Der Stein des Anstoßes: Greta Thunberg sitzt bei einer Zugfahrt mit der Deutschen Bahn auf dem Boden. (Quelle: @Greta Thunberg)

Eigentlich nur äußerst widerwillig schreibe ich jetzt diese Zeilen. Widerstrebend deshalb, weil ich damit dazu beitrage, einem Nonsens-Thema zusätzliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Dabei ist es meine feste Überzeugung, dass der Sachverhalt, um den es hier geht, eigentlich überhaupt keine Aufmerksamkeit verdient hat. Aber in den aufgeregten Zeiten, in denen wir leben, werden nichtige Begebenheiten durch die Eigendynamik in den sozialen Medien derartig hochgepusht, dass sich selbst erfahrene Kommunikationsfachleute dazu hinreißen lassen, unprofessionell zu reagieren. Das gilt für Journalisten und Medienvertreter ebenso wie für die so genannten PR-Profis.

Worum geht es eigentlich? Die allgegenwärtige Greta Thunberg muss auf dem Heimweg nach Schweden am 14. Dezember in einem Zug der Deutschen Bahn vorrübergehend auf dem Boden sitzen. Sie lässt ein Bild davon machen und postet es per Twitter mit den Worten: „Traveling on overcrowded trains through Germany. And I’m finally on my way home!“

Wie kam es zum Sitzplatz auf dem Boden? Greta und ihre Begleiter mussten aufgrund eines Zugausfalls in Basel umsteigen. Der reservierte Sitzplatz stand daraufhin erst ab Frankfurt am Main zur Verfügung. Greta fand das offensichtlich auch gar nicht schlimm, denn später postete sie: „Overcrowded trains is a great sign because it means the demand for train travel is high!“. So weit – so belanglos.

Doch als dann die Social-Media-Experten der Deutschen Bahn auf diesen Tweet einstiegen, gab es für manche Journalisten kein Halten mehr. Sie hatten endlich ein Thema fürs Wochenende gefunden. Die Deutsche Bahn schrieb in einem zweiteiligen Tweet auf Deutsch zurück: „Liebe #Greta, danke, dass Du uns Eisenbahner im Kampf gegen den Klimawandel unterstützt! Wir haben uns gefreut, dass Du am Samstag mit uns im ICE 74 unterwegs warst. Und das mit 100 Prozent Ökostrom.“ Zweiter Teil: „Noch schöner wäre es gewesen, wenn Du zusätzlich auch berichtet hättest, wie freundlich und kompetent Du von unserem Team an Deinem Sitzplatz in der Ersten Klasse betreut worden bist. #Greta“

Was für ein Desaster! Bezeichnet man diese Reaktion als kleinlich, beleidigt und denkbar unkreativ, ist das noch freundlich umschrieben. Der „Spiegel“ verweist in einer Nachbetrachtung am 16. Dezember auf die Berliner Verkehrsbetriebe und mutmaßt: „Wenn Greta Thunberg in der U-Bahn in einer Pfütze aus Erbrochenem ausgerutscht und in den Armen eines Junkies gelandet wäre, hätte das famose Social-Media-Team der BVG vermutlich selbst diese Vorlage noch verwandelt und daraus PR-Gold gemacht.“

Noch schlimmer als diese vertane PR-Chance ist aber für mich die Tatsache, dass Medien wie „stern.de“, „Welt.de“, „Focus online“, „RTL“ und die unvermeidliche „Bild“ voll auf das Thema eingestiegen sind und ernsthaft darüber berichtet haben. Die Deutsche Bahn legte sogar noch einmal nach mit einer eigens erstellten Pressemitteilung, um richtig zu stellen, dass Greta zwischen Kassel und Hamburg einen Sitzplatz in der Ersten Klasse hatte.

Natürlich, ich höre schon die Gegenargumente: Schließlich handele es sich um eine Person der Zeitgeschichte, da seien auch solche Begebenheiten sicher von Relevanz für ein breites Publikum. Doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt bitte mal Hand aufs Herz. Auch ihr wisst, dass hier eine künstliche Relevanz erzeugt wird, die mit wirklich ernsthaften Themen, über die berichtet werden muss, nichts zu tun hat.

Ich halte es da mit dem Kollegen Jens Schröder von „Meedia“, der sich in seinem täglich erscheinenden Social-Media-Radar vom 16. Dezember fast schon dafür entschuldigt, das Thema aufgreifen zu müssen. Schröder schreibt: „Das alles ist so irre und unfassbar, dass man nicht weiß, ob man lachen oder weinen sollte. Und auch die Tatsache, dass ich jetzt vier Absätze darüber schreibe, dass Greta Thunberg Bahn gefahren ist, gehört zu dieser Unfassbarkeit. Aber was soll ich machen, wenn unter den zehn nach Facebook- und Twitter-Interaktionen erfolgreichsten journalistischen Artikeln des Tages im deutschsprachigen Raum sieben (!) mit genau diesem Thema zu tun haben und ‚#trending‘ nunmal genau über solche Phänomene berichten will?“


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