Boris Barschow: Kabul - Ich komme wieder. vive! verlag, Lüneburg 2007 (€ 16,80), http://www.vive-verlag.de/ ISBN-10: 3939912018. Das Buch hier direkt bei amazon.de bestellen.
Rezension von Wolfgang Reineke, Heidelberg
Der Autor des vorliegenden Buches hat Episoden und Bekenntnisse mit Tagebuchcharakter zu einem mitreißenden Lesevergnügen gemacht. Wir verfolgen das Eintauchen eines Vollblutprofis in lokale Kulturen und seine eigene Entwicklung in einem für ihn nicht mehr aufzuhaltenden Prozeß und einer tiefen Sehnsucht. Bisher unbekannte Informationen und tiefere Einsichten gehen weit über die herkömmliche Berichterstattung in deutschen Medien hinaus, die sich oft auf sensationelle Nachrichten (z. B. über Anschläge) und hausgemachte Vermutungen beschränken.
Boris Barschow, Jahrgang 1967, Berufsjournalist (Redakteur und Reporter ZDF, Heute-Journal), ging Anfang 2007 nicht als Reporter, sondern als Soldat nach Afghanistan. Sein Fazit: "Afghanistan, Kabul und viele Menschen haben mein Leben verändert." Und: "In meinem Beruf, in dem ich Geschichten weitertrage, glaube ich nur das, was ich mit eigenen Augen sehe." Vor Ort verhielt sich der Autor keineswegs wie ein klassischer embedded journalist in einer Uniformverkleidung. Einer seiner Mentoren, Generalleutnant a.D. Walter Jertz dazu: "…nicht nur die Kleidung hat Boris Barschow getauscht, auch sein Denken, Handeln und Fühlen haben sich verändert, seit er sich als Chefredakteur der Zeitung 'Sada-e-Azadi' (Stimme der Freiheit) in Afghanistan aufgehalten hat."
Barschow erlitt nicht in Afghanistan einen Kulturschock. Den bekam er bei seiner Rückkehr nach Deutschland durch den Wissensstand und die Einstellung seiner Kollegen in der Heimat.
"Mein Einsatz in Afghanistan war mit Sicherheit eine journalistische Gratwanderung. Es gibt Journalisten-Kollegen, die mir heute Einseitigkeit vorwerfen. Wenn ich ihnen aber erkläre, daß ich in Afghanistan eine andere Realität vor fand als die, die wir aus unseren Medien kennen, und daß ich dort oft hinter die Kulissen schauen konnte, gehen ihnen die Argumente aus.
Ich sage: 'Stell Dir vor, Du siehst einen Stein und fragst Dich, was wohl unter ihm sein mag.' Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder man läßt ihn einfach liegen oder man hebt ihn auf und schaut einfach nach. Ihn liegen zu lassen und ihn mit Worten zu beschreiben, ist die eine Realität, die Ameisen unter ihm zu entdecken eine ganz andere, und damit ergibt sich eine völlig neue Geschichte. (S. 282) … Und nur weil ich dort unten war, habe ich noch lange nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen. Wenn ich aber eines gelernt habe, dann ist es, besser bewerten zu können. Nämlich die Gewichtung bestimmter Themen, denen wir als Journalisten gesellschaftspolitisch verpflichtet sind. Und der Bürger hat ein Recht darauf, zu erfahren, was unsere Regierung ihren Wählern zumutet - auch den Menschen, die als Soldat ihr Leben riskieren.
Ich habe am eigenen Leibe gespürt, wie sich das anfühlt. Riechen, fühlen und schmecken - die Grundregel eines jeden Journalisten. Das lernt jeder Volontär, jeder Hospitant, jeder Journalismus-Schüler in der ersten Unterrichtsstunde. Es ist die Pflicht eines jeden seriösen Journalisten, den Stein aufzuheben und ihn um zu drehen. Ich unterhalte mich seit meiner Rückkehr mit vielen Kollegen von Presse, Funk und Fernsehen über dieses Thema. Einige werfen mit nun eine Art Befangenheit vor. Aber warum, das können sie mir nicht erklären." (S. 284)
Der Rezensent kennt drei große "Schulen" von Journalisten: Erstens, Kollegen, die kühl und sachlich über ihre Recherchen vor Ort berichten und darauf achten, sich nicht mit der Sache, der Situation und besonders nicht mit den Menschen solidarisch zu machen. Zweitens, die Googlisten, die fern vom tatsächlichen Geschehen präselektierte Informationen professionell verarbeiten und dadurch oft ein Opfer von Propaganda und politischem Kauderwelsch werden. Und drittens, zunehmend Kollegen, die durch ihre Berichterstattung eine demokratische Entwicklung fördern oder auch inhumane Verirrungen verhindern wollen. Alle drei Rollen dieser Professionalität finden wir zum Beispiel im Brüsseler EU-Pressecorps. Boris Barschow hat sein eigenes Rollenverständnis. Es ist ihm ein ehrliches und spannendes Buch über selbst erlebte Geschichten und Erkenntnisse gelungen. Auch der Leser wird zu Veränderungen seiner bisherigen Kenntnisse und Bewertung von Argumenten geführt.
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