Unternehmen KI in der Kommunikation: Revolution in der Warteschleife

Neben der Automatisierung durch den Einsatz von Robotern und dem Internet der Dinge dürfte vor allem künstliche Intelligenz (KI) Arbeitsprozesse grundlegend verändern. Auch in der PR und Kommunikation? Das „PR-Journal“ hat Konzerne in Deutschland dazu befragt, inwieweit künstliche Intelligenz in ihrer Unternehmenskommunikation bereits zum Einsatz kommt. Anwendungen von Bosch, Microsoft Deutschland und Siemens werden hier vorgestellt.

Tracking mit dem Engagement Score bei Siemens. ©Siemens

Die KI-Revolution in der Unternehmenskommunikation ist gefühlt bisher ein Revolutiönchen. Selbst Großunternehmen, deren Kommunikationsabteilungen dazu neigen, das Zusammenschieben von drei Schreibtischen als Newsroom zu verkaufen, sehen sich noch in der Testphase. Man könne nichts sagen.

Andere sind weiter. Ende 2017 habe der Technologiekonzern Bosch erstmals KI im Rahmen eines Pilotprojekts getestet, sagt Michael Schmidtke, Director Digital Communications. Das Ziel: Mit Hilfe von KI die Content-Strategie der eBike-Kampagne #SantasNewRide optimieren.

Schmidtke Michael BoschEtwa 800.000 Tweets und weitere Content-Bausteine der für die Kampagne relevanten Zielgruppen seien mit der KI-Software „Watson“ prozessiert und aufbereitet worden; Hashtags, Locations, Emotionen sowie Inhalte aus Themenfeldern rund um „Cycling“ als Daten in die Analyse eingeflossen. „Auf dieser Basis wurden dann zielgruppen- und locationspezifisch die Tweets zur Kampagne für ‚Santa Rides‘ in Hamburg, London und Paris generiert“, erklärt Schmidtke (Foto).

Mit dem Ergebnis ist er zufrieden: „Die Content-KPIs dieser Kampagne wie Share of Voice oder Engagement-Raten lagen teilweise signifikant höher als bei vergleichbaren Kampagnen.“ Allerdings sei der Aufwand für den Einsatz von KI vergleichsweise hoch gewesen. Weitere KI-Anwendungen sind möglich. „Chatbots“ nennt Schmidtke als Beispiel.

Microsoft: KI spart Zeit

Wie Bosch hat auch Microsoft künstliche Intelligenz als eines der für sich wichtigen Themenfelder identifiziert. Davon profitiert die Kommunikationsabteilung in Deutschland. Die etwa 20 Mitarbeiter nutzen KI im Newsroom beispielsweise für die Produktion von Video-Content. „Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz erstellen wir die Untertitel für unsere Videos“, erklärt Timo Radzik, Communications Manager Digital Storytelling & Data Analyst. „Aus Sprache wird Text. Wir sparen dadurch sehr viel Zeit.“

Radzik Timo MicrosoftBislang waren Untertitel eine aufwändige Sache. Ein Mitarbeiter musste den Text abtippen, ein Grafiker oder Bewegtbild-Kollege diesen einbinden und auf die Tonspur abstimmen. „Praktikantenjobs“ nennt man sowas gerne. Die Aufgabe eines Mitarbeiters beschränkt sich jetzt auf Kontrolle und Korrektur. Die technische Qualität von Videos optimiert Microsoft ebenfalls mit Hilfe von künstlicher Intelligenz: Rauschunterdrückung, Stimmoptimierung und das Anpassen der Takte bei unterlegter Musik würden automatisiert erfolgen, sagt Radzik (Foto). Das Programm: trainierbar.

Kommunikationserfolge planbarer machen

Dient KI bei Standardaufgaben dazu, Zeit zu sparen, könnte der Einsatz im Bereich Analytics die Qualität von Kommunikation verbessern. Zusammenhänge zwischen verschiedenen Kommunikationsmaßnahmen und Erfolg anhand von Zahlen belegbar machen – darum geht es. Auch im Jahr 2019 kann ein Gastbeitrag in der Printausgabe eines IT-Fachmagazins eine größere Wirkung entfalten als fünf Twitter-Posts. Man muss es nur messen können. 

Mit Power BI bietet Microsoft hier selbst ein Analysetool. „Wir laden Daten wie Reichweite und Engagement in das Programm und sehen, wie die verschiedenen Kennzahlen zusammenhängen“, meint Radzik. „Zu welcher Uhrzeit ist ein Online-Posting besonders erfolgreich? Mit welchem Content erreichen wir eine gute Conversion? Was sind die Driver für Erfolg?“ Aus Querverbindungen in der Vergangenheit lassen sich Voraussagen für die Zukunft treffen – aufbereitet in grafischen Modellen. Wann sind Social Media der erfolgversprechendste Kanal? Wann reicht ein Artikel auf der Webseite? KI könne man in diese Richtung trainieren, erläutert Radzik. Die Anwendung: Drag & Drop.

Siemens: „Analytics Unlocked“

In eine ähnliche Richtung denkt Siemens. Im Tool „Analytics Unlocked“ würden die Trackingdaten beispielsweise aus Webseite, Social Media und Suchmaschinenwerbung zusammenlaufen, woraus Siemens dann als KPI den sogenannten Engagement Score ermittelt. „Der Engagement Score ist ein Produkt der übergeordneten Kommunikationsstrategie. Er repräsentiert das Streben nach einer interaktiven Kommunikation, die den Dialog mit unseren Zielgruppen in den Vordergrund stellt, anstatt nur nach Reichweite zu gehen“, erklärt Andreas Wunderlich (Foto), Head of Analytics & Insights.

Wunderlich Siemens 2Dieser KPI ermögliche den Vergleich aller Kommunikationsaktivitäten anhand von Reichweite, Interaktion und „Aktion“. Hat der Empfänger von Informationen zusätzlich ein Formular ausgefüllt? Einen Termin mit einem Vertriebsmitarbeiter auf einer Messe vereinbart?

Die Kommunikationsaktivitäten und der Engagement Score würden anschließend visualisiert (großes Foto); die Kommunikationsaktivitäten in einer Matrix eingeordnet, die Input (Effort) auf der Y- und den Output auf der X-Achse (Engagement) zeigen. Für den Mitarbeiter ergibt sich daraus ein klares Bild: Wie viel Aufwand hat er investiert? Welches Engagement hat er erzielt? Wo gilt es nachzubessern, weil das Engagement im Verhältnis zum Aufwand zu gering ausfiel?

Künstliche Intelligenz komme an zwei Stellen zum Einsatz. Erstens: „Alerts, die melden, wenn sich etwas verschlechtert oder deutlich verbessert hat. Der Nutzer bekommt vom System aktive Hilfestellung, wo und was er unverzüglich angehen soll.“ Zweitens: „Zudem ist geplant, mit fortlaufender Befüllung der Datenbank künftig automatisiert kontextbasierte Werte wie zum Beispiel Benchmarks oder Durchschnitte anzuzeigen.“ Mitarbeiter könnten „effizienter, zeitnaher und kosteneffektiver ihre tägliche Arbeit machen“, erklärt Siemens. Das Engagement sei mit „Analytics Unlocked“ gesteigert und die Kosten gesenkt worden. Ab September soll eine „Beta-Version“ für die gesamte Kommunikation des Konzerns zur Verfügung stehen.

Schafft KI mehr Raum für Kreativität?

Haller Clarissa www.siemens.com presseClarissa Haller (Foto: ©Siemens/Presse), Head of Corporate Communications bei Siemens, ist die Kommunikatorin in Deutschland, die KI am offensivsten zu ihrem Thema macht. In einem LinkedIn-Beitrag hat sie Anwendungen aus der Siemens-Welt wie die Verschlagwortung in Footage-Datenbanken, Expert-Finder-Bots zur Identifikation von Experten für bestimmte Themen und Newsfeeds zur personalisierten Bereitstellung von Informationen ins Spiel gebracht.

Neben 475 Likes und viel Lob erntete Haller Kritik. „Es macht einfach keinen Sinn, alle bei Siemens vorgenommenen Fortschritte in der Unternehmenskommunikation dem Thema ‚KI‘ zuzuschreiben. Ich finde solche Nebelkerzen kontraproduktiv und sie lenkt von den eigentlichen Stärken der KI ab“, schreibt ein User. Nicht jede neue Software ist KI; nicht jeder Algorithmus eine Revolution.

Fraglich ist, ob Haller mit ihrem Optimismus recht behält: „[…] Künstliche Intelligenz nimmt uns einfache, standardisierbare Arbeiten ab – und lässt uns damit mehr Raum für Kreativität und die wirklich wichtigen Aufgaben.“ Das Erstellen von händisch zusammengesuchten Presseverteilern und Clipping-Reports – wer würde diese Aufgaben in Kommunikationsabteilungen von Unternehmen und in PR-Agenturen vermissen?

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