Unternehmen Verantwortung oder Risiko? Gesellschaftspolitische Positionierung von Unternehmen
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- von Thomas Dillmann, Bad Honnef
Wie steht es um die gesellschaftspolitische Haltung von Unternehmen? Sollen sie sich öffentlich positionieren oder ist Zurückhaltung angesagt. PR-JOURNAL-Gastautor Robert Hoyer hat verschiedene Unternehmen dazu befragt. Die Antworten fallen unterschiedlich aus, die einen zeigen Haltung, die anderen verweisen auf die Risiken. Vor dem Hintergrund der aufgeheizten Stimmung zum Ende des Wahlkampfs hat Robert Hoyer eine differenzierte Analyse vorgelegt.

Von Robert Hoyer
Der aktuelle Bundestagswahlkampf hat nach dem spektakulären Aus der Ampel die politische Landschaft in Deutschland stark polarisiert. Die erstmalige Mehrheit für einen Antrag im Parlament mit Stimmen von Union und AfD führt zu großen Demonstrationen sowie Anschlägen auf Parteibüros. Diese und weitere Entwicklungen werfen eine zentrale Frage auf: Sollten Unternehmen angesichts dieser politischen Spannungen gesellschaftspolitische Positionen beziehen oder sich lieber aus den Konflikten heraushalten? In einer Umfrage unter Kommunikationsabteilungen und Unternehmen zeigt sich ein differenziertes Bild: Während einige eine klare Haltung einnehmen, verweisen andere auf die Risiken einer gesellschaftspolitischen Positionierung. Während wiederum das eine oder andere Unternehmen gar nicht erst antworten wollte.
Ruf nach einer stärkeren politischen Positionierung
Viele Unternehmen sehen sich nicht nur als wirtschaftliche Akteure, sondern auch als gesellschaftliche Verantwortungsträger. Werte wie Demokratie, Vielfalt und Nachhaltigkeit sind zentrale Elemente ihrer Markenidentität und gewinnen in Zeiten politischer Spannungen an Bedeutung.
Thomas Voigt, Vice President Group Corporate Communications & Public Affairs bei der Otto Group, erklärt: „Unternehmen tragen als integraler Teil der Gesellschaft Verantwortung für gesellschaftliche Stabilität. Wohlstand basiert auf einer starken Wirtschaft, offenen Märkten und Vielfalt. Dabei sollten Unternehmen differenziert und konstruktiv agieren, nicht populistische Rhetorik verstärken.“ Die Otto Group hat sich nicht nur in der Vergangenheit gegen Radikalismus, Populismus und Antisemitismus ausgesprochen, sondern setzt auch aktiv auf Initiativen wie „ZukunftsWerte“ und die Michael Otto Foundation for Sustainability, um gesellschaftliche Stabilität und wirtschaftliche Prosperität zu fördern.
„Der wichtigste Beitrag von Unternehmen besteht darin, das Unternehmen und Arbeitsplätze zukunftsfähig zu halten“, so Voigt. Auch in turbulenten Zeiten bleibt die Otto Group ihren Werten wie ökologischer Transformation und Diversität treu. Voigt betont jedoch, dass Unternehmen den Respekt vor demokratischen Entscheidungsprozessen wahren und sich nicht an Boykottaktionen gegen Politikerinnen und Politiker, Unterstützende oder Medien beteiligen sollten, selbst wenn diese Positionen vertreten, die der Otto Group nicht gefallen.
Gesellschaftspolitische Verantwortung bei Kneipp und Edding
Für die Edding Group ist das ebenfalls keine Frage. „Eine klare Positionierung ist heute unumgänglich. Unsere Werte verpflichten uns dazu, Verantwortung für Mitarbeitende, Kundinnen und Kunden sowie die Gesellschaft zu übernehmen“, sagt Jennifer Kaz, Director Brands & Communication.
Edding engagiert sich aktiv für Demokratie, Menschenrechte und Vielfalt und nutzt soziale Medien sowie sogar auch Produkte, um diese Werte zu kommunizieren.
In einem politisch aufgeheizten Klima erwarten immer mehr Menschen von Unternehmen, dass sie sich für demokratische Werte einsetzen und klare Stellung beziehen. Das Engagement von Unternehmen für solche Werte, sei es durch öffentliche Stellungnahmen oder durch Partnerschaften mit Initiativen wie der „Charta der Vielfalt“, wird zunehmend als notwendig erachtet.
„Kneipp setzt seine Stimme für wichtige gesellschaftspolitische Themen schon seit Längerem ein. Wenn wir als Unternehmen mit Rassismus, Hass oder Hetze konfrontiert wurden, haben wir uns bereits in der Vergangenheit – auch öffentlich – klar dagegen positioniert“, sagt Doreen Neuendorf, Head of Corporate Communications bei Kneipp. Zuletzt wurde extra der Code of Conduct noch einmal geschärft, um den Punkten Nachhaltigkeit, Vielfalt, Miteinander und Demokratie noch mehr Gewicht zu geben.
Die konträre Sicht: Warum Unternehmen sich politisch zurückhalten sollten
Es gibt auch eine Sichtweise, die vor den Risiken einer politischen Positionierung warnt. Politische Stellungnahmen können die Kundenbasis spalten und zu Reputationsverlusten führen. Besonders Unternehmen, die in unterschiedlichen politischen Milieus tätig sind, riskieren den Verlust von Kunden und Partnern mit anderen Überzeugungen.
„Unsere Haltung war immer, uns aus der Parteipolitik herauszuhalten. Wir analysieren politische Entscheidungen aus wirtschaftlicher und rechtlicher Perspektive, aber ohne ideologische Wertung“, erklärt Daniel Baumgartner, Leiter Unternehmenskommunikation und Marketing beim Wirtschaftsprüfer Ecovis. Er warnt vor Symbolpolitik und betont, dass sich Unternehmen bei ihren Aussagen auf die tatsächlichen Felder ihrer Expertise fokussieren sollen. Baumgartner: „Die aktuell aufgeheizte Debatte braucht nicht noch mehr Meinung, sondern mehr qualifizierte Fakten. Das ist der Weg zurück zur Normalität und deswegen illustrieren wir lieber die ganz konkreten Konsequenzen politischer Entscheidungen für unsere Zielgruppen.“
„Die Frage, ob Unternehmen sich politisch äußern sollten, ist nicht eindeutig zu beantworten“, sagt Pierre Du Bois, Head of Communications bei kleinanzeigen.de. Er rät, politischen Debatten mit Zurückhaltung zu begegnen, da emotionale Auseinandersetzungen oft mehr Risiken als Nutzen bringen. Du Bois ist jedoch der Meinung, dass Unternehmen bei universellen Werten wie Nachhaltigkeit eine klare Haltung zeigen sollten, ohne sich in parteipolitische Konflikte zu verstricken. „Wahlempfehlungen wirken tendenziell kontraproduktiv. Sie verkürzen komplexe Debatten und tragen zu einer Verhärtung der Positionen bei“, so Du Bois.
Herausforderung der Balance: Positionierung ohne Polarisierung
Die Herausforderung für Unternehmen besteht darin, eine klare Haltung zu gesellschaftspolitischen Themen einzunehmen, ohne sich in populistische oder extremistische Positionen zu verstricken. In einer politisch polarisierten Zeit müssen Unternehmen die richtige Balance finden, um ihre Kunden und Mitarbeitenden nicht zu spalten.
„Es ist wichtig, sich klar zu positionieren, aber auch die Vielfalt der Meinungen zu respektieren. Politische Empfehlungen oder parteipolitische Stellungnahmen sind meist nicht zielführend“, erklärt Moritz Schlageter, Co-Founder und Managing Partner beim Berliner Beratungshaus torq.partners.
Stattdessen setzt das Unternehmen auf Bewusstseinsbildung und fördert Initiativen für demokratische Werte und Gleichberechtigung. So gibt es insgesamt fünf Arbeitsgruppen für Mitarbeitende im Rahmen des Corporate Political Responsibility-Programms.
Anja Zettel, Geschäftsführerin des Hamburger Kitaträgers KMK kinderzimmer, betont, dass Partizipation und Vielfalt wesentliche Bestandteile der Unternehmenskultur sind. „Wir betonen die Bedeutung von Demokratie und Vielfalt sowohl nach Innen als auch nach Außen und bieten unserer jungen Mitarbeiterschaft auch Informationen rund um die Wahl“, sagt Zettel.
So zeigt der Kita-Betreiber, dass Unternehmen politisch aktiv sein können, ohne in direkte Konflikte zu geraten. Zugleich haben Mitarbeitende die Erlaubnis, während der Arbeitszeit an gesellschaftlichen Demonstrationen teilzunehmen und sich für die Unternehmenswerte einzusetzen, zu denen „weltoffen“ und „nachhaltig“ gehören.
Fazit: Eine verstärkte gesellschaftspolitische Positionierung?
Die politische Entwicklung zeigt, dass Unternehmen zunehmend Verantwortung für gesellschaftspolitische Themen übernehmen müssen. Ob eine verstärkte politische Positionierung sinnvoll ist, hängt von den Unternehmenswerten und der Branche ab. Diese Entscheidung sollte authentisch und gut überlegt sein, um Reputationsrisiken zu vermeiden.
„In turbulenten Zeiten ist der öffentliche Austausch über Werte wichtig, etwa über öffentlichen Positionierungen der Gesellschafter und Vorstände oder über Veranstaltungen auf dem Otto Group Campus mit Vorbildern wie Wolf Biermann“, sagt Thomas Voigt von der Otto Group, „immer aber ohne parteipolitische Empfehlungen“. Ein verantwortungsvoller Umgang mit gesellschaftspolitischen Themen kann Vertrauen schaffen und Unternehmen als Wertebotschafter positionieren – ohne in Polarisierung oder Populismus zu verfallen.
Zukünftig werden viele Unternehmen gesellschaftspolitische Positionen stärker einnehmen, dabei jedoch sicherstellen müssen, dass ihre Haltung glaubwürdig bleibt. Was dabei immer eine wichtige Frage bleiben wird: Wie politisch dürfen und sollen Unternehmen sein, ohne ihre wirtschaftlichen Ziele und Glaubwürdigkeit zu gefährden?
Über den Autor: Robert Hoyer ist Gründer und Geschäftsführer der Hamburger Agentur Exhausting. Zusammen mit seinem Team berät er Unternehmen zu wirkungsvoller Unternehmenskommunikation, die konsequent aus der Schnittmenge von Corporate PR, Corporate Social Media und Corporate Campaigning gedacht ist.
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