Bausteine für eine KI-Strategie in der Unternehmenskommunikation – Teil 1

Aktuell ist es vielleicht die spannendste Diskussion, die in der PR- und Kommunikationsbranche geführt wird: Wie steht es um die Chancen und Risiken beim Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Unternehmenskommunikation? Das Für und Wider haben für das „PR-Journal“ Christina Wöhlke und Tilo Timmermann abgewogen, sie aus der Perspektive einer Sprachdienstleistungs- und Übersetzungsagentur, er aus der Sicht einer Kommunikationsberatung für Technologie-Unternehmen. Dabei herausgekommen ist eine ausführliche Bestandsaufnahme, die diesen Fragen nachgeht: Was können die Chat-Module? Wo liegen die Fallstricke? Brauchen Unternehmen eine KI-Strategie und wie könnte sie aussehen?
Die durchaus kritische Bestandsaufnahme veröffentlicht das „PR-Journal“ in drei Teilen.

In Teil 1 (3. Februar) geht es um die Leistungsfähigkeit und das Verständnis von KI. Teil 2 (10. Februar) behandelt die automatisierte Texterstellung und die Gefahr fürs Corporate Wording. Teil 3 (17. Februar) beschäftigt sich mit Grenzen und Fehlerpotenzial sowie ethischen Fragen.

Teil 1

Das Verständnis von KI hat sich gewandelt

Bis vor Kurzem war „künstliche Intelligenz“ in der Unternehmenskommunikation, also jenseits der IT-Expertenforen, häufig nicht mehr als eines der Buzzwords, mit denen man das Produkt eines Kunden positiv darstellen sollte, sobald es auch nur einen Algorithmus enthielt. KI steckte vor allem in „smarten“ Konsumgütern, die auf scheinbar besonders intelligenten Funktionen beruhten.

Das hat sich zunächst langsam geändert, seit zum Beispiel vermehrt Chat-Bots im Kundendialog auf der Website eingesetzt wurden – mit gemischten Ergebnissen. Sie sollen zusätzlichen Service bieten und das Personal im Call-Center, im Vertrieb oder im Support entlasten. Es ist absehbar, dass sich ihre Qualität speziell bei eng eingegrenzten Aufgaben sehr schnell weiter verbessern wird.

Spezielle Dienstleister machen KI-Anwendungen ebenfalls seit Längerem für Marketing und PR fruchtbar – insbesondere beim Monitoring und bei der Evaluation von Maßnahmen mit hoher Reichweite im Netz, also zum Beispiel im suchmaschinennahen Online-Marketing mit klaren KPIs (Google Analytics) oder bei der Erfolgsmessung der Medienpräsenz, wo auch die Tonality von Medienberichten automatisiert analysiert wird.

Das große Ausprobieren

Rasant und für viele sichtbar geht es aber voran, seit Projekte wie OpenAI zum ersten Mal öffentlich nutzbar wurden. Inzwischen gibt es zahlreiche Plattformen, auf denen alle Internetnutzer kostenlos in den Dialog mit künstlichen Intelligenzen gehen können. Am bekanntesten sind im deutschsprachigen Raum ChatGPT für die Erstellung von Texten und DALL-E 2 für die textbasierte Generierung von Grafiken. OpenAI beruht auf einem ausgewählten, geschlossenen Trainingsmaterial, das nicht jünger als 2021 ist. Viele Menschen haben sich damit noch nicht beschäftigt, während andernorts die Diskussionen schon hohe Wellen schlagen. Im Januar 2023 wurde bekannt, dass Microsoft nach einem Investment von einer Milliarde Dollar in OpenAI das Chatmodul nun wohl in Microsoft Office integrieren will (Golem.de) und weitere 10 Milliarden Dollar investiert (Forbes.com).

Der wirklich erstaunliche Output der intelligenten Computer rührt an die Grundfesten des menschlichen Selbstverständnisses: Wo liegt noch der Unterschied zwischen dem menschlichen und dem maschinellen „Denken“? Im Feuilleton fragt man sich, ob die Supercomputer eine Seele besitzen können, wie die Geschichte des von Google gefeuerten Software-Experten Blake Lemoine nahelegt (1). Obwohl Digitalminister Volker Wissing nach einem Besuch bei OpenAI in den USA vor einer Regulierung warnt (2), ist es nicht ausgeschlossen, dass die hochgerüstete Intelligenz, von politischer Seite eingeschränkt wird. Zudem wird kritisiert, dass die KI-Grundlagenmodelle vor allem auf US-amerikanischem oder chinesischem Datenmaterial beruhen und damit ethisch und rechtlich fragwürdig oder zumindest im europäischen Kontext unpassend sein könnten (3).

Wir wollen uns an dieser Stelle aber lieber mit der Frage beschäftigen, ob die KI bei fortgesetzt rasanter Entwicklung auch die Grundfesten der Unternehmenskommunikation erschüttern wird. Ihrem Einsatz wird allgemein unterstellt, er brächte eine Steigerung von Innovation, Effizienz und Tempo. Was ist da dran? Wo sind die ersten konkreten Auswirkungen sichtbar? Und wo führt das alles hin?

Auf Instagram bin ich ein Astronaut

Eine größere Sichtbarkeit in der Breite erreichte das Thema im vergangenen Herbst auf Instagram, als massenweise User Selfies posteten, die mit der App Lensa „angereichert“ worden waren. Nun konnte man sich selbst als Raumfahrer oder Superheldin bewundern. Das alles geschah seltsam unberührt von der Debatte über Fake News und Deep Video-Fakes, die bereits seit Jahren andauert. Das Spiel mit der Bearbeitung der Wirklichkeit, das ja dank der Filter ohnehin auf Instagram quasi immanent angelegt ist, ist auf einer neuen Ebene angekommen. Es bringt nun rechtliche Probleme mit sich, seit einige AI-Bildertools es erlauben, Bilder sogar im Stil einzelner Künstler aus der Comic-, Manga- oder Gaming-Szene zu erzeugen. Die fragen sich zurecht, ob hier nicht durch die anonymisierte Massenauswertung des weltweit vorhandenen grafischen Materials gezielt das Urheberrecht umgangen wird. Eine Künstlerin arbeitet ihr Leben lang an der Erschaffung ihres unverkennbaren Stils – und muss dann zusehen, wie andere auf Knopfdruck ihre Leistung unentgeltlich kopieren, ja sogar maschinell adaptieren und weiterverwenden können.

Die große Begeisterung kommt übrigens meistens von denen, die nicht persönlich betroffen sind. Es ist sehr unterhaltsam, wie sich der Musiker Nick Cave mit einem Songtext auseinandersetzt, den ChatGPT „im Stil von Nick Cave“ erstellt hat. Sein Urteil: „This song is bullshit, a grotesque mockery of what it is to be human. (4)

Über die Autoren: Christina Wöhlke gründete vor 16 Jahren die wordinc GmbH, die sich schnell vom klassischen Übersetzungsbüro zu einer Full-Service-Sprachdienstleistungsagentur entwickelte. Schon früh sammelte sie Erfahrung im Bereich der maschinellen Übersetzung. Nun testen Wöhlke und ihr Team seit 6 Monaten auch KI-Systeme wie Chat-GPT, GPT3, Ryter und Jasper, um Erfahrungen zu sammeln und KI der neuen Generation zunächst intern in die täglichen Prozesse einzubinden. Tilo Timmermann ist Mitgründer und Geschäftsführer der Technik-PR-Agentur TDUB Kommunikationsberatung und Mitglied des Executive Councils des internationalen Agenturnetzwerks IPRN. Als Spezialist für PR-Konzeption und Text beschäftigt er sich aus eigenem Antrieb und im Auftrag seiner Kunden mit neuen Technologien und bewertet regelmäßig deren Nützlichkeit für den Einsatz in der Kommunikation. Beide Unternehmen haben ihren Sitz in Hamburg.

Fußnoten

  1. Zeit.de
  2. Golem.de
  3. ibusiness.de
  4. The Red Hand Files.com 

 


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