Im Hohenheimer Mediendialog kommen seit 2009 Experten zu einer jährlichen Diskussionsrunde über kommunikationswissenschaftliche Themen zusammen. In diesem Jahr veranstalteten die Public Relations Initiative Hohenheim (PRIHO e.V.) und die Fachschaft Kommunikationswissenschaft der Uni Hohenheim den Mediendialog zum ersten Mal gemeinsam und diskutierten mit Podiumsgästen anlässlich der DSGVO über Datenschutz.

Moritz Votteler, Anwalt für Datenschutz und Lehrbeauftragter der Universität Stuttgart, eröffnete die Diskussion mit einer Key-Note, in der er die Probleme, die die DSGVO mit sich bringt, skizzierte. Zusammen mit den Podiumsgästen Johannes Kaufmann, Journalist und Abteilungsleiter „Strategie und Distribution“ des SWR, und Prof. Wolfgang Schweiger, Lehrstuhlinhaber für interaktive Medien und Online-Kommunikation, wurde dem Publikum ein Themenfeld voller Spannungen und Verwirrung nähergebracht und zur Diskussion gestellt.

Ein Kamm sie zu knechten

Mit einem Zitat von Prof. Thomas Hoeren, der die DSGVO als „größte Katastrophe des Jahrhunderts“ bezeichnete, eröffnete Votteler den Mediendialog. Ihm zufolge stellt die DSGVO alle Stakeholder, seien es Praktiker, Wissenschaftler, Konsumenten oder auch Juristen vor erhebliche Schwierigkeiten. Die Misere beginnt schon mit dem weltfremden Ansatz, mit der die DSGVO alle europäischen Länder auf einen universellen Nenner bringen will. „One size fits all“ ist selten ein Qualitätsmerkmal, am wenigsten bei internationalen Gesetzen. Und wo die DSGVO vor allem Branchenriesen wie Google und Facebook will, um die Daten der Nutzer und damit deren private Rechte zu schützen, geht der Schuss nach hinten los: Gerade kleine Betriebe und Mittelständler geraten in Bedrängnis, nun DSGVO-konforme Strukturen einzurichten.

Doch nicht nur, dass die DSGVO alle datenverarbeitenden Betriebe über einen Kamm schert – auch Daten selbst werden nicht differenziert. So müssen unverfängliche Daten wie Page-Visits und Klickzahlen genauso sensibel behandelt werden, wie die Glaubenszugehörigkeit eines Kunden oder Nutzers. Dieser Rattenschwanz ist vor allem eines: Viel Papier, das bedruckt werden muss.

Ausnahmen vom Generalverbot

Obwohl Datenverarbeitung nach der DSGVO nun grundsätzlich verboten ist, gibt es Ausnahmen. Doppelte Standards sind ja generell eine beliebte Sache, doch auch hier setzt die Verordnung neue Maßstäbe: So sind die entsprechenden Formulierungen derartig schwammig und bedienen sich nicht-juristischen Ausdrücken, dass keine Erleuchtung in Sicht ist. Zum Beispiel dürfen Unternehmen Daten verarbeiten, wenn „berechtigtes Interesse besteht“.

Was genau ist berechtigtes Interesse? Das Zusenden von Werbung ist aus Sicht des Werbetreibenden sicherlich ein berechtigtes Interesse. Einmal mehr wird der Verbraucher an der Nase herumgeführt. Denn eigentlich haben wir ja alle die Wahl: Google, Facebook und Konsorten fragen bei jeder Neuanmeldung höflich, ob wir die Nutzungsbestimmungen gelesen und mit Ihnen einverstanden sind. Haben wir nicht, sind wir aber schon. Friss oder stirb! Denn wer hat schon die Zeit und ausreichend Expertise, um die epischen Werke von Nutzungsbestimmungen und AGB tatsächlichen zu lesen und zu verstehen?

1984, dystopische Zukunft voraus?

Wo frühere Generationen für Privatsphäre gekämpft haben, herrscht heute weitgehende Lethargie: Privaten Unternehmen wird der Umgang mit Daten verkompliziert, gleichzeitig erhalten aber die Staatsorgane zusätzliche Befugnisse. Durchsuchung, Veröffentlichung, Verbot von Geschäftsbeziehungen und Geldstrafen dürfen bei Verdacht und Nachweis von nicht DSGVO-konformen Verhalten verhängt werden. Rosige Aussichten, die die Grundrechte wie die Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit genauso wie die Freiheit der Kunst- und Wissenschaft vielleicht bald erheblich einschränken. Wo alle Welt gegen Google wettert, kann der Staat seine Macht quasi widerstandslos und unbemerkt ausbauen – und niemand zuckt mit der Wimper.

Paranoia oder Schiet-Egal-Haltung

Die Meinungen zur DSGVO sind durchaus gespalten. Die Diskussionsteilnehmer bewerteten die neue Verordnung als rundweg katastrophal, zumindest aber als wenig hilfreich im Vergleich zu früheren Regelungen, gleichzeitig aber auch als gute Gelegenheit, den öffentlichen Diskurs auf das Thema Datenschutz zu lenken. Dass die DSGVO erst in den letzten Monaten ins öffentliche Interesse gerückt ist und nun solche Wellen schlägt, ist wenig erstaunlich. Ein komplexeres Themenfeld gibt es in der europäischen Juristerei derzeit wohl nicht. Gerade für Laien bleibt die brennende Frage: Was heißt denn die DSGVO für mich? Eine befriedigende Antwort gibt es zurzeit noch nicht. Der Umgang mit den neuen Regelungen schwankt zwischen den Polen „Totale Paranoia“ und „Scheiß-Egal-Haltung“. Da sich immer wieder verschiedene – mal mehr, meist aber weniger – autorisierte Akteure zur DSGVO äußern, sind Wissenschaftler, Journalisten und Juristen gleichermaßen konfus. Immerhin tröstlich, dass die Experten verschiedener Felder, Laien und auch Studenten zumindest in ihrer Verwirrung vereint sind – und diese Einigkeit macht die DSGVO dann fast wieder zu einer sehr europäischen Idee. 


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