Agenturen Neues Barrierefreiheitsstärkungsgesetz: Was Agenturen jetzt beachten müssen
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- von Thomas Dillmann, Bad Honnef
Am 28. Juni 2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Deutschland in Kraft. Das folgt einer Umsetzung des „European Accessibility Act“ (EAA) in nationales Recht und bringt tiefgreifende Änderungen für Unternehmen mit sich, insbesondere für Agenturen, die digitale Dienstleistungen anbieten. Ziel des Gesetzes ist es, die digitale Barrierefreiheit in Deutschland zu verbessern und Menschen mit Behinderungen eine gleichberechtigte Teilhabe an digitalen Angeboten zu ermöglichen.

Eine aktuelle Analyse der Deutschen Gesellschaft für Barrierefreiheit (DGfB) zeigt: 93 Prozent der untersuchten Webseiten weisen noch immer signifikante Barrieren auf. Weniger als 0,5 Prozent verfügen über eine gesetzlich vorgeschriebene Barrierefreiheitserklärung. Der Handlungsbedarf ist entsprechend hoch.
Das BFSG ist vergleichbar mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die 2018 die digitale Landschaft nachhaltig veränderte. Auch hier sind Unternehmen in der Pflicht, umfassende Anpassungen vorzunehmen, um gesetzeskonform zu bleiben.
Kompetente Beratung ist gefragt
Für Agenturen bedeutet das, dass sie nicht nur ihre eigenen digitalen Angebote überprüfen und gegebenenfalls anpassen müssen, sondern auch ihre Kunden kompetent beraten sollten, um rechtliche Risiken zu vermeiden. Die gesetzlichen Anforderungen betreffen unter anderem Webseiten, Online-Shops und Softwareprodukte, die nach dem 28. Juni 2025 in den Verkehr gebracht oder genutzt werden. Auf der Website der Bundesfachstelle Barrierefreiheit sind Leitlinien und genaue Definitionen zu finden, welche Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten sind.
Wer ist betroffen?
Das BFSG verpflichtet nicht nur öffentliche Stellen zur Barrierefreiheit, sondern auch Unternehmen, die digitale Produkte und Dienstleistungen für Verbraucher anbieten. Der E-Mail-Marketing-Anbieter Cleverreach listet in dem Beitrag „Digitale Barrierefreiheit“ auf seiner Website die Einzelheiten auf und nennt unter anderem Websites und Online-Shops, wenn dort Verträge abgeschlossen werden können.
Betroffen sind darüber hinaus:
- Elektronische Kommunikationsdienste wie E-Mail-Marketing
- Software und digitale Plattformen, die für Verbraucher zugänglich sind
- Selbstbedienungsterminals und Hardwareprodukte wie PCs oder Smartphones
Die Bundesfachstelle Barrierefreiheit weist darauf hin, dass Unternehmen dabei beachten müssen, dass nicht die EU-Richtlinie selbst verbindlich ist, sondern die nationale Umsetzung. Diese ist letztendlich maßgeblich und bestimmt konkret, welche Unternehmen betroffen sind und welche Maßnahmen erforderlich sind.
Herausforderungen für Agenturen
Agenturen, die digitale Dienstleistungen für Kunden erstellen, müssen sicherstellen, dass ihre Produkte und Services den Barrierefreiheitsanforderungen entsprechen. Dabei geht es nicht nur um die optische Darstellung, sondern um funktionale Barrierefreiheit, etwa:
- Alternativtexte für Bilder und Medieninhalte
- Skalierbare Schrift und ausreichende Kontraste
- Semantische Struktur und ausreichend große Bedienelemente
- Klare und nachvollziehbare Formulare
- Kompatibilität mit Screenreadern und assistiven Technologien
- Tastaturbedienbarkeit aller interaktiven Elemente
Wichtig ist, dass Agenturen auch Kleinunternehmen und B2B-Dienstleister darüber aufklären, dass sie – auch wenn sie aktuell nicht vom BFSG betroffen sind – mittelfristig ebenfalls von der Entwicklung zur digitalen Barrierefreiheit profitieren können. Laut Cleverreach, kann eine frühzeitige Implementierung langfristige Anpassungskosten senken und die Reichweite erhöhen.
Overlays sind keine Lösung
Ein weitverbreiteter Irrglaube ist, dass sogenannte Accessibility-Overlays eine schnelle und einfache Möglichkeit darstellen, Websites barrierefrei zu gestalten. Diese Technologien, die durch Drittanbieter-Skripte die Barrierefreiheit verbessern sollen, haben jedoch erhebliche Schwächen.
Accessibility-Overlays sind Softwarelösungen, die durch zusätzlichen Code über bestehende Webseiten gelegt werden, um Barrieren automatisch zu reduzieren. Sie versprechen Verbesserungen wie angepasste Kontraste, größere Schriftarten oder optimierte Tastaturnavigation. Allerdings beheben sie oft nur oberflächliche Probleme und bieten keine vollständige Barrierefreiheit.
Laut einer Studie unter Praktikern im Bereich der Barrierefreiheit im Internet (WebAIM = Web accessibility in mind) an der Utah State University (USA) empfinden 67 Prozent der Befragten diese Tools als wenig bis gar nicht effektiv. Menschen mit Behinderungen bewerteten sie sogar noch kritischer: 72 Prozent gaben an, dass Overlays nicht die gewünschte Wirkung erzielen.
Die Bonner Webdesignerin und Accessibility-Expertin Angie Radtke warnt: „Ist eine Website nicht barrierefrei, bieten Overlays keine Barrierefreiheit auf Knopfdruck, das wäre zu einfach. Vor allem bei Formularen, Bildbeschriftungen oder der Tastaturbedienung versagen sie. Manchmal führt der Einsatz von Overlays sogar dazu, dass neue Barrieren entstehen.“
Zusätzlich problematisch sei, dass einige Anbieter von Overlays suggerieren, dass deren Einsatz ausreiche, um die gesetzlichen Anforderungen des BFSG zu erfüllen, erklärt Radtke. Tatsächlich könne aber kein Overlay eine vollständige Konformität mit den gesetzlichen Vorgaben garantieren. Dies könne zu Fehlinvestitionen und rechtlichen Risiken führen, ergänzt Radtke.
Konsequenzen bei Nichteinhaltung
Unternehmen, die die Anforderungen des BFSG nicht erfüllen, riskieren laut der Bundesfachstelle Barrierefreiheit verschiedene Sanktionen. Diese reichen von der verpflichtenden Nachbesserung bis hin zur Marktuntersagung für nicht barrierefreie Produkte und Dienstleistungen. Gerade für Agenturen sei es daher essenziell, ihre Kunden frühzeitig auf mögliche Risiken hinzuweisen und gezielte Lösungen anzubieten.
Fazit: Agenturen sollten proaktiv handeln
Das BFSG wird die digitale Landschaft nachhaltig verändern. Agenturen müssen jetzt handeln, um sich und ihre Kunden auf die neuen Anforderungen vorzubereiten. Eine nachhaltige Barrierefreiheitsstrategie erfordert mehr als schnelle Notlösungen – sie erfordert fundiertes Fachwissen und eine durchdachte Umsetzung. Wer frühzeitig Barrierefreiheit in die digitale Planung integriert, kann nicht nur rechtliche Risiken minimieren, sondern auch neue Zielgruppen erschließen.
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