Mueller Hubertus J Foto LeserbriefDer „PR-Journal“-Beitrag vom 16. Oktober „Gendergerechte Sprache wird in Unternehmensberichten zurückgedreht“ findet weiterhin breite Beachtung. Manfred Piwinger stellt darin fest, dass in vielen DAX-Geschäftsberichten im Vergleich zu den Vorjahren tendenziell eine Abkehr von Doppelbenennungen erkennbar sei. Nachdem weitere Medien das Thema aufgegriffen haben, erreichte uns ein weiterer Leserkommentar von Hubertus J. Müller (Foto) . Müller, der nach eigenen Angaben über langjährige Praxis in den Feldern unternehmens- und HR-bezogener Kommunikation verfügt, stellt darin fest: „Für Frauendiskriminierung liefern die Berichte dem Eindruck nach keinen Anhaltspunkt.“

Leserbrief von Hubertus J. Müller vom 28. Oktober 2020

Sehr geehrte Redaktion,

zum „PR-Journal“-Bericht „Gendergerechte Sprache wird in Unternehmensberichten zurückgedreht“: Ein überraschendes Ergebnis, auch angesichts der Frauenanteile in PR und Kommunikation. Gegenüber öffentlich-rechtlichen Medien weniger Anpassungen an gegenderte Sprache. Weitgehender Verzicht auf Doppelansprachen – „wegen besserer Lesbarkeit“, wenig Trennungsmarkierungen. Generisches Maskulinum weiterhin im Einsatz. Wird hier eine „gesellschaftlich erwünschte“ Entwicklung ignoriert oder gebremst?

Der „female shift“ verlangt explizite Frauennennung. Die reale und künftige Rolle der Frauen in Gesellschaft und Unternehmen soll sichtbar gemacht, dem Pauschalverdacht tradierter Frauendiskriminierung entgegengewirkt werden. Durch eine „verordnete Sprachreform“ sollen das generische Maskulinum abgeschafft, getrennte Ansprache durchgesetzt und – Idealvorstellung der Frauenbewegung – bald durch das generische Femininum ersetzt werden. Erste Beispiele sind im Einsatz. Nicht mehr „die Männer“, sondern Frauen sollen die Gesellschaft vertreten.

Verändert das die Anforderungen an die PR-Funktion? Firmen brauchen für ihren Erfolg Teamwork. Über „verschärfte Geschlechtertrennung“ könnten sie zwischen die Fronten eines Geschlechterstreits geraten. Dabei sind Firmen nicht die Umformer der Gesellschaft, sondern ihre Versorger mit lebenswichtigen Produkten und Diensten. Ihre Kommunikation dient zuerst ihrer Aufgabe. Hauptanforderung: „Verständliche“ Kommunikation. Sie soll den gesellschaftlichen Entwicklungen und Veränderungen folgen, aber sie nicht forcieren oder ihnen vorauseilen. Wachsender Abstand zur Realität kann zu negativen Reaktionen oder Abrissen führen, womit die Kommunikation ihre Aufgabe verfehlen würde.

Sprache im überwiegend freien Raum gehört allen, sie dient der Verständigung und Gemeinschaftsbildung, der Differenzierung und Konfliktlösung. Die Firmensprache fördert die Prozesse, stiftet Identität, trägt zur Firmenkultur bei, vermittelt bleibende und neue Werte. Der Respekt gegenüber anderen Menschen soll im Geschäftsmodell und seiner Kommunikation zum Ausdruck kommen. Nicht ohne Grund gilt das PR-Ressort oft als „Kulturelles Sprachzentrum der Firma“. Es soll die Firmenentwicklung professionell, einfühlsam und zielgruppennah begleiten, dabei vorauseilendes Unverständnis ebenso wie kommunikative Abrisse vermeiden. Die untersuchten Geschäftsberichte sind offensichtlich im Einklang mit dem Sprachgebrauch, zeigen genderbezogen erste Anpassungen. Frauenorganisationen wünschen sich wohl mehr. Für Frauendiskriminierung liefern die Berichte dem Eindruck nach keinen Anhaltspunkt.

Mit freundlichen Grüßen

Hubertus J. Müller
Hubertus J. Müller verfügt über langjährige Praxis in den Feldern unternehmens- und HR-bezogener Kommunikation.


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