Ein Gespräch mit dem Chef der österreichischen Finanzmarktaufsicht Helmut Ettl (Foto)

Helmut Ettl ist Vorstand der österreichischen Finanzmarktaufsicht (Schwesterinstitution der deutschen BaFin) und international anerkannter Experte für das Finanzwesen und dessen Regulierung. Der international tätige Unternehmensberater und frühere Brunswick-Chef in Mittel- und Osteuropa, Ronald Schranz, hatte Gelegenheit für das „PR-Journal“ mit Helmut Ettl über ESG (Environment – Social – Governance), den immer bedeutsamer werdenden Standard für nachhaltige Anlagen, zu sprechen. Der Unternehmensberater und Finanzmarktexperte erläutert die Auswirkungen der kommenden EU-weit geltenden Regulierung und macht deutlich, dass es mit Schwindeln bei „Grün“ nicht mehr gehen wird.

Von Ronald Schranz (Foto), Wien

Schranz Ronald Unternehmensberater Autor OesterreichBei der Begegnung mit Helmut Ettl interessiert mich zunächst, wie sich ESG aus Sicht der Finanzmarktaufsicht und des Regulierers darstellt. Ettl macht deutlich, dass ESG als multithematisches System dem Bestreben dient, über die Finanzmärkte zur nötigen Veränderung der Unternehmen, der Wirtschaft und der Gesellschaft zu gelangen. Im Mittelpunkt stehe dabei die Transparenz in den Themen, die sich hinter den drei Buchstaben verbergen und Folgendes meinen: grüne Nachhaltigkeit, sozial Verantwortlichkeit und Governance.

„Die zwei großen Treiber für ESG sind die Klimakrise und Diversität.“

„Es gibt zwei große Treiber von ESG. Erstens den breiten politischen Konsens, dass hier etwas passieren muss und soll, speziell im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit aufgrund der Klimakrise. Der zweite große Treiber ist Diversität, für die eine mächtige Dynamik aus der öffentlichen Debatte und der Unterstützung breiter Bevölkerungsschichten besteht“, erklärt Ettl.

Die anderen in ESG enthaltenen Fragen wie sozial nachhaltige Produkte, beispielsweise ohne Kinderarbeit, oder die interne Governance seien zuletzt eher in den Hintergrund getreten. „Im Bereich der Regulatorik, der konkreten Regulierung und Aufsicht, ist Governance allerdings ganz eng mit den anderen beiden Themenkreisen verbunden“, betont der Finanzregulator.

Das führt uns zur Frage, was sich im Bereich der Regulierung des Themas international und national tut und welche Rahmen maßgeblich sein werden. Für Ettl dringt ESG besonders in einem Bereich über die normalen Transparenzregeln hinaus in die direkte Regulatorik vor, nämlich bei Klimaschutz und Nachhaltigkeit. „Mittlerweile ist man hier sehr weit fortgeschritten“, sagt Ettl: „Gerade Europa hat sich ja das Ziel gesetzt, sehr umfangreiche Mittel für den Umbau der Wirtschaft und Gesellschaft zu mobilisieren, und setzt hier ganz stark darauf, dass auch privates Kapital in diese Richtung alloziert werden soll.“

Diesem Ziel diene das sehr genaue und enge Regelwerk, das sich gerade in Entwicklung befinde. „Wir arbeiten an der praktischen Definition, was ‚grün‘ und ‚nachhaltig‘ ist, im Sinn der Taxonomie, als Voraussetzung dafür, zielgerichtetes Handeln zu ermöglichen.“ Sehr intensiv gearbeitet werde auch an der Transparenz: Die 2023 in Kraft tretenden Reporting-Vorschriften bringen klare Offenlegungspflichten für alle am Kapitalmarkt Agierenden. Die institutionellen Investoren beschäftigen sich damit stark, was bis jetzt durch eine Modernitätsdynamik und öffentlichen Druck getrieben gewesen sei.

„Wir werden als Kontrollore ganz genau definieren, was wirklich nachhaltig ist.“

Es wird also präzise Regeln und Vorschriften geben – aus Sicht von Kommunikatorinnen und Kommunikatoren ergibt sich hier die Frage nach den Grenzen für die Selbstdarstellung. Der Finanzregulator lässt hier keine Zweifel aufkommen: „Wir werden als Kontrolleure ganz genau definieren und darauf schauen, was ist wirklich nachhaltig und was ist Marketing – das ist die spannende Geschichte.“ Wie weit dieser Widerspruch gehen könne, zeigten in Deutschland die aktuellen Fälle Deutsche Bank und DWS mit dem – derzeit in Klärung befindlichen – Verdacht auf Greenwashing. „Da sind wir genau dort.“

Ich frage bei der Regulierung genauer nach. Auf globaler Ebene nehme Europa eindeutig eine Vorreiterrolle ein, wofür sich die Europäische Union klar entschieden habe. Dementsprechend sei die Finanzmarktaufsicht aktiv, wobei sich die Notenbanker und Aufseher gemeinsam mit großen internationalen Banken und Versicherungen sehr früh in einer internationalen Gruppe formiert hätten: NGFS, dem Network for Greening the Financial System. „Dort sitzen die weltweit wichtigsten Player beieinander, um die Handlungsziele festzulegen und eine konzeptionelle Grundlage für den europäischen Gesetzgeber bereitzustellen.“

EU-Verordnung bringt Unterscheidung zwischen Hellgrün und Dunkelgrün

„Wir arbeiten dabei mit der Unterscheidung zwischen Hellgrün und Dunkelgrün“, erläutert Ettl, „Ersteres entspricht zwar ‚nicht umweltschädlich‘, führt aber zu keiner nachhaltigen Veränderung, nur Dunkelgrün führt zu tatsächlichen positiven Veränderungen, der Verbesserung der Umwelt.“ Braun entspreche fehlender ökologischer Wirksamkeit. Dies werde in entsprechende Parameter gegossen, die herangezogen werden, um verbotenes Greenwashing festzumachen: „Was steht drauf, und was ist wirklich drin.“ Was man zum Beispiel in der Fondsindustrie sehe, sei, dass sogenannte nachhaltige Investments – mit einer Wachstumsrate von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr – das am schnellsten wachsende Segment geworden sind. Die Nachfrageseite nehme das Angebot sehr positiv auf. Allerdings komme nun der Wechsel von den freiwilligen Umweltlabels zur – rechtswirksamen und extern, auch von Behörden zu überprüfenden – Unterscheidung zwischen hell- und dunkelgrünen Fonds gemäß der nächstes Jahr in Kraft tretenden EU-Offenlegungsverordnung.

Das wirkt sich auf börsennotierte Unternehmen aus, die Aktien oder Anleihen auf dem Kapitalmarkt platzieren möchten und in Fonds enthalten sind. „Die müssen offenlegen, wie grün sie sind, was richtig sein muss und nachkontrolliert wird, woraus sich ergibt, ob der Fonds nun dunkel- oder nur hellgrün ist. Der Druck auf die Unternehmen kommt vom Kapitalmarkt und den institutionellen Investoren, von den Pensionsfonds, Sovereign Funds, den großen Versicherungen, die ihre Maßstäbe anlegen, wie und wo zu investieren ist.“ Die Emittenten müssen ihre Emissionen kennzeichnen und die Qualität nachweisen, ebenso wie die Anbieter von Finanzprodukten.

Ende des Schwindelns durch Unternehmen

„Durch die weitgehende Transparenz, die für ihn hergestellt wird, übernimmt der Markt die Kontrolle“, macht Ettl deutlich, „die Aufsichtsbehörden stehen nicht im Zentrum. Hier sind die ganzen Vorschriften für Marktintegrität wirksam, die ohnedies bereits gelten und noch verbreitert werden“.

Also gehe es um Marktmanipulation? „Genau. Bei den genannten Fällen wird schon jetzt auf Basis des bestehenden Prospektrechts ermittelt“, erklärt Ettl. Da kämen mit der grünen Nachhaltigkeit Felder hinzu, in denen die Unternehmen in Kaptalmarktprospekten Angaben zu machen haben und auf die diese Instrumente in der Rechtsdurchsetzung seitens der Anteilseigner einzusetzen sind. Durch die allfällige strafrechtliche Relevanz seien die Bestimmungen durchaus scharf.

Die Finanzmarktaufsicht (FMA) hat einen Leitfaden herausgegeben, wie man sich auf die Ansprüche und Herausforderungen beim Thema ESG vorbereitet, was die Implementierung in interne Abläufe oder Risikomanagement betrifft. Der Erklärungsbedarf für die Industrie ist hoch, weshalb man Orientierung begrüßt. „Man sollte nicht das Risiko eingehen, auf die Regulierung zu warten, wenn man Produkte als grün bezeichnet, sondern die Standards von sich aus mit Voraussicht anwenden.“ Sonst ergibt sich später die Notwendigkeit zu korrigierenden Klarstellungen.

Checks and Balances

Ob sich nach den CSR-Schimären die Verantwortlichen und Kommunikationsfachleute in den Unternehmen und Finanzformen dieser Regeln und Risiken ausreichend bewusst sind? „Die Gefahr ist natürlich da, dass Unternehmen sehen, dass mit ‚grün‘ etwas erfolgreich abzusetzen ist und dann meint, ein bisschen schwurbeln zu können“, warnt der Aufseher. „CSR ist problematisch geworden, weil gefordert war, einen zusätzlichen Bericht vorzulegen, jedoch die Anforderungen nicht in die Regulierung eingebettet waren. Mit ESG ist umgekehrt das Konzept in die gesamte Tätigkeit des Unternehmens einzubetten.“ Die Investoren ebenso wie eine kreditvergebende Bank müssten genau bewerten, ob das Unternehmen oder eine Bank, ein Finanzprodukt oder ein Kredit dunkel- oder hellgrün oder braun ist.

„Unternehmen und Emittenten sollten der Versuchung widerstehen, dem Vertrieb und der PR die Herrschaft zu überlassen“, beschreibt Ettl das Risiko. „Die internen Checks and Balances müssen eingehalten werden, sonst läuft man in große Schwierigkeiten.“ Als Aufsicht müsse man natürlich auch deutlich sagen: „Auch Green Investments sind nicht risikolos.“ Marktveränderungen, Entscheidungen über Förderungen oder globale Konkurrenz können Technologien und Projekte in ihrer Werthaltigkeit betreffen, auch plötzlich, wie am Beispiel Solartechnik ersichtlich.

Die mächtige europäische Idee

„Die große Idee ist ein selbsttragendes, selbstregulierendes System mit eigener Dynamik, mit denen die benötigten Geldmittel für den Klimaschutz und klimaneutrales Wirtschaften aktiviert werden“, fasst Helmut Ettl zusammen.

„Das Instrument ist total mächtig. Wenn es in Europa mit Definition, Offenlegung und Kontrolle gut implementiert wird, entsteht eine Umstellungsdynamik – ohne große Notwendigkeit detaillierter Regulierung –, die uns nach vorne bringen wird. Die überwiegende Mehrheit der Menschen steht hier dahinter, die Investitionen zu Umwelt und Klimaschutz zu lenken.“

Endlich einmal ein europäischer Wettbewerbsvorteil? „ESG sollte und wird den technologischen Wandel und Fortschritt in Europa vorantreiben, weil der Markt mit seinen Finanzmitteln diese Entwicklung will und ermöglicht.“

Zur Person: Helmut Ettl, Executive Direktor der österreichischen Finanzmarktaufsicht

Ettl Helmut VorstandsdirektorFMA Oesterreich kleinHelmut Ettl (Foto) ist gebürtiger Österreicher, studierter Volkswirt und Absolvent der London School of Economics. Er gilt als europäischer Banken- und Finanzfachmann. Seine Karriere begann 1995 in der Oesterreichischen Nationalbank. Interimistisch war er beim Internationalen Währungsfonds und bei der EU-Kommission tätig. 2008 wurde er zum Vorstandsdirektor der österreichischen Finanzmarktaufsichtsbehörde FMA berufen. Mit wichtigen internationalen Funktionen bei der EBA, im ESRB und in der EZB gilt er als Experte für Bankenaufsicht und Systemrisiken im Finanzmarkt. Als Akteur im Kampf gegen die Finanzkrise, als Kämpfer gegen Geldwäsche und Warnungen bezüglich Kryptogeld, Brexit oder Cybergefahren hat sich Ettl auch in Europa einen Namen gemacht.

Über den Autor: Ronald Schranz ist heute internationaler Unternehmensberater für Relations, zuvor war er mehr als ein Jahrzehnt Leiter Mittel- und Osteuropa der Brunswick Group.


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