Chancen-Kompass Überzeugend führen: Die hohe Kunst souveräner Gelassenheit
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- von Thomas Dillmann, Bad Honnef
In der 6. Folge des „Chancen-Kompass" widmen wir uns einer Qualität, die in der aktuellen Führungsdiskussion oft zu kurz kommt: Gelassenheit. In Zeiten, in denen Politik und Gesellschaft von Konflikten überfordert wirken und selbst eher Unsicherheit ausstrahlen, wird sie zur entscheidenden Ressource. Doch was bedeutet es, gelassen zu führen? Und wie gelingt der Spagat zwischen Handeln und Abwarten, zwischen Anteilnahme und Abstand sowie zwischen klarer Ansage und dem Vorschlag zur Güte?
Gelassenheit ist keine Gleichgültigkeit
"Stay calm, keep cool, relax" – wenn es doch so einfach wäre. Gerade jetzt, wo geopolitische Spannungen, wirtschaftliche Unsicherheiten und technologische Umbrüche sich gegenseitig verstärken, scheint souveräne Gelassenheit wie ein schier unerreichbarer Luxus. Dabei ist sie grundsätzlich für alle von uns verfügbar... und das muss sie auch, denn sie wird zunehmend zur zentralen Führungskompetenz.
Gelassen führen bedeutet nicht, den Dingen ihren Lauf zu lassen oder Probleme auszusitzen. Es meint auch nicht, so lange zu warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Im Gegenteil: Es geht darum, einen klaren Kopf zu bewahren, wenn andere ihn verlieren. Es bedeutet, die Fähigkeit zu kultivieren, Abstand zu gewinnen, ohne die Verbindung zu verlieren. Und vor allem bedeutet es, zwischen dem schnellen Handeln im „Maschinenraum“ und der Navigation von der Brücke aus flexibel wechseln zu können. Und das alles auf eine Art und Weise, die Ruhe und Entschiedenheit statt emotionaler Wallung ausstrahlt.
Bewährungsprobe der Gelassenheit
Meine Zeit beim DFB war das Intensivste, was mir mein Berufsleben bisher an Turbulenzen beschert hat. Eine Vielzahl der Arbeitstage gestalteten sich wie eine Mischung aus House of Cards und Macbeth – mit einer Prise Hunger Games und der Frage, wer am Ende des Tages eine Runde weiter ist. Das Problem waren dabei weniger die Einschläge selbst, sondern vielmehr ihre Dichte und die Unberechenbarkeit, mit der sie kamen.
In dieser Gemengelage zeigte sich sehr klar: Gelassenheit war meine wichtigste Führungskompetenz – und zwar im doppelten Sinn. Als Führungskraft war ich dafür verantwortlich, dass mein 50-köpfiges Team möglichst ohne unnötige „Querschläger" arbeiten konnte (wir erinnern uns... Covid war damals schon Herausforderung genug). Als Kommunikationsverantwortliche war ich außerdem nicht nur gefordert, selbst gelassen zu bleiben, sondern auch Gelassenheit zu vermitteln – Worte reichten da nicht, es kam auf die Wirkung, die Ausstrahlung und das Tun an.
Während vom Team schnelle, kontrollierende Kommunikation erwartet wurde, brauchte es gleichzeitig Orientierung und Rückendeckung, um einen guten Job zu machen. Der Schlüssel lag darin, die unterschiedlichen Bedürfnisse ernst zu nehmen und transparent zu machen, ohne mich darin zu verlieren. Ohne Gelassenheit kein klarer Kopf...
Raum für Klarheit schaffen
Meine Erfahrung: Echte Gelassenheit entsteht nicht durch Verdrängen oder Ignorieren von Problemen. Sie wächst aus der Bereitschaft, unbequemen Tatsachen ins Auge zu sehen und gleichzeitig den inneren Abstand zu wahren, der für kluge Entscheidungen nötig ist. Aber wie erschaffst du diesen Raum im Kopf, wenn die Ereignisse dich zu überrollen drohen?
Manchmal waren es die einfachsten Dinge, die am wirksamsten waren: Ein kurzer Spaziergang im Stadtwald zwischen kritischen Meetings. Das bewusste „Abladen" von wenig hilfreichen Gedanken im Notizbuch. Der Austausch mit vertrauensvollen Personen. Eine Runde Laufen oder Yoga vor dem Start in den Tag. Diese Rituale ermöglichten mir mentale Distanz und damit die Voraussetzung für gelassene Führung.
Flexibilität als Schlüssel
Die wahre Kunst der Gelassenheit liegt in der Flexibilität. Es geht darum, den richtigen Moment zu erkennen – für Handeln oder Abwarten, für Nähe oder Distanz. Gelassene Führungskräfte verstehen, dass nicht jede Krise sofortiges Eingreifen erfordert und nicht jedes Problem eine unmittelbare Lösung braucht. Sie wissen aber auch, dass Nichtstun nichts verändert.
Diese Flexibilität zeigt sich auch im Umgang mit unterschiedlichen Drucksituationen. Wenn die Erwartungen 'von oben' mit den operativen Möglichkeiten kollidieren, ist es deine Aufgabe, beide Seiten zu verstehen und zu übersetzen. Das bedeutet auch, manchmal unbequeme Wahrheiten nach oben zu kommunizieren oder dem Team die harten Fakten zuzumuten – dabei hilft die Fähigkeit, zwischen der operativen und der strategischen Perspektive zu wechseln.
Diese Form der Flexibilität bedeutet auch, zwischen verschiedenen Perspektiven wechseln zu können. Vom operativen „Maschinenraum“, wo Details und unmittelbare Aktionen wichtig sind, auf die „Brücke“, wo der Überblick gewahrt und strategische Weitsicht möglich ist. Beide Positionen haben ihre Berechtigung – die Kunst liegt im Timing des Wechsels.
Gelassenheit kultivieren
Gelassenheit ist keine angeborene Eigenschaft, sondern eine Kompetenz, die sich entwickeln lässt. Hier einige praktische Ansätze:
- Schaff dir bewusst Denkräume im Alltag, um die Gedanken „aufzuräumen"
- Übe dich im Perspektivwechsel zwischen Detail und Überblick
- Pflege eigene Rituale für mentale Distanz
- Akzeptiere, dass nicht alles sofort gelöst werden muss
- Pflege den Austausch mit Menschen, denen du vertrauen kannst – intern oder extern
Gelassenheit vermitteln
Als Kommunikationsverantwortliche stehen wir in der besonderen Pflicht, Gelassenheit nicht nur zu leben, sondern auch zu vermitteln – in Krisen, bei Veränderungen, in unsicheren Zeiten. Das ist nur authentisch möglich, wenn du selbst einen Anker der Ruhe gefunden hast. Erst deine eigene innere Stabilität befähigt dich, andere durch stürmische Gewässer zu navigieren. Dabei wird Gelassenheit selbst zur Botschaft: Sie schafft Vertrauen, vermittelt Sicherheit und macht deine Kommunikation glaubwürdig.
Gedanken zum Mitnehmen:
- Gelassenheit ist eine zentrale Führungskompetenz in volatilen Zeiten.
- Der Wechsel zwischen Handeln und Reflexion, zwischen Nähe und Distanz macht den Unterschied.
- Mentale Räume und kleine Rituale helfen dir, Gelassenheit auch in stürmischen Zeiten zu bewahren.
- Als Kommunikator kannst du Gelassenheit nur dann überzeugend vermitteln, wenn du sie selbst kultivierst und lebst.
Über die Autorin: Veränderung ist die ständige Begleiterin von Mirjam Berle. In ihrer über 20-jährigen Karriere hat sie unzählige Transformationsprozesse und Krisensituationen hautnah miterlebt – als Führungskraft und Kommunikatorin. Als Wegbereiterin für Wandel berät und begleitet Mirjam heute Führungskräfte dabei, neue Wege zu erkennen und souverän zu beschreiten.
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