Agenturen Vielfalt in Agenturen Zwischen Haltung und Handlung
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- von Annett Bergk, Hamburg
Der Deutsche Diversity-Tag am 27. Mai war und ist für viele Agenturen Anlass, Haltung zu zeigen. In Social-Media-Posts, Leitlinien oder farbigen Logos. Doch wie viel Substanz steckt dahinter? Das PR-Journal hat im Vorfeld des Aktionstags 100 Kommunikationsagenturen gebeten, fünf konkrete Fragen zu beantworten – zu Teamzusammensetzung, Maßnahmen, Rückmeldungen und eigener Haltung gegenüber Kund:innenprojekten, bei denen Diversity eher ein Etikett als ein Prinzip ist.

Vielfalt – ja. Aber oft unbeabsichtigt.
„Wir waren immer divers und werden es immer sein“, sagt Uwe Pagel, Geschäftsführer von Press’n’Relations. Eine Haltung, die mehrere Agenturen teilen: Vielfalt ist da – gewachsen, nicht geplant. Herkunft, Alter, sexuelle Orientierung spielen im Recruiting keine explizite Rolle. Viele beschreiben ihre Teamkultur als offen, tolerant, inklusiv, ohne dafür bestimmte Programme oder Prozesse etabliert zu haben.
„Am Anfang waren wir ein kleines Team von sechs Leuten mit zwei Chefs an der Spitze; das war wahrlich nicht divers (ist aber auch 22 Jahre her). Heute sind wir ein Team aus 150 Kolleginnen und Kollegen und sind sehr divers. Ohne DEI-Programm. Einfach durch das Chancengeben bei Menschen, die tolles Potenzial haben und Lust haben, sich einzubringen“, berichtet Jörg Forthmann, Geschäftsführender Gesellschafter bei Faktenkontor.
„Wir haben bereits vor fast zehn Jahren die Charta der Vielfalt unterschrieben, übrigens als eine der ersten Kommunikationsagenturen. Dies fiel uns nicht schwer, weil wir Diversität – auch wenn es früher kein feststehender Begriff war – bereits bei Gründung unserer Agentur in unseren Leitlinien verankert hatten“, erzählt Veit Mathauer, Geschäftsführer von Sympra.
Diversity als fortlaufender Prozess
Andere gehen einen deutlich strukturierteren Weg. „Diversity ist für uns ein Prozess, in dem wir uns stetig verbessern möchten“, sagt Andrea Gantikow, Mitgründerin und Managing Partner von Flutlicht. „Wir sind überzeugt davon, dass Diversität im Arbeitsleben zu besseren, kreativeren und nachhaltigeren Ergebnissen führt“, hört man von RPM. Sebastian Riedel, Partner bei Klenk & Hoursch, erklärt: „Wir sehen Vielfalt und Inklusion als fortlaufenden Prozess und arbeiten kontinuierlich daran, noch mehr Perspektiven und Hintergründe in unser Team einzubringen.“
Einige Agenturen berichten von Diversity-Guidelines, diskriminierungsfreien Bewerbungsverfahren, internen Schulungen und einer regelmäßigen Überprüfung der Fortschritte – etwa durch die Teilnahme am Pride Index. Auch Schwartz PR oder Weber Shandwick haben Maßnahmen institutionalisiert, vom Diversity-Wörterbuch bis zur internen Ansprechperson für LGBTQIA+-Themen: „Wir haben intern eine feste Stelle geschaffen, die sich gezielt damit befasst, unterschiedliche Lebenswirklichkeiten in unserer Zusammenarbeit sichtbar zu machen und strukturell zu berücksichtigen. Ziel ist es, ein Umfeld zu gestalten, in dem sich alle Kolleg:innen einbringen können – unabhängig von Hintergrund oder Lebenslage“, berichtet Thomas Rosenwald, Managing Partner bei Tonka Communications.
Vielfalt beginne nicht mit Maßnahmen, sondern mit Haltung, sagt Nina Angermann, Geschäftsführerin von consense communications. Deshalb diskutiere man viel. Einige Agenturen holen sich bewusst Feedback – anonym, regelmäßig und aktiv. Und: Wo Rückmeldungen kommen, entstehen oft Impulse. Genderneutrale Sprache, barrierearme Websites, mehr Bewusstsein für Pronomen oder die Besetzung von Führungspositionen im Tandem. Vieles davon wurde, wie die Agenturen berichten, aus dem Team angestoßen, nicht von oben diktiert.
„Wir lernen jeden Tag dazu. Auch in der direkten Anrede einer nicht binären Person in unserem Team, die sich explizit eine Anrede ohne Pronomen wünschte, mussten wir üben und dazulernen. Es ist ein stetiger Prozess“, erzählt Charlotte Holzum, Geschäftsführende Gesellschafterin von navos.
Wenn Diversity nur Fassade ist – wo Agenturen die Grenze ziehen
Ein weiterer zentraler Aspekt: Wie gehen Agenturen mit Kund:innen um, die Diversity primär als Marketingthema behandeln?
Viele positionieren sich klar: Wo keine Veränderungsbereitschaft erkennbar ist, endet die Zusammenarbeit. „Dann steigen wir auch aus oder pitchen erst gar nicht mit. Alles schon passiert“, heißt es bei consense. Auch Ilan Schäfer, Weber Shandwick spricht von einer klaren Grenze zwischen Authentizität und Imagepflege: „Sollen Kampagnen umgesetzt werden, um sich ein progressives Image zu verleihen, ohne substanzielle Maßnahmen im Hintergrund – ist das für uns nicht vereinbar mit unseren Werten. In solchen Fällen lehnen wir eine Zusammenarbeit ab – oder begleiten sie nur unter der Voraussetzung einer glaubwürdigen inhaltlichen Neuausrichtung. Dies gilt übrigens für alle Kampagnen, die den Verdacht sowohl auf Pinkwashing, als auch auf Greenwashing lenken könnten.“ Wichtig sei es, eine ehrliche und robuste Beratung zu bieten, sagt Dr. Wigan Salazar, CEO bei MSL Germany.
Es geht eben um Beratung auf Augenhöhe. Einige Agenturen berichten auch, dass sie Kund:innen auf inkonsistente Positionierungen hinweisen – und in vielen Fällen auch gehört werden.
Und jetzt? Weiterfragen. Weiterhören. Weiterentwickeln.
„Hand auf’s Herz: Weder wir bei haebmau, noch unsere Branche ist aktuell schon da, wo wir in Sachen Vielfalt und Diversität als Agenturbranche stehen sollten“, sagt Sebastian Warschow, Co-CEO von haebmau. Ob Teilzeitmodelle für Führungskräfte, barrierefreie Arbeitsplätze oder genderneutrale Verträge – in vielen Agenturen ist Bewegung spürbar. Und dennoch: Wer sich Vielfalt als Selbstverständlichkeit attestiert, übersieht womöglich die strukturellen Hürden, die Diversität in der Branche noch immer ausbremsen.
„Uns ist aber auch bewusst, dass eine grundsätzliche Offenheit noch keine Vielfalt erzeugt – sie muss aktiv herbeigeführt werden. Durch Rahmenbedingungen, Strukturen und Raum. Insbesondere heute, wenn Bewegungen gegen Vielfalt in unserer Gesellschaft immer stärker und lauter werden“ heißt es von Schwartz Public Relations.
„Mit Sorge sehen wir aktuell, dass viele Unternehmen aktuell ihre DEI-Policies kippen. Wir hoffen sehr, dass sich die DEI-Erfolge, die wir als Gesellschaft in den letzten Jahren erzielt haben, langfristig etablieren und weiter durchsetzen werden“ lässt auch Adel & Link verlauten.
Das beginnt bei der Sichtbarkeit marginalisierter Stimmen und reicht bis zu systemischen Zugangsbarrieren. Denn auch das wurde benannt: Dass der akademische Filter im Recruiting, sprachliche Anforderungen oder unklare Erwartungen an „Kultur-Fit“ Vielfalt oft eher verhindern als fördern.
Was vom Deutschen Diversity-Tag bleibt, ist nicht das Logo oder der Post – sondern das, was wir danach tun. Die Antworten, die das PR-Journal erhalten hat, zeigen: Die Branche ist in Bewegung. Nicht perfekt. Nicht einheitlich. Aber auch nicht untätig.
Was braucht es Ihrer Meinung nach, damit Vielfalt in der Kommunikationsbranche nicht nur gefordert, sondern ermöglicht wird? Schreiben Sie uns: redaktion@pr-journal.de.
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