Chancen-Kompass Wenn Schweigen belastend wird: Wie loslassen, wenn wir nicht losreden dürfen?

Liebe Leserinnen und Leser, in dieser Folge des „Chancen-Kompass" widmet sich unsere Autorin Mirjam Berle einem besonders herausfordernden Aspekt unseres Berufs: dem Umgang mit vertraulichen Informationen, die uns persönlich oder Menschen in unserem nahen Umfeld betreffen. Wie navigieren wir durch Zeiten, in denen Schweigen notwendig, aber emotional belastend oder aufwühlend ist? Wie wir diese Zeit nicht nur überstehen, sondern auch für uns selbst nutzen können.

Mirjam Berle gibt Denkanstöße für den Umgang mit emotional belastenden Situationen. (Foto: privat)

Von Mirjam Berle, Frankfurt am Main

„Wie geht es dir?“ Eine simple Frage, die in manchen Momenten unseres Berufslebens zur größten Herausforderung werden kann. Der Kopf rattert, während wir nach einer Antwort suchen, die sowohl ehrlich als auch diskret ist. Als Kommunikationsverantwortliche kennen wir diese Situation nur zu gut – besonders wenn wir früh in sensible Transformationsprozesse eingebunden sind.

Häufig war ich selbst in genau solch einer Situation: Eine weitreichende Reorganisation steht auf dem Plan. Menschen, mit denen ich seit Jahren zusammenarbeite, würden ihre Positionen verlieren. Auch mich kann es treffen. Die Last dieses Wissens begleitet mich wochen- schier monatelang. Jedes „Hallo“, jedes Gespräch wird zum Eiertanz... zum Balanceakt zwischen beruflicher Integrität und persönlicher Authentizität.

Wenn das Unausgesprochene schwer wiegt

Das Bewahren vertraulicher Informationen fordert uns auf eine Weise heraus, die weit über das professionelle Terrain hinausgeht. Es ist die emotionale Last, Menschen, die uns nahestehen, in einer vermeintlichen Sicherheit zu sehen, während wir um die bevorstehenden Veränderungen wissen. Wir navigieren täglich im Spannungsfeld zwischen Loyalität zum Unternehmen und persönlichen Beziehungen. Dabei müssen wir authentisch (und das heißt für die allermeisten auch ehrlich) bleiben, ohne zu viel zu verraten – ein Drahtseilakt, der an unseren Kräften zehren kann.

Ein Grundsatz, der mir in solchen Situationen immer wieder Halt und Orientierung gibt: Schweigen bedeutet nicht zu lügen. Es bedeutet, unsere professionelle Rolle und die damit verbundene Verantwortung ernst zu nehmen. Doch wie setzen wir das praktisch um, ohne uns selbst zu verlieren?

Den inneren Kompass justieren

Die emotionale Belastung des Schweigens dürfen wir nicht unterschätzen. Sie kann sich in Schlafstörungen, innerer Unruhe oder Konzentrationsproblemen äußern. Das eigene Aufgewühltsein macht es oft zusätzlich schwer, einen klaren Kopf zu bewahren. Manchmal fühlt es sich an wie eine emotionale Achterbahn: An einem Tag haben wir alles im Griff, am nächsten überrollt uns die Wucht der Situation erneut. In solchen Phasen ist es essenziell, uns selbst nicht aus dem Blick zu verlieren. Ein vertrauter Mentor gab mir einst den Rat, mir „Inseln der Stabilität“ zu schaffen – Orte oder Momente, in denen ich die Last des Wissens ablegen und loslassen kann.

Inseln der Stabilität finden

Für mich wurde häufig ein Coach außerhalb des Unternehmens zu solch einer Insel. Hier konnte ich meine Gedanken und Gefühle sortieren, ohne Vertraulichkeiten zu brechen – denn Vertraulichkeit ist einer der Grundpfeiler ethisch korrekten Coachings. Auch meine Laufrunden waren Auszeit und Ventilation. Den Kopf freizubekommen, die emotionale Last ein wenig abzuschütteln, all das hilft, um die nötige Distanz zu behalten – vom eigenen Wahrnehmen genauso wie von dem anderer.

Natürlich unterscheiden sich diese Inseln individuell – Laufrunden sind kein Allheilmittel. Umso wichtiger ist es, für sich selbst zu überlegen, wie die eigene Insel aussehen muss, damit sie wirklich funktioniert.

Es braucht diese Momente des Innehaltens besonders dann, wenn uns die Gefühle wie ein Strudel mitzureißen drohen. Wenn Sorge, Mitgefühl und manchmal auch Schuldgefühle sich überlagern. Dann hilft es, einen Schritt zurückzutreten, durchzuatmen und sich neu zu sortieren – bevor wir wieder in die nächste Gesprächssituation gehen.

Zeit des Schweigens als Zeit der Klarheit

Für viele von uns ist selbstverständlich, dass wir in der Zeit des Schweigens Kommunikationsstrategien und Unterstützungsangebote für die Zeit „danach“ erarbeiten. Mir persönlich hat es geholfen, diese Arbeit auch für mich als Zeit der Klarheit zu deuten. Denn diese vorausschauende Perspektive gibt dem Schweigen einen Sinn und macht es erträglicher.

Klar ist: Je besser wir für die Zeit nach der offiziellen Bekanntgabe vorbereitet sind, desto leichter fällt es uns, die Phase des Schweigens durchzustehen. Das Wissen, dass wir einen Plan haben, wie wir die Betroffenen bestmöglich unterstützen können, darf auch uns selbst Halt und Orientierung geben.

Gedanken zum Mitnehmen:

  • Authentizität zeigt sich auch im aufrichtigen Umgang mit den belastenden Facetten unserer Rolle.
  • Uns selbst „Inseln der Stabilität“ zu schaffen, also Orte oder Momente, die entlasten, ist ein No-Brainer den wir gern mal vergessen.
  • Bleib mit dir selbst im Dialog – durch Bewegung, gesunde Reflexion oder professionelle Unterstützung.

Über die Autorin: Veränderung ist die ständige Begleiterin von Mirjam Berle. In ihrer über 20-jährigen Karriere hat sie unzählige Transformationsprozesse und Krisensituationen hautnah miterlebt – als Führungskraft und Kommunikatorin. Als Wegbereiterin für Wandel berät und begleitet Mirjam heute Führungskräfte dabei, neue Wege zu erkennen und souverän zu beschreiten.

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