Unternehmen Niklas Kentrup „Natural Language wird irgendwann obsolet“
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- von Annett Bergk, Hamburg
Bei Hapag-Lloyd wird Künstliche Intelligenz nicht ausgelagert – spezialisierte Teams treiben die Entwicklung intern voran, und das Thema ist fest in der Unternehmenskommunikation verankert. Niklas Kentrup, Manager Digital Transformation & Website, arbeitet an der Schnittstelle von Technologie und Sprache. Sein Ziel: KI so in die Unternehmenskommunikation integrieren, dass sie Prozesse vereinfacht, Stil bewahrt und Neues ermöglicht. Im Gespräch erzählt er, wie das Team die eigene KI Marina nutzt, warum Sicherheit dabei vor Tempo geht und weshalb er glaubt, dass wir bald anders mit Maschinen sprechen werden als heute.
PR-Journal: Wenn du den KI-Einsatz bei Hapag-Lloyd in drei Worten beschreiben müsstest, welche wären das?
Niklas Kentrup: Experimentell, kompliziert, fortschrittlich. Wir sind mittendrin – neugierig, manchmal überfordert, aber immer einen Schritt weiter als gestern.
PR-Journal: Was war der Auslöser, euch überhaupt auf das Thema einzulassen?
Kentrup: Am Anfang war’s eine Mischung aus Neugier und Druck. Auf der einen Seite der Wunsch, Arbeitsabläufe effizienter zu machen, auf der anderen die Sorge, irgendwann nicht mehr mitzuhalten. Uns war früh klar, dass KI keine Modeerscheinung ist, sondern ein echter Gamechanger für Kommunikation. Wir haben viel recherchiert, geschaut, was der Wettbewerb macht, und schnell entschieden: Wir wollen nicht nur auf ein Tool setzen, sondern die Breite verstehen – Gemini, ChatGPT, Copilot, Mistral, alles, was Industriestandard ist.
PR-Journal: Also lieber ausprobieren, als lange Konzepte schreiben?
Kentrup: Absolut. Wir wollten Erfahrungen sammeln. Ich habe das Gefühl, dass wir gerade an einem Punkt sind, an dem die großen Sprünge kleiner werden. Alle haben jetzt mal getestet, alle wissen ungefähr, was geht. 2026 starten wir dann eine eigene KI-Offensive nur für die Kommunikationsabteilung. Dabei geht es darum, spezialisierte KI-Agents für Bereiche wie Redaktion, Social Media, Reporting und Content Automation aufzubauen. Ziel ist, Routineaufgaben zu automatisieren, kreative Prozesse zu unterstützen und Wissen im Team gezielter nutzbar zu machen.
PR-Journal: Ihr habt sogar eine eigene KI entwickelt, wie man liest.
Kentrup: Ja, genau. Mit Marina haben wir eine KI, die auf Basis von Meta Llama von unserem zentralen KI-Team in Polen entwickelt wurde. Sie folgt dem Prinzip „Security by Design“, läuft ausschließlich in unserer internen Infrastruktur und greift nicht auf externe Server zu. Marina ist bei uns Teil eines experimentellen Setups und unterstützt uns vor allem bei Themen, bei denen rechtliche und Compliance-Fragen inhaltlich relevant sind. Wir testen verschiedene Large Language Models, darunter auch Mistral, und vergleichen die Ergebnisse international. Marina ist quasi unser sicherer Testraum – ein Ort, an dem wir KI im Kommunikationskontext erproben können, ohne Kompromisse bei der Datensicherheit einzugehen.

Marina, ein System auf Basis von Meta Llama, steht den Mitarbeitenden von Hapag-Lloyd zur Seite. (Screenshot: Hapag-Lloyd)
PR-Journal: Und wie läuft das Training?
Kentrup: Wir, also die Kommunikationsabteilung, trainieren Marina nicht selbst, sondern arbeiten mit Blueprints. Dabei liegt das relevante Wissen – etwa Pressemitteilungen, Textarchive oder stilistische Muster – in SharePoint oder lokal bei den Nutzerinnen und Nutzern. Diese Inhalte werden situativ als Kontext in den Prompt geladen. Das Modell greift also nicht eigenständig auf Daten zu, sondern erhält beim Aufruf genau die Informationen, die es braucht, um stilistisch konsistente Entwürfe zu erzeugen. Gleichzeitig ist das System aber eben so gebaut, dass keine vertraulichen Daten nach außen fließen.
PR-Journal: Und wie weit seid ihr insgesamt?
Kentrup: KI ist inzwischen Teil unserer Kernstrategie, auch wenn wir beim Onboarding vielleicht noch am Anfang stehen. Wir nutzen Microsoft Power Automate als Plattform – Reportings laufen automatisch, unser Kontaktformular ist vollautomatisiert, Freigabeprozesse sind KI-gestützt. Im größeren Kontext unserer digitalen Transformation wollen wir diese Technologien gezielt nutzen, um effizienter zu werden und dadurch das Kundenerlebnis nachhaltig zu verbessern.
PR-Journal: Das klingt nach einem großen Umbau.
Kentrup: Ja, definitiv. Wir sehen einen riesigen Shift auf Unternehmensseite. Klassische Agenturdienstleistungen nehmen ab, dafür entstehen hybride Modelle mit KI-Agenten. Und wir müssen verstehen, wie sich unsere Aufgabenbereiche verändern.
PR-Journal: Wie seid ihr dafür intern aufgestellt?
Kentrup: Es gibt ein dediziertes KI-Team in Polen, das uns unterstützt. In der Kommunikation sind wir zwei Leute, die das Thema vorantreiben und Brücken zur IT schlagen. Und das ist meiner Meinung nach auch entscheidend: Die IT sieht die Anwendungsfälle und wir übersetzen sie in Prozesse, die die Unternehmenskommunikation wirklich besser machen.
PR-Journal: Also Technik und Kommunikation Hand in Hand.
Kentrup: Genau. Es funktioniert nur, wenn beides zusammenkommt. Ich selbst komme aus dem E-Commerce- und Business-Intelligence-Bereich, was hilft, technische Logik zu verstehen. Gleichzeitig geht es immer um Sprache, Wirkung, Haltung. Diese Kombination ist Gold wert.
Und wir probieren viel aus. Vor allem mit nicht sensiblen Daten. Pageviews oder Social-Media-Daten etwa. Wir nutzen gängige Tools, um eine Vergleichbarkeit zu schaffen, und bauen eigene Schnittstellen zu unserer Plattform.
PR-Journal: Wie sorgt ihr dafür, dass das Team dabei nicht auf der Strecke bleibt?
Kentrup: Wir setzen auf Praxisnähe. In Singapur haben wir KI-Workshops gemacht – möglichst einfach, mit Micro-Applikationen, die sofort Nutzen bringen. Wer effizient kommunizieren kann, wird künftig der bessere Prompter. Ich glaube sogar: Natural Language wird irgendwann obsolet.
PR-Journal: Das musst du erklären, damit hier niemand in Tränen ausbricht …
Kentrup: (lacht) Sprache soll bitte nicht verschwinden, nein. Ich meine, wir werden uns in Zukunft weniger über ausgeschriebene Sätze mit Maschinen verständigen, sondern über Kontexte. Systeme werden unsere Arbeitsumgebung kennen, unsere Aufgaben, unsere bevorzugten Formulierungen – und darauf reagieren, ohne dass wir alles in Sprache verpacken müssen. Kommunikation mit KI wird präziser, strukturierter, eher wie eine logische Abfolge von Gedanken. Das klingt technisch, ist aber eigentlich eine Chance: Wir können uns dann wieder stärker auf die kreative und menschliche Seite von Sprache konzentrieren.
PR-Journal: Wo siehst du denn die größten Potenziale für KI?
Kentrup: Ganz klar in der Automatisierung: Kundenkommunikation, Case Management, Dokumentenlieferketten – überall, wo Prozesse wiederkehrend sind. Aber der Qualitätscheck bleibt beim Menschen. Wir brauchen die menschliche Kontrolle, gerade wenn Sprache und entsprechend auch die inhaltliche Interpretation eine Rolle spielen.
PR-Journal: Das klingt nach einer klaren Haltung.
Kentrup: Ja. Es gibt keine reinen PR-LLMs. Sprache ist kulturell und individuell geprägt. Wir müssen unsere Stilistik selbst trainieren. Deshalb arbeiten wir mit Layern, kontextuellem Prompting, Pseudocode – alles, um unser Wissen zu verankern. Wir brauchen keine Prompt Engineers, sondern Menschen, die verstehen, was gute Kommunikation ausmacht.
PR-Journal: Was nimmst du bisher aus dieser KI-Reise mit?
Kentrup: Dass Druck und Durchsatz über die IT kommen – aber Kreativität und Haltung aus der Unternehmenskommunikation. Wenn beides zusammenwirkt, wird KI vom Projekt zum Werkzeug. Und das ist das eigentliche Ziel: Technik, die uns Freiraum schafft, um wieder mehr zu denken, zu schreiben, zu gestalten.
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