Branche Wie man sich die Cannes PR-Löwen holt – erste Eindrücke von der Jury-Arbeit

Am 14. Juni geht’s los: Zehn Juroren der Cannes PR-Lions ziehen sich an der Croisette im Palais de Festival von Cannes zurück, in die Höhle der Cannes Löwen. Vier Tage kein Tageslicht – ja, die Fenster sollen abgehangen worden sein – vier Tage Einreichungen sichten, nochmal sichten, diskutieren, nochmal diskutieren. In 38 Subkategorien Bronze, Silber, Gold vergeben. Unter allen prämierten nochmal den Grand Prix für PR ausloben. PR ist schon längst nicht mehr die kleine (arme) Schwester der großen Kreativ-Branche. PR steht im Zentrum und ist eine attraktive Kategorie für Einreichungen aus allen Disziplinen geworden.

Juror bei den Cannes Lions – der zweithärteste Job der Welt

Es sind tatsächlich wir, die die große Verantwortung haben, die Creme de la Creme der PR-Kampagnen zu prämieren – und damit einen globalen Benchmark zu präsentieren – für das, was als zukunftsweisend, einzigartig, kreativ und wirksam in unserem Handwerk gilt. Die Verantwortung ist deshalb groß, weil wir Maßstäbe festlegen. Aber auch, weil viele Hunderte von Agenturen und Kunden ihr Alles gegeben haben, um diese Kampagnen zu kreieren und umzusetzen und anschließend präsentabel und verständlich für die Cannes Lions aufzubereiten. Sie verdienen es, dass wir uns Mühe machen, alles richtig zu verstehen, abzuwägen und fair zu beurteilen.

Keine Vorurteile, keine Schludereien, keine Gefallen für die Kunden oder Länder, die man besonders mag. Das Cannes Lions System ist mittlerweile ziemlich ausgereift – es wird sowieso schwergemacht, Lieblinge vorzuziehen. Der Algorithmus hinter der Bewertungsmaschine deckt Inkonsistenzen auf, die Agenturen hinter den Kampagnen sind nicht bekannt, die Juroren mit eigenen Einreichungen können bewerten, ihre Wertung wird aber vom System herausgezogen.

Kunze Cornelia GWPRWir - die 35 Juroren der Pre-Judging Runde – haben in etwa drei Wochen viele Hundert Einreichungen gesichtet (in der Vergangenheit lag die Zahl über 2000, die genaue Zahl wird später kommuniziert), jeder für sich rund um den Globus zuhause am Laptop. Wir haben uns über eine WhatsApp-Gruppe zu Bewertungskriterien ausgetauscht, wichtige Fragen abgeklärt. Und unsere leuchtenden Augen sind am Schluss zu quadratischen Augen geworden, so viele Filme haben wir angeschaut. Foto links: Cornelia Kunze, die für das „PR-Journal“ aus Cannes berichtet.

Was sind unsere Kriterien?

Beurteilt werden die kreative Idee, die PR-Strategie, die PR-Umsetzung und die Ergebnisse. Zunächst geht es erstmal darum zu zeigen, dass diese Kampagne tatsächlich PR ist – und eben nicht ein Film, über den Medien in aller Welt geschrieben haben, über den Menschen auf sozialen Medien diskutiert haben. Es geht nicht so sehr darum, wer möglichst viel Output ohne Mediabudget erzeugt hat – sondern wer PR-Input kreiert hat. Wir suchen nach Kampagnen, die „earned-centric“ sind, die von Anfang an so konzipiert wurden, dass sie Konversationen auslösen, Engagement initiieren, in den Dialog mit wichtigen Zielgruppen gehen. Dass sie darauf abzielen, im öffentlichen Raum stattzufinden und über den Austausch Meinungen und Verhalten zu verändern. Es geht nicht um Notlösungen à la „Wir hatten kein Budget, da mussten wir PR machen“. Und es geht nicht um ein zufälliges Medienecho. Manch einer sagt, das kann ein toller Film doch auch alles machen. Kann, im Glücksfall. Doch wenn es Werbung ist – scripted, staged, kontrolliert –, bei der „PR“ am Ende noch so mit dabei herauskommt, dann ist es eben keine PR-Kampagne.

Was noch?

Wir schauen, dass die Kampagne auf einem cleveren Insight beruht, nicht einfach irgendeiner Statistik, sondern einer vielleicht überraschenden Erkenntnis, einem individuellen oder gesellschaftlichen Problem, für die die Marke und das Unternehmen eine Lösung finden kann.

Wir wollen neue Technologien sehen, überraschende und einzigartige Lösungen sowie Ergebnisse, die nicht nur in der Anzahl der Veröffentlichungen gemessen werden, sondern Mehrwert schaffen und Verhalten verändern. Das spannende dabei ist der internationale Wettbewerb, die kulturellen Unterschiede, die unterschiedlichen Herangehensweisen in kleinen Ländern im Vergleich mit den größten Volkswirtschaften der Welt.

Allen Gewinnern wird wohl gemein sein, dass sie eine perfekte Einreichung geliefert haben, gut nachvollziehbar, leicht verständlich, hinreichend detailliert aufbereitet, und vielleicht auch überraschend für das mittlerweile geschulte und ein bisschen quadratische Jury-Auge.

Was sind die Trends?

Es gibt drei Trends, die ich ganz persönlich beobachtet habe:

  1. eine Vielzahl der Einreichungen zeigt, wie Marken ihre Relevanz als Beitrag für Gesellschaft definieren, für eine „bessere Welt“. „Purpose“ ist das große Buzzword – und Purpose findet sich auch in den Einreichungen. Nicht nur bei NGOs – sondern bei Marken und Unternehmen: Es wird gegen Hass und Spaltung Stellung bezogen, es werden Nachbarstaaten zusammengebracht, die sich Spinnefeind sind, es werden Frauen- und LGBT-Rechte eingefordert, Arme und Alte unterstützt, Meinungs- und Pressefreiheit hochgehalten.
  2. Technik ist der Held vieler kreativer Ideen. Es werden Suchmaschinen angepasst, künstliche Intelligenz eingesetzt, clevere Datenanalysen betrieben.
  3. Mehr Einreicher haben die Problemstellung präzise und messbar definiert, die Wirkung wird ebenfalls detailiert und anhand von Zahlen beschrieben.

Wer kann gewinnen?

Im Prinzip jeder – Agenturen wie Unternehmen. Jeder, der die Kriterien berücksichtigt und das Handwerk der guten Einreichung perfektioniert. Aber: Wer nicht mitmacht, kann nicht gewinnen. Und wer viel mitmacht, kann mehr gewinnen. Es ist ein bisschen auch das Gesetz der großen Zahl. Einige Unternehmen und Marken haben unsere Plattform geflutet mit ihren Einreichungen. Da gilt es jede einzelne so anzuschauen, als ob es die Erste des Unternehmens wäre. Andere – weltweit bekannte – tauchen gar nicht auf. Sie verpassen eine Chance auf ein bisschen Ruhm, auf sehr viel Lernen und auf das gute Gefühl, etwas vermittelt zu haben. Doch: auch jetzt gibt es noch Flüge nach Cannes. Denn lernen kann auch, wer teilnimmt, sich trifft, diskutiert. Um sich dann nächstes Jahr den Löwen zu holen.

Über die Autorin: Cornelia Kunze ist Kommunikationsexpertin und internationale Marken-Beraterin. Sie war 19 Jahre lang Edelman-Managerin in verschiedenen Funktionen in Deutschland, Europa und Asien mit Arbeitsplatz in Hamburg, Mumbai, London und New York. Sie hat viele preisgekrönte Kampagnen begleitet und war vor Cannes bereits in einigen PR-Jurys in Deutschland und Asien tätig. 2018 hat sie die internationale Kommunikationsberatung i-sekai gegründet sowie 2019 mit ihrem Geschäftspartner die „Fluid Collective“, ein weltweites Netzwerk von unabhängigen Kommunikationsberatern.

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