Ein Sceenshot der Kampagnen-Website von Volkswagen.

Es ist etwas stiller geworden um die Volkswagen AG und die Folgen des Dieselskandals. Zwar sind immer noch zahlreiche Verfahren an Gerichten im ganzen Land anhängig, doch arbeitet der Konzern intensiv daran, das verloren gegangene Vertrauen zurück zu gewinnen. Da sind Skandale wie der um einen rassistischen Werbeclip für den VW-Golf natürlich kontraproduktiv. Und doch sagt der Konzern über sich, dass das Unternehmen heute ein besseres sei als vor dem Dieselskandal. „Dieser positive Veränderungsprozess ist unumkehrbar“, heißt es auf der Konzernwebsite. Mit diesem neuen Selbstbewusstsein hat der Konzern jetzt eine Kampagne gestartet, die mit Hilfe von Google-Anzeigen eine neue Internetseite bewirbt. Der Inhalt: Besitzer von VW-Modellen mit dem neuen Dieselmotor EA288 werden vor weiteren oder neuen Klagen gegen den Konzern gewarnt.

In Wolfsburg will man ganz offensichtlich die teilweise immer noch defensive Kommunikationshaltung, die aus dem Dieselskandal resultierte, ablegen. Gestärkt durch verschiedene interne Prozesse und Programme, die die Integrität und Compliance gesteigert haben, will man wieder in die Offensive und aktiv kommunizieren. Dazu gehört, sich transparent und mit offenem Visier gegen falsche Vorwürfe zur Wehr zu setzen. Jetzt startete eine eigene Kampagne, die sich gegen – aus Sicht des Konzerns – ungerechtfertigte und erfolglose Klagen richtet. Der Konzern dreht den Spieß um und warnt vor geldgierigen Anwälten.

Rückblende

Im Zentrum des Dieselskandals stand der von Volkswagen entwickelte Motor EA189. Dieser war mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen, die im Prüffall zu niedrigeren NOx-Schadstoffwerten als im Normalbetrieb führte. In der Folge gab es eine Klagewelle gegen Volkswagen, an deren Ende das oberste deutsche Gericht VW zu Schadenersatz verurteilte und dies mit arglistiger Täuschung sowie sittenwidrigem Verhalten begründete.

Was hat sich geändert?

In der Zwischenzeit hat Volkswagen die betreffenden Diesel-Motoren überarbeitet und es gibt schon längst den Nachfolger des EA189, das Aggregat EA288. Dieser Diesel-Motor wurde 2012 entwickelt und seitdem in zahlreichen Modellen verbaut. Nach Angaben von VW sind die beiden Aggregate nicht miteinander vergleichbar: „Beim EA288 handelt es sich um ein modernes Dieselaggregat mit aktiver Abgasnachbehandlung, dessen im Wettbewerb führende Emissionswerte mehrfach durch unabhängige Institute und unter realen Fahrbedingungen belegt wurden.“ Weiter heißt es, der EA288 habe sein hervorragendes Emissionsverhalten vielfach unter Beweis gestellt, und dies nicht nur bei Prüfstandsmessungen, sondern insbesondere auch für Messungen im realen Fahrbetrieb auf der Straße.

Erneute Klagen

Eine entsprechende Kommunikation verfing jedoch nicht. Oder anders ausgedrückt: Das Misstrauen gegenüber Volkswagen war bei vielen Menschen noch nicht ausgeräumt. Befördert wurde diese Entwicklung offensichtlich auch durch Anwälte und Kanzleien, die um Mandanten für entsprechende Klagen gegen EA288-Motoren warben. Daraufhin haben zahlreiche Käuferinnen und Käufer von weiteren Modellen aus dem VW-Konzern, in denen jetzt der EA288 verbaut war, geklagt. Auch hier unterstellten sie Manipulationen.

Kampagne gegen Klägerindustrie

Hauss Christopher Sprecher Litigation Com Volkswagen KonzernDagegen setzt sich Volkswagen nun mit einer zielgerichteten Kampagne zur Wehr. Christopher Hauss (Foto), Sprecher Litigation Communications im Volkswagen-Konzern, erklärte gegenüber dem „PR-Journal“: „Wir wollen, dass sich unsere Kunden selbst ein Bild machen können. Wir beobachten in den letzten Jahren, dass sich in der Klägerindustrie ein viele Hundertmillionen Euro schwerer Markt entwickelt hat. Wer bei Google zum Thema EA288 Motor recherchiert, der stößt überwiegend auf bezahlte Anzeigen und Websites von Klägerkanzleien, die offensiv um Mandanten werben.“

Weitere Hintergründe zur Kampagne erläutert Christopher Hauss auch im aktuellen "PR-Journal"-Podcast für den November 2020, der hier zu finden ist. Ab Montag, 30. November, gibt es dort auch ein ausführliches Interview mit ihm.

Auf ähnliche Weise hatte sich vor einigen Jahren die Deutsche Bahn zur Wehr gesetzt. Die Einordnung von Rechtsanwalt Martin Wohlrabe, Geschäftsführer der Consilium Rechtskommunikation GmbH aus Berlin, fällt so aus: „Bereits die Deutsche Bahn hat vor Jahren bei Klagen gegen das sogenannte Luftfrachtkartell einen ähnlichen Weg eingeschlagen. Volkswagens Ansatz ist entsprechend nicht revolutionär, aber naheliegend. Dies gilt gerade vor dem Hintergrund, dass über Jahre stark kritisierte Unternehmen medial in aller Regel erheblich schwerer mit ihren Positiv-Botschaften durchdringen. Klar ist aber auch, dass die Authentizität einer solchen Konzern-Webseite für Klagewillige am Ende nur von recht begrenztem Wert ist.“

Kommunikatives Gegengewicht schaffen

Mit der festen Überzeugung, dass sich Einstellungen geändert haben und der Veränderungsprozess unumkehrbar ist, will man aber bei Volkswagen ein kommunikatives Gegengewicht schaffen. Der Spieß wird umgedreht. Nachdem im Zuge der ersten Klagewelle ab 2015 Kläger und Anwälte massiv gegen Volkswagen vorgingen und ihre Rechte durchsetzten, warnt VW nun vor Anwälten, die mit sinnlosen Klagen Honorare und Gebühren einnehmen wollten. Man ist in Wolfsburg davon überzeugt, dass Klagen gegen den EA288 erfolglos sind.

Hiltrud Dorothea Werner, die seit Februar 2017 im Vorstand der Volkswagen AG den Geschäftsbereich Integrität und Recht verantwortet, sagt: „Unzulässige Abschalteinrichtungen gibt es in EA288 Motoren nicht. Die Klagen laufen ins Leere – das sagen wir nicht einfach so, das belegen die bisherigen Gerichtsurteile: In 99 Prozent der Verfahren hatte die Klage keinen Erfolg.“

Differenzierte Kommunikation

Einerseits klingt die Ansage durchaus vollmundig. Hauss ist sich ganz sicher: „Die Klägeranwälte verlieren die meisten Klagen, sagen das aber natürlich nicht. Warum auch? Für sie sind auch verlorene Klagen ein lohnendes Geschäft. Sie erhalten tausende Euro an Gebühren – selbst wenn sie unterliegen.“ Doch die Kommunikation von Volkswagen fällt differenzierter aus. Das Team in der Abteilung Litigation Kommunikation um Dirk Ameer, Christopher Hauss und Jonas Hille hat eine Website aufgesetzt, die eben nicht nur vor Klagen warnt, sondern auch technische Hintergründe erklärt und – noch bedeutsamer – den Wandel im Unternehmen beschreibt und die neu gewonnene Integrität betont.

Die Aussagen auf der eigenen Website werden gestützt durch Untersuchungsergebnisse, die im Kraftfahrtbundesamt (KBA) ermittelt worden sind. Auf der Volkswagen-Website wird das KBA wie folgt zitiert: „ […] Hinweise, die aktuell laufende Produktion der Fahrzeuge mit Motoren der Baureihe EA288 (Euro 6) seien ebenfalls von Abgasmanipulationen betroffen, haben sich hierbei auf der Grundlage der Überprüfungen als unbegründet erwiesen“ (Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“, S. 12). Übrigens hat auch die „Braunschweiger Zeitung“ Anfang Oktober 2020 nochmals beim KBA nachgefragt. Die Antwort vom KBA: „Die Vorwürfe zu den VW Modellen mit dem Motor EA288 sind nicht neu, und das KBA hat zu diesen Modellen bereits in 2016 eigene Messungen, Untersuchungen und Analysen durchgeführt. Unzulässige Abschalteinrichtungen konnten dabei nicht festgestellt werden. Auch nicht in Gestalt einer unzulässigen Zykluserkennung.“

Nun darf man gespannt sein, ob die Kampagne aus Sicht von Volkswagen Erfolg hat und die Zahl der Klagen abnimmt. Lassen sich Verbraucher, die sich getäuscht fühlen, von den Argumenten auf der Website von einer Klage abhalten oder nicht? Unabhängig davon, wie die Antworten ausfallen, wird aber erkennbar, dass Volkswagen seine abwartende Haltung abgelegt hat und das Heft des Handelns in die Hand nimmt. Hiltrud Dorothea Werner unterstreicht das: „Für mich ist diese Herangehensweise ein weiteres, gutes Zeichen für den Kulturwandel bei Volkswagen. Weil wir intern genau hinschauen, können wir nach außen selbstbewusst auftreten, wenn uns ungerechtfertigte Vorwürfe gemacht werden. Wir schaffen Transparenz zu Dieselklagen.“


Wir haben die Kommentarfunktion wegen zu vieler Spam-Kommentare abgeschaltet. Sie können uns aber trotzdem Ihre Meinung zu diesem Artikel als Leserbrief direkt zusenden. Falls Sie wünschen, dass wir Ihren Leserbrief als Kommentar dem Artikel hinzufügen, vermerken Sie dies bitte in der Mail an uns.
leserbrief@pr-journal.de