Studien Jenseits des weißen Kittels Gesundheitskommunikation muss Vertrauen neu verhandeln
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- von Annett Bergk, Hamburg
Das Vertrauen in das Gesundheitssystem sinkt. Auch in Deutschland, und gerade bei jungen Menschen. Der neue Edelman Trust Barometer 2025 Special Report: Trust and Health legt offen, wie tief der Bruch mittlerweile geht. Doch es ist nicht nur ein medizinisches oder politisches Problem. Es ist ein kommunikatives. Und es stellt Profis in Gesundheits-PR und -kommunikation vor eine neue Realität.

Lange galt: Wer Expertise hat, dem wird geglaubt. Heute heißt es zunehmend: Wer wirkt wie jemand, der mich versteht, dem höre ich zu. Entsprechend muss Vertrauen neu definiert werden.
Junge Zielgruppen zweifeln an ärztlicher Autorität. Aus politischen Gründen.
Eine der drastischsten Erkenntnisse der Studie: 46 % der 18- bis 34-Jährigen in Deutschland würden ärztlichen Rat ignorieren oder Behandlungen abbrechen, wenn ihre Ärztin oder ihr Arzt eine andere politische Meinung haben. Bei den über 55-Jährigen sind es nur 18 %. Was hier auf den ersten Blick wie ein Generationenkonflikt wirkt, ist eine verschärfte Vertrauenskrise. Denn sie richtet sich nicht nur gegen „die Politik“, sondern trifft die ärztliche Person. Eine Stimme, die bislang als neutral galt.
Dass medizinische Kommunikation politisch gelesen wird, ist nicht neu. Aber dass sie dadurch als unglaubwürdig entwertet wird, ist vermutlich eine neue Eskalationsstufe. Sie betrifft nicht nur einzelne Praxen, sondern auch Behörden, Krankenkassen, Pharmaunternehmen und Gesundheitskampagnen. Und damit auch all jene, die sich professionell um Verständlichkeit und Vertrauen bemühen.
Nicht „Wer?“ ist wichtig, sondern „Für wen?“
Die Daten zeigen einen klaren Trend: Klassische Autoritäten verlieren an Bindungskraft, alternative Erfahrungsräume gewinnen. 56 % der befragten jungen Erwachsenen orientieren sich bei Gesundheitsentscheidungen an Menschen mit ähnlichen Krankheitsbildern. 32 % folgen Empfehlungen von Content Creatoren ohne medizinische Ausbildung. Und 34 % sagen offen: Ich habe in den letzten zwölf Monaten ärztlichen Rat ignoriert aufgrund von Informationen aus den sozialen Medien.
Parallel dazu wächst die Überzeugung, dass eigene Recherche mit professioneller Ausbildung mithalten kann: 43 % der jungen Menschen glauben, sie könnten sich durch Recherche genauso gut auskennen wie medizinisches Fachpersonal (zum Vergleich: nur 18 % der Älteren glauben das). Dieser „Wissensoptimismus“ ist Teil eines neuen Selbstverständnisses: Patient:innen verstehen sich zunehmend als eigenmächtige Akteur:innen und nicht als passive Empfänger:innen ärztlicher Anweisungen.
Neue Definition von Vertrauen
Die Studie zeigt auch: Vertrauen entsteht heute weniger durch Titel, sondern durch Relevanz, persönliche Erfahrung und geteilte Perspektiven. 65 % halten eine formale Ausbildung für einen wichtigen Indikator für gesundheitliche Expertise, ebenso viele bewerten persönliche Erfahrungen mit Gesundheitsthemen (66 %) und bereits erlebten Nutzen (65 %) als Kompetenznachweis. Persönliche Relevanz, das Phänomen „jemand wie ich“, spielt dabei eine zentrale Rolle.
Das hat Folgen: Gesundheitskommunikation muss empathischer werden, ohne sich dem Verdacht der Beliebigkeit auszusetzen. Verlässlichkeit braucht also emotionale Anschlussfähigkeit, damit sie nicht überhört wird. Und doch muss sich die Kommunikationsbranche fragen: Wie wollen wir Glaubwürdigkeit herstellen? Und für wen eigentlich?
„Vertrauen entsteht, wenn Kommunikation sichtbar wird, Haltung zeigt und echte Nähe schafft. Sie wirkt dann, wenn sie glaubwürdig ist und im Alltag der Menschen stattfindet“, sagt Nils Giese, CEO von Edelman Deutschland.
Andere Stimmen für Glaubwürdigkeit
Wenn sich junge Menschen eher an Gleichaltrige mit ähnlichen Krankheitsverläufen halten als an institutionelle Kampagnen, dann reicht „mehr Information“ entsprechend nicht mehr aus. Dann braucht es andere Stimmen. Mehr Diversität unter den Absender:innen. Formate, die Alltagssprache sprechen. Und einen Umgang mit Unsicherheit, der weder autoritär noch anbiedernd daherkommt.
Über das Edelman Trust Barometer 2025 Special-Report: Trust and Health
An der Online-Umfrage zum Edelman Trust Barometer 2025 Special-Report: Trust and Health nahmen 16.000 Personen in 16 Märkten (Australien, Brasilien, Kanada, China, Frankreich, Deutschland, Japan, Mexiko, Nigeria, Südafrika, Südkorea, Singapore, Indien, Vereinigte Arabische Emirate, Großbritannien und den USA) teil, wobei die Daten die nationale Bevölkerung jedes Landes widerspiegeln und von Alter, Region und Geschlecht repräsentativ sind. Alle Daten wurden im Zeitraum vom 4. - 14. März 2025 erhoben. Weitere Informationen finden Interessierte auf der Website von Edelman.
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