erfahrung, Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit von sieben der insgesamt acht genannten Agenturen. Daraus ließe sich schließen, dass nach Auffassung besagter Juroren sieben der führenden Agenturen Deutschlands in keiner einzigen Kategorie ein Ergebnis abgeliefert haben, das besser als mangelhaft war.
Sollte die Scholz & Friends-Agentur Pergamon schon aus formalen Gründen jetzt nicht mehr den Zuschlag erhalten, so könnte die zweit-platzierte Agentur Saatchi & Saatchi zum Sieger erklärt werden – vorausgesetzt das Vergabeverfahren an sich wird, inklusive eines als neutral zu bewertenden Abstimmungsverhaltens jedes einzelnen Jurymitglieds, als korrekt eingeschätzt. Doch auch wenn Michael Sternecker, Stellvertretender Chef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Absprache-Vorwürfe als „abenteuerlich“ zurückgewiesen hat: Es darf gezweifelt werden. Nicht zum ersten Mal bringen in der Sache ähnliche Vorwürfe die gelebte Praxis öffentlicher Vergaben in Misskredit.
Sicher, gegen Mauscheleien ist kein Kraut gewachsen. Aber sie sollten die Ausnahme und nicht die Regel sein.
Da der Fall nicht nur einzelne Agenturen, sondern eine ganze Branche betrifft, prüft die GPRA derzeit rechtliche Schritte. Einerseits geht es um finanzielle Schäden – im aktuellen Fall beträgt der zu vergebende Gesamtetat mehr als 20 Millionen Euro – andererseits um Reputation: Agenturen wollen entsprechend ihrer tatsächlichen Leistungen und nicht subjektiv und interessengebunden bewertet werten.
Reputation: mehr als schöner Schein
Um seine Reputation sollte es allerdings auch dem Bundespresseamt gehen – nicht zuletzt, weil es stärker als viele andere Instanzen der Wahrung öffentlicher Interessen dienen soll und schon deshalb in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit eine zentrale Rolle spielt: Sollten Zweifel an der Redlichkeit des Verfahrens bestehen bleiben, wäre der Vertrauensschaden immens. Die Gesellschaft verlangt heute von Unternehmen Offenheit, aber auch von Verbänden, Organisationen und insbesondere politischen Gremien. Sollten auch nach offizieller Verkündung eines Etatgewinners durch das Bundespresseamt noch Fragen offen bleiben, dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Widerspruch erfolgen, der zunächst eine Einsicht durch die Vergabekammer Bonn und dann, fast zwangsläufig, eine gerichtliche Klärung nach sich ziehen würde. Während solch eines Nachprüfungsverfahrens darf der Auftraggeber den Zuschlag nicht erteilen. Schneller umsetzbar wäre da voraussichtlich sogar eine Aufhebung des gegenwärtigen Vergabeverfahrens – inklusive anschließender Neuausschreibung.
Die GPRA beschäftigt sich schon länger mit der Vergabeverordnung und ihrer Umsetzung. Bereits im Januar hatte sie anlässlich einer Veranstaltung in Berlin auf Defizite im Verfahren, insbesondere in der Vergabepraxis, aufmerksam gemacht.
Verlierer ist der Mittelstand
Zweifellos ist das Vergabe-Problem multidimensional. Es hat nicht nur kommunale und nationale, sondern – spätestens seit Einführung des geltenden EU-Rechts – auch internationale Relevanz. Schon im Mai 2004 hatte die Bundesregierung „Eckpunkte für eine Verschlankung des Vergaberechts“ beschlossen. Doch noch am 28. Juni 2006 verkündete die Bundesregierung in ihrem Beschluss über Schwerpunkte zur Vereinfachung des Vergaberechts im bestehenden System u. a. (Auszug): „1. Der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie wird gebeten, bis Ende dieses Jahres einen Gesetzentwurf zur Vereinfachung und Modernisierung des deutschen Vergaberechts im bestehenden Rechtssystem vorzulegen. 2. Dabei ist sicherzustellen, dass die Transparenz bei allen Vergabeverfahren erhöht wird. 3. Außerdem sind Vorgaben des EU-Vergaberechts 1:1 umzusetzen (…) 4. Unterschiedliche Rechtsbegriffe für gleiche Sachverhalte in den Vergabeordnungen sind zu vermeiden. 5. Die Vergaberegeln sind auf das notwendige Maß zu beschränken; überflüssige bürokratische Vorgaben sind zu streichen.“ Und: „6. Um Wachstum und Beschäftigung im Mittelstand zu fördern, ist auf eine mittelstandsgerechte Ausgestaltung des künftigen Vergaberechts besonders zu achten (…).“
Die Problematik ist den Beteiligten also seit langem bekannt. Am 22. September hat der Bundesrat nun die „Dritte Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung“ beschlossen. Die geänderte Verordnung überträgt primär die EU-Richtlinie in deutsches Recht. Eine Lösung im Sinne von Verschlankung und erhöhter Transparenz ist damit noch nicht in Sicht.
Verordnung ohne Sinn?
Das größte Problem aller Verbesserungsansätze dürfte die schier unglaubliche Detailversessenheit der Vergabeverordnung sein, verstärkt durch die Beteiligung einer Vielzahl von Instanzen. Einerseits ist die Beteiligung zahlreicher unterschiedlicher Player am Vergabeverfahren unvermeidbar und sogar unverzichtbar, andererseits verderben viele Köche bekanntlich den Brei.
Exemplarisch zwei Beispiele für die Verworrenheit der Entscheidungswege: Zunächst eine Empfehlung des federführenden Wirtschaftsausschusses, des Finanzausschusses und des Ausschusses für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung gegenüber dem Bundesrat, dokumentiert am 8. September 2006 im Bundesanzeiger, Drucksache 476/1/06. Die Ausschüsse empfehlen darin dem Bundesrat, der Verordnung gemäß Artikel 80 Abs. 2 des Grundgesetzes nach Maßgabe einer ganzen Reihe von Änderungen zuzustimmen und eine Entschließung zu fassen, die unter dem Punkt „Entschließung des Bundesrates zur Vereinfachung des Vergaberechts im bestehenden System“ u. a. folgenden Text enthält: „(…) Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die Entbürokratisierung und Vereinfachung des Vergaberechts voranzutreiben und dabei insbesondere zu prüfen, ob im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Vergaberegeln in der Praxis das materielle Vergaberecht nicht grundsätzlich in den Verdingungs- und Vergabeordnungen geregelt werden kann. In diesem Zusammenhang ist auch zu prüfen, ob die Vergabeverordnung dann überhaupt noch erforderlich ist.“ Zweifellos eine ernüchternde Fragestellung. Geht es noch um Vereinfachung oder doch eher um die Verwaltung des Turmbaus zu Babel?
Dass derzeit auch international die Vergabe-Wogen hoch schlagen, zeigt eine aktuelle Klage, welche die Bundesregierung am 14. September erhoben hat. Sie richtet sich gegen die Mitteilung der Europäischen Kommission zu nicht von den europäischen Vergaberichtlinien erfassten Auftragsvergaben: Mit der Mitteilung, so das Bundespresseamt, werde faktisch ein eigenes „Vergaberegime“ insbesondere für die Aufträge unterhalb der Schwellenwerte der Vergaberichtlinien geschaffen. Nach dem Willen des europäischen Gesetzgebers seien jedoch für kleine Aufträge allein die Mitgliedstaaten zuständig. Europäische Gesetzgebung sei Sache des europäischen Gesetzgebers, des Ministerrates und des Europäischen Parlaments, nicht aber der Kommission.
Abhilfe schaffen
Zweifellos gibt es für Mittelständler – und damit praktisch alle Agenturen – zahlreiche gute Gründe, sich nicht an Ausschreibungen zu beteiligen. Das aber kann und darf nicht das Fazit der aktuellen Diskussion sein. Tatsächlich lässt sich bei der Komplexität der Materie im Hauruck-Verfahren nichts bewegen. Entscheidend ist der gemeinsame Wille zur Veränderung, gefolgt von konkreten Aktivitäten im richtigen Rahmen.
Die GPRA arbeitet u. a. mit dem Forum Vergabe (www.forum-vergabe.de) zusammen, welches auf europäischer Ebene mit dem von ihm mit gegründeten „European Regulated Procurement Association (ERPA)“, Brüssel, kooperiert. GPRA und Forum Vergabe fördern vor allem den für die Praxis unverzichtbaren Informations-, Erfahrungs- und Meinungsaustausch zu allen aktuellen Themen des nationalen und internationalen öffentlichen Beschaffungswesens.
Dringend erforderlich ist mehr Transparenz schon bei der Ausschreibung: genaue Auswahl- und damit Entscheidungskriterien, zum Beispiel hinsichtlich tatsächlich geforderter Detailkenntnisse und relevanter Kompetenzen, würden potenziellen Bewerbern helfen, ihre Chancen realistischer einzuschätzen – gegebenenfalls auch mit der Folge eines Zeit und Kosten sparenden Teilnahmeverzichts. Gleichzeitig kann man, ohne jeglichen Qualitätsverlust, auf einen enormen Wust an Nachweisen – von polizeilichen Führungszeugnissen und Bankerklärungen bis hin zu eidesstattlichen Erklärungen über Steuerzahlungen aller Beteiligten – verzichten. Die tatsächlich sinnvollen Fragen und Nachweis-Anforderungen sollten stärker als bisher standardisiert werden – um so beiden Seiten Aufwand zu sparen.
Kaum zu erspüren ist derzeit außerdem die Preissensitivität des jeweiligen Auftraggebers: Wem nützt beispielsweise höchste inhaltliche Qualität, wenn letztlich ein – im Zweifelsfall natürlich billigeres – Standardangebot das Rennen macht? Hier bedarf es entsprechender Parameter, welche die Gewichtung von Qualität und Preis einschätzbar machen. Regelmäßig sollten Auftraggeber außerdem ihrer Informationspflicht nachkommen: Wer soll den Zuschlag bekommen? Wie wurden die Kriterien angewandt? Wie wurde die Leistung der eigenen Agentur bewertet? Laut Verordnung stehen diese Informationen allen Ausschreibungsteilnehmern schon heute zu.
Zu gewährleisten ist nicht zuletzt die echte Qualifikation von Auftraggebern bzw. Jurymitgliedern für die Beurteilung angebotener Leistungen: Sie müssen schließlich reale, aufwändig zu erbringende Leistungen von Potemkinschen Dörfern unterscheiden können. Entscheidern fehlt oft das notwendige Know-how, selbst wenn sie innerhalb ihres Ressorts hoch qualifiziert sind. Ein Handbuch, speziell fach- und branchenspezifisch für potenzielle Auftrageber erstellt, könnte hier im Rahmen von Ausschreibungen qualifizierend wirken. Es würde dazu beitragen, Agenturen, bzw. Interessenten die wirklich relevanten Fragen zu stellen. Dabei könnte die GPRA – wenn der entsprechende Bedarf erkannt und offen kommuniziert wird – helfen.
Gefragt ist Konsens
Konkrete Chancen, eine wirklich praxisgerechte Ausgestaltung des Vergaberechts zu realisieren, bieten sich noch auf einer anderen Ebene: Nach erfolgter Zustimmung durch den Bundesrat werden die so genannten Verdingungsausschüsse DVA und DVAL ihre Arbeit aufnehmen. Laut BDI, DIHK und ZDH will die Bundesregierung deren Einfluss allerdings verringern. Doch genau auf dieser Ebene lässt sich das frisch modifizierte Vergaberecht wirklich praxisgerecht ausgestalten bzw. umsetzen. Stellvertretend für die Kommunikationsbranche bietet die GPRA bei der Erarbeitung praxisgerechter Rechtsnormen ihre konstruktive Mitwirkung an, um so die Verschlankung des Vergaberechts zu konkretisieren, die Transparenz zu verbessern und damit zugleich manipulativen Tendenzen – siehe oben – verstärkt entgegenzuwirken.
Entscheidend wird in dieser weit fortgeschrittenen Prozessphase das konsensorientierte Verhalten aller verantwortlich Beteiligten sein, um bei der Entrümpelung des öffentlichen Auftragwesens den bestmöglichen Weg zu finden und zugleich teure Zeitverluste zu vermeiden. Das ist auch eine Frage des Anstands. Es geht immerhin um 250 Milliarden Euro. Das ist viel Geld – und es ist das Geld des Steuerzahlers.
Der Autor
Dietrich Schulze van Loon wurde am 16. Juni 1953 in Hamburg geboren. Nach dem BWL-Studium und dem Abschluss als Diplom-Kaufmann begann Dietrich Schulze van Loon 1979 als Berater bei IP INFORMATIONEN/ PUBLIC RELATIONS Dr. Reiner Schulze van Loon. Von 1990 bis 1996 war er Mitglied des Top Managements von EURO RSCG International Communications. 1996 wurde er geschäftsführender Partner bei European Communications Consultants (ECC, heute Pleon) und bei Kohtes Klewes GmbH. 2002 gründete er mit Kerstin M. Molthan die Molthan van Loon Communications Consultants GmbH (GPRA), den einzigen Exclusive Associate Partner von PLEON worldwide in Deutschland. Seit 2005 ist er Präsident der GPRA.
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