Chancen-Kompass Zwischen zwei Welten: Wenn Abschied und Neuanfang zum Spagat werden

Beim beruflichen Übergang schon mal den Eindruck gehabt, als riefe deine innere Stimme wie ein Navi „Bitte wenden“, während du mit voller Geschwindigkeit unterwegs bist? Ob selbst gekündigt, gekündigt worden oder einfach das Gefühl, dass es Zeit für Veränderung ist – der Übergang zwischen dem „Noch da“ und dem „Schon woanders (aber wo?)“ kann emotional und mental kräftezehrend sein. Gerade dann, wenn die Neuorientierung länger dauert als erhofft. Wenn sich nichts bewegt – außer die Tage, die verstreichen.

Mirjam Berle: „In Übergangsphasen ist mentale und emotionale Energie unser knappstes Gut.“ (Foto: privat)

Von Mirjam Berle, Frankfurt am Main

Ein Beispiel: Mal angenommen, auf dem Papier ist alles gut – der Job läuft, Kollegium und Team sind großartig, die Projekte spannend. Und doch gibt es dieses leise, aber beharrliche Flüstern: „Es wird Zeit für etwas Neues.“ Nicht, weil der aktuelle Job schlecht ist, sondern weil der Punkt gekommen ist, an dem es neue Gestaltungsräume braucht, die sich im aktuellen Unternehmen nicht abzeichnen. Doch wohin soll die Reise gehen? Ein großes Fragezeichen.

Der Tanz auf zwei Hochzeiten

Mental den Stecker zu ziehen, ist keine Option – innere Kündigung auch nicht. Also beginnt der Tanz auf zwei Hochzeiten: Tagsüber mit voller Kraft im aktuellen Job präsent sein, abends und am Wochenende in die Zukunftsplanung eintauchen. Coaching-Termine nach Feierabend, Recherchen in der Mittagspause, Bewerbungsgespräche, die – anders als heute – damals noch nicht unauffällig bequem aus dem Homeoffice geführt werden konnten.

Diese Phase fühlt sich an wie eine emotionale Zerreißprobe: einerseits die aktuelle Aufgabe samt ihrer Verantwortung, andererseits die Vorfreude und Planung für den Neustart, dazwischen das nagende Gefühl, keiner Seite wirklich gerecht zu werden – am wenigsten sich selbst.

Das Beispiel ist mein Beispiel. Genau so ging es mir beim Wechsel von Thalia zu Goodyear. Als schließlich die Entscheidung für den neuen Job gefallen war, folgte die nächste ermüdende Etappe: die Zeitspanne zwischen Kündigung und tatsächlichem Neustart. Monate im Zwischenraum – mit einem Bein schon in der Zukunft und dem anderen noch fest in der Gegenwart präsent. Nach meiner Kündigung im Frühjahr sollte ich erst nach der Frankfurter Buchmesse im Oktober starten – sechs lange Monate des beruflichen Spagats zwischen Büchern und Reifen, zwischen Abschied und Aufbruch.

Der innere Kompass als Orientierung

Was mir durch diese Zeit geholfen hat – genauso wie vielen derer, die ich in dieser Phase begleite – ist die eigene Stabilität. Noch voll im alten Job eingespannt, aber bereits mitten in der Neuorientierung. Dieser Spagat ist nicht einfach. In dieser Zwischenwelt wird der innere Kompass wichtiger denn je. Er hilft, die Balance zwischen professioneller Integrität und persönlicher Weiterentwicklung zu finden – den Spagat samt Balance zu meistern.

Besonders wertvoll wird in dieser Phase die klare mentale Trennung. Im Job das bewusste „Jetzt bin ich voll und ganz hier.“ Abseits davon explizit Grenzen ziehen und Räume schaffen für die Arbeit am Weg nach vorn. Diese bewussten Übergänge verhindern, dass die Gedanken an die berufliche Zukunft die aktuelle Leistungsfähigkeit untergraben – oder umgekehrt die Gegenwart den Blick für die Zukunft versperrt.

Und doch lockt ab und an die innere Kündigung – jenes gefährliche Gefühl, eigentlich schon nicht mehr da zu sein. Doch gerade in dieser Phase gewinnt professionelle Integrität eine besondere Bedeutung. Ein würdevoller Abschied – mit abgeschlossenen Projekten, guter Übergabe und konstruktivem Feedback – hinterlässt nicht nur einen bleibenden positiven Eindruck, sondern gibt uns selbst ein Gefühl der Vollendung.

„Wie du gehst, sagt oft mehr über dich aus als wie du gekommen bist.“ Ein Gedanke, der mich selbst durch so manch schwierigen Übergang begleitet hat. Er hat mir geholfen, auch langatmige Zeiten des innerlichen Aufbruchs zu überstehen – oder Brücken stehen zu lassen, die ich aus einem emotional aufgeladenen Impuls heraus durchaus gern abgerissen hätte.

Energie bewusst lenken – mental und emotional

Im Halten dieses beruflichen Spagats wird Energie zur Ressource, die am schnellsten schwindet. Der ständige Wechsel zwischen Verantwortung im alten Job und Vorbereitung auf das Neue zehrt an unserer Ausdauer.

Da ist zum Beispiel eine Führungskraft aus meinem Coaching, nennen wir sie Susi. Sie wurde gekündigt, aber nicht freigestellt, und erlebt derzeit zahlreiche Entscheidungen, die sie vom Unternehmen entfremden. Als Teil der Geschäftsführung möchte sie jedoch einen Weg finden, ihren eigenen Werten und gleichzeitig den Erwartungen anderer für eine geordnete Übergabe gerecht zu werden. Trotzdem oder gerade deshalb braucht sie zeitliche und gedankliche Freiräume, um Klarheit für ihren Weg nach vorn zu gewinnen.

Manchmal bedeutet das für sie, Kommunikationsverantwortung zu übernehmen, ohne es eigentlich zu wollen. Hierbei für Kollegen einzuspringen, von denen sie sich innerlich bereits distanziert hat. Abends fühlt sie sich oft völlig ausgelaugt – an einen klaren Gedanken für die berufliche Neuausrichtung ist kaum zu denken. Dann hilft ihr unser Austausch im geschützten Raum, um das Erlebte zu sortieren – damit Kopf und Seele wieder frei sind für den Weg nach vorn.

Ihre Erfahrung spiegelt eine wichtige Lektion wider, die auch ich gemacht habe: Nicht die Zeit ist unser knappstes Gut in dieser Übergangsphase, sondern die mentale und emotionale Energie.

Das bewusste Lenken dieser Energie erfordert Mut zur Lücke und die Fähigkeit, manchmal Fünfe gerade sein zu lassen – eine Herausforderung, besonders für Perfektionisten. Doch sie verhindert den totalen Energieverlust, der droht, wenn wir versuchen, beiden Welten gleichermaßen gerecht zu werden und es dabei allen recht zu machen.

Der schmale Grat der Kommunikation

Besonders heikel in dieser Phase ist die Frage der Kommunikation – daher gibt’s dazu eine eigene Kolumne: Was und wie viel sage ich wem und wann? Hier gibt es kein Patentrezept, doch meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass Ehrlichkeit – wenn auch zielgerichtet und wohldosiert – langfristig der beste Weg ist. Und ein abgestimmtes Wording in der Schublade hilft, wenn doch mal was durchsickert... alles schon vorgekommen.

In der Balance zwischen Transparenz und Diskretion liegt eine der größten kommunikativen Herausforderungen des beruflichen Spagats. Diese Balance zu finden, erfordert Fingerspitzengefühl – und das Wissen, dass perfekte Lösungen selten sind.

Gedanken zum Mitnehmen:

  • Akzeptiere den Spagat als vorübergehende Phase mit eigenem Wert. Die Fähigkeit, in Übergangsphasen fokussiert zu bleiben und gleichzeitig loszulassen, ist eine der wertvollsten Kompetenzen unserer schnelllebigen Arbeitswelt.
  • Nutze bewusste mentale Übergänge, um zu entscheiden, wo du gerade stehst – im Hier und Jetzt deines aktuellen Jobs oder in der Vorbereitung auf das Neue. Diese gedankliche Klarheit schafft emotionale Entlastung.
  • Bewahre deine professionelle Integrität bis zum letzten Arbeitstag. Ein würdevoller Abschied ist nicht nur ein Geschenk an dein berufliches Netzwerk, sondern vor allem an dich selbst.
  • Betrachte Energie, nicht Zeit, als deine knappste Ressource. Frage dich nicht nur, wofür du Zeit hast, sondern wofür deine mentale und emotionale Kraft heute wirklich reicht.

Über die Autorin: Veränderung ist die ständige Begleiterin von Mirjam Berle. In ihrer über 20-jährigen Karriere hat sie unzählige Transformationsprozesse und Krisensituationen hautnah miterlebt – als Führungskraft und Kommunikatorin. Als Wegbereiterin für Wandel berät und begleitet Mirjam heute Führungskräfte dabei, neue Wege zu erkennen und souverän zu beschreiten.

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