Studien Lerch und Happich über Führung und Haltungskommunikation "Wegschauen geht im aktuellen Umfeld nicht mehr."

Vor dem Hintergrund des Wahljahres 2025 in Deutschland und dem gefühlten Trend, dass Unternehmen infolge der aktuellen Entwicklungen in Haltungsthemen wie Vielfalt oder Nachhaltigkeit eher auf dem Rückzug sind, hat die Kommunikationsberatung Lerch + Happich im ersten Halbjahr 2025 ein qualitatives Stimmungsbild zum Thema Führung und Haltungskommunikation erhoben. Die Agentur hat rund 170 Kommunikator:innen, Strateg:innen und Personaler:innen aus kleinen und mittleren, mittelständischen, börsennotierten sowie öffentlichen Unternehmen befragt. Die Ergebnisse zeigen: Haltungskommunikation ist Erfolgsfaktor.

Haben ein Stimmungsbild zum Thema Führung und Haltungskommunikation erhoben: Silke Lerch und Nils Happich. (Foto: Marie-Christine Möller)

PR-Journal: Ihre Befragung zeigt: Rund 50 % der Unternehmen zeigen heute mehr Haltung als vor fünf Jahren. Das ist doch eine gute Nachricht, oder?

Silke Lerch: Auf jeden Fall. Spannend ist aber, warum sie das tun. Es geht dabei nämlich nicht nur um die eigene Reputation oder das Image. Die Unternehmen haben verstanden: Sie müssen um Fachkräfte werben und beziehen daher auch Stellung, um ihre Attraktivität als Arbeitgeber zu stärken. Und: Kunden oder Eigentümer erwarten es. Um ein wenig Wasser in den Wein zu kippen: immerhin gut 9% der von uns Befragten geben an, dass ihr Unternehmen weniger Haltung zeigt als noch vor 5 Jahren – weil Stakeholder Druck ausüben, weil sie Sorge vor negativen Reaktionen haben oder schlicht unsicher sind, wie sie das gut machen können. Unterm Strich aber zeigt sich eine positive Entwicklung.

PR-Journal: Was hat diesen Wandel ermöglicht?

Nils Happich: Die Unternehmen haben ja durchaus Übung, Haltung in eigener Sache zu zeigen – etwa darin, wie die Unternehmenswerte gelebt werden. Die aktuellen Krisen der letzten Jahre aber sorgen dafür, dass gesellschafts- und handelspolitische Themen oder sogar Kriege das eigene Wirtschaften direkt beeinflussen. Und das muss man einordnen.

PR-Journal: Viele Unternehmen wägen Haltungsthemen zwar weiterhin sorgfältig ab, aber immerhin ein Viertel bekennt klar Farbe. Ist das ein Wendepunkt?

Lerch: Von einem Wendepunkt würden wir noch nicht sprechen: Viele Unternehmen sind immer noch lieber als Teil konzertierter Aktionen aktiv – also gemeinsam mit anderen im Rahmen einer Initiative. Davon haben wir in Deutschland zuletzt auch einige gesehen – etwa rund um die Bundestagswahl, für Demokratie, für Vielfalt oder zum Weltkriegsgedenken. Das ist gut, lässt aber die Frage offen, ob sich das Unternehmen am Ende auch alleine glasklar positionieren würde. Das machen aktuell eben nur 25% der Unternehmen. Ob das merklich mehr werden wird, bleibt abzuwarten.

PR-Journal: Warum wächst der Mut zur Haltung gerade jetzt – in einem politisch sehr aufgeladenen Jahr?

Happich: Im Grunde ging es in den letzten Monaten und Jahren ja vor allem um Themen, bei denen sich viele Unternehmen lange wegducken konnten. Etwa, dass man überhaupt wählen geht. Oder dass man sich gegenseitig respektvoll und tolerant begegnet. Doch wegschauen geht im aktuellen Umfeld nicht mehr - nicht zuletzt auch, weil es gilt, bei der eigenen Belegschaft Flagge zu zeigen. Und die ist weiter kritisch: Nur 50% der Unternehmen überzeugen aktuell intern mit ihrer Haltungskommunikation. Die andere Hälfte schafft das leider noch nicht.

PR-Journal: Führungskräfte zeigen laut Ihrer Untersuchung zunehmend Haltung, vor allem bei persönlicher Betroffenheit. Welche Dynamik steckt dahinter? 

Lerch: Führungskräfte zeigen öfter als noch vor 5 Jahren Haltung, und zwar nicht nur im Sinne des Haltungs-Narrativs des Unternehmens. Gut 20% stehen auch unter Druck zu Ihren Überzeugungen, nur wenige winden sich oder mauern. Am leichtesten fällt es, Farbe in der persönlichen Kommunikation zu bekennen und bei Themen, die man direkt mitbekommt – etwa, weil jemand unfair behandelt wird, bei Konflikten oder eben auch im Führungskontext. Das gilt aber unabhängig davon, ob jemand Führungskraft ist oder nicht. 

PR-Journal: Besonders spannend: Entscheidender Treiber in Sachen Haltung sind laut Ihren Ergebnissen nicht die Führungskräfte, sondern engagierte Mitarbeitende. Was können Unternehmen von diesen Botschafter:innen lernen?

Happich: Zunächst einmal sind natürlich die Geschäftsführung und die Unternehmenskommunikation die zentralen Multiplikatoren eines Haltungsnarrativs. Und sie bedienen die offiziellen Kanäle von offiziellen Kampagnen oder Statements über die sozialen Medien bis zur internen Kommunikation in der Regel hoch professionell. Und natürlich wird auch mit Führungskräften und in Meetings darüber gesprochen. Aber Haltungsthemen werden im Alltag noch zu selten erlebbar, weil sie noch nicht gleichermaßen alle Mitarbeitenden erreichen. Und hier kommen die Botschafter:innen, und damit auch die Change-Agents, ins Spiel. In unserer Umfrage sagen 36%, dass diese engagierten Kolleg:innen die Haltungsthemen vorantreiben –damit werden sie öfter genannt als etwas Bereichsleiter, also das mittlere Management. Das Gute daran ist: diese Menschen haben Lust darauf, Orientierung zu geben und zu gestalten. Und damit können sie als echte Multiplikatoren wirken. 

Lerch: Das deckt sich mit unserer Erfahrung als Kommunikationsberater für nahezu alle Unternehmen, die sich in Veränderungsprozessen befinden. Wenn es in dieser Zeit Change-Agents mit einem klaren Mandat gibt, gestalten diese den Haltungsnarrativ mit und beeinflussen die Transformation positiv. Der Vorteil: Sie sind optimalerweise eng mit der internen Kommunikation abgestimmt und kommunizieren über die Hierarchie-Ebenen hinweg. Insgesamt wird das Haltungsthema, insbesondere in Veränderungsprozessen, noch viel zu selten als zentraler Erfolgsfaktor gesehen.

PR-Journal: Haltungskommunikation findet oft auf offiziellen Kanälen statt, bleibt im Alltag der internen Kommunikation aber vielerorts unsichtbar. Wie lässt sich das ändern?

Happich: Indem man auch Haltung von den eigenen Leuten viel stärker strukturiert einfordert – das machen laut Umfrage aktuell nur 23% der Unternehmen. Schauen wir nochmal auf die Führungskräfte: Immerhin sind Haltungsthemen in vier von zehn Fällen in den Führungsleitlinien verankert und werden durch Coaching oder Trainings vermittelt. Schon weitaus seltener ist Haltung aber Teil von Beurteilung und Verzielung oder Thema in der Führungskräfteentwicklung. Am häufigsten – nämlich zu 51% – sagen die von uns Befragten: In meinem Unternehmen wird Haltung über Führungsvorbilder transportiert. Und genau die gilt es zu stärken.

PR-Journal: Viele erleben Haltung heute weniger als Risiko, sondern als Resonanzthema. Teilen Sie diesen Eindruck – ist Haltung erwachsener geworden?

Lerch: Wir sehen schon, dass in den Unternehmen ein Resonanzraum für Haltungsthemen geschaffen wird, etwa in Team-Meetings oder anderen regelmäßigen Formaten. Doch am Ende ist ja entscheidend, wie gern dieser Raum gefüllt wird und ob sich die Menschen sicher und ermutigt fühlen, Haltung zu zeigen. Hier haben uns die Ergebnisse doch etwas nachdenklich gemacht.  Zwar sagen 17% der Befragten, sie zögern nie damit, Haltung zu zeigen. Allerdings gibt es auch die Kehrseite der Medaille. So sagen ebenfalls nur 17%, dass sich Kolleg:innen sicher oder sehr sicher fühlen können, eine eigene Haltung zu zeigen, auch wenn die unbequem ist. Und 64% haben in jüngerer Vergangenheit selbst gezögert, sich klar zu positionieren – sei es, weil sie sich nicht wohl gefühlt haben, etwa bei politischen Themen, oder weil sie es für aussichtslos halten, da es in der Hierarchie zu viele andere Meinungen gibt. Hier sollten Unternehmen aus unserer Sicht ansetzen und einen klaren Rahmen schaffen, in dem Führungskräfte wie Mitarbeitende gern und emanzipiert Haltung zeigen. 

PR-Journal: Persönlich gefragt: Was stimmt Sie nach dieser Studie optimistisch – woran sehen Sie, dass Haltung in der Unternehmenswelt wirklich ankommt?

Happich: Das Stimmungsbild unter den Befragten ist klar: 87% geben an, dass das Thema Haltung für sie bei der Wahl des (nächsten) Arbeitgebers wichtig ist. Das zeigt aus unserer Sicht: Unternehmensverantwortliche wissen, dass sie sich im Kampf um Talente dieser Erwartung stellen müssen. Im Rahmen unserer Beratung schauen wir gemeinsam auch darauf, wie Haltungskultur und -kommunikation im Einklang mit ihrem Leitbild und ihrem Geschäftsmodell bzw. ihrer strategischen Ausrichtung gelingen und die richtige Dosierung gefunden werden kann. Denn mit einer klaren Positionierung, die zu Geschäftsmodell, Strategie und Kultur passt, können sie den Unterschied machen – und eine zunehmende Zahl von Unternehmen zeigt ja, dass das funktioniert.

Seitennavigation