Landtagswahl in Thüringen 2019: Wahlprogramme sind für viele Menschen unverständlich

Wenige Tage vor der Landtagswahl in Thüringen am 27. Oktober haben Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim die Wahlprogramme der Parteien auf formale Verständlichkeit und auf die Nutzung einer populistischen Sprache hin untersucht. Die Ergebnisse in der Kurzfassung: Die Wahlprogramme sind für viele Menschen unverständlich und den größten Anteil populistischen Vokabulars weist das Programm der AfD auf – übrigens stärker noch als bei der Wahl in Sachsen und Brandenburg am 1. September dieses Jahres.

Der Check der Wahlprogramme vor der Landtagswahl in Thüringen zeigte, dass die Parteien sich für viele Menschen unverständlich ausdrücken. (© Uni Hohenheim)

Bandwurmsätze mit bis zu 74 Wörtern (SPD), Wortungetüme wie „Gewässerrandstreifenregelung“ (AfD) und „Funkzellenabfragen-Transparenz-System“ (FDP) oder Fachbegriffe wie „Land Grabbing“ (AfD) und „Makerfairs“ (Grüne): Die Wahlprogramme der Parteien zur Landtagswahl in Thüringen sind für viele Laien schwer zu verstehen.

Brettschneider Frank Professor Kom Wissensch Uni Hohenheim kleinIm Durchschnitt ist die Verständlichkeit der Landtagswahlprogramme in Thüringen mit 7,1 Punkten noch etwas niedriger als bei der letzten Landtagswahl im Jahr 2014 (7,4 Punkte). Für Professor Frank Brettschneider (Foto) von der Universität Hohenheim, der mit seinem Team die Wahlprogramme zur Landtagswahl in Thüringen 2019 untersucht hat, sind diese Werte enttäuschend: „Alle Parteien haben sich in den letzten Jahren Transparenz und Bürgernähe auf die Fahne geschrieben, doch mit derartigen Wahlprogrammen verpassen sie eine kommunikative Chance. Sie schließen einen erheblichen Teil der Wählerinnen und Wähler aus.“

Sein Appell: „Parteien sollten ihre Positionen klar und verständlich darstellen, damit die Wählerinnen und Wähler eine begründete Wahlentscheidung treffen können. Dazu dienen die Wahlprogramme.“

Mit Hilfe einer Analyse-Software fahnden die Wissenschaftler um Brettschneider unter anderem nach überlangen Sätzen, Fachbegriffen, Fremdwörtern und zusammengesetzten Wörtern. Anhand dieser Merkmale bilden sie den „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“. Er reicht von 0 (schwer verständlich) bis 20 (leicht verständlich).

AfD und FDP mit der unverständlichsten Sprache, CDU am verständlichsten

Das formal verständlichste Wahlprogramm in Thüringen liefert die CDU mit 7,9 Punkten auf dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex. Auch 2014 hatte sie dort den ersten Platz belegt. Ihr folgen die SPD mit 7,7 Punkten und die Grünen mit 7,5 Punkten. Den letzten Platz teilen sich die AfD und die FDP mit jeweils 6,4 Punkten. Aus sprachlicher Perspektive sind ihre Programme am unverständlichsten.

Populistische Sprache bei der AfD am häufigsten

Bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen vor wenigen Wochen haben die Hohenheimer Forscher erstmals auch die Verwendung populistischen Vokabulars untersucht. Diese Analyse haben sie nun auch in Thüringen durchgeführt. Dabei verwendeten sie die Anti-Elitismus-Dimension einer Wortliste von Rooduijn und Pauwels (2011). Sie zählten, wie oft Begriffe aus dieser Wortliste in den jeweiligen Wahlprogrammen vorkommen.

Die Wortliste besteht aus den folgenden Begriffen: elit*, konsens*, undemokratisch*, referend*, korrupt*, propagand*, politiker*, täusch*, betrüg*, betrug*, *verrat*, scham*, schäm*, skandal*, wahrheit*, unfair*, unehrlich*, establishm*, *herrsch*, lüge* (die Sternchen dienen als Platzhalter, um unterschiedliche Schreibweisen der Wörter und zusammengesetzte Wörter zu berücksichtigen).

Im Schnitt enthalten die Programme in Thüringen ähnlich häufig populistisches Vokabular wie die Landtagswahlprogramme in Brandenburg und Sachsen in diesem Jahr. Mit Abstand am populistischsten ist die Sprache der AfD in Thüringen. Dort ist sie sogar noch populistischer als in den Programmen der AfD in Brandenburg und Sachsen. Auf Platz 2 und 3 folgen die Grünen und die Linke.

„Populistische Rhetorik besteht natürlich aus mehr als aus einfachen Begriffen. Aber die untersuchten Begriffe sind gute und bewährte Indikatoren für Populismus“, sagt Professor Brettschneider. Gemein hätten Populisten unterschiedlicher Färbung, dass sie (1) das (eine, wahre) Volk als Gegenspieler einer (2) (entfremdeten, feindlichen) Elite begreifen. Typischerweise fokussierten Rechtspopulisten dabei vor allem auf kulturelle Themen (beispielsweise Migration), während Linkspopulisten eher ökonomische Themen in den Mittelpunkt stellten.

Hintergrund: Die Hohenheimer Wahlprogramm-Analyse

Das Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft, insbesondere Kommunikationstheorie, an der Universität Hohenheim untersucht in seiner Langzeitstudie unter anderem folgende Fragen: Kommunizieren die Parteien in ihren Wahlprogrammen so verständlich, dass die Wahlberechtigten sie verstehen können? Welche Verständlichkeits-Hürden finden sich in den Wahlprogrammen? Und welche Themen und Begriffe dominieren in den Programmen?

Inzwischen haben die Wissenschaftler mehr als 700 Landtags-, Bundestags- und Europawahlprogramme analysiert. Möglich werden diese Analysen durch die Verständlichkeits-Software „TextLab“. Die Software wurde von der Ulmer Agentur H&H CommunicationLab und von der Universität Hohenheim entwickelt. Sie berechnet verschiedene Lesbarkeitsformeln sowie Textfaktoren, die für die Verständlichkeit relevant sind (z.B. Satzlängen, Wortlängen, Schachtelsätze und den Anteil abstrakter Wörter).

Aus diesen Werten setzt sich der „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“ zusammen. Er bildet die Verständlichkeit der Programme und Texte auf einer Skala von 0 (schwer verständlich) bis 20 (leicht verständlich) ab. Zum Vergleich: Doktorarbeiten in Politikwissenschaft haben eine durchschnittliche Verständlichkeit von 4,3 Punkten. Hörfunk-Nachrichten kommen im Schnitt auf 16,4 Punkte, Politik-Beiträge überregionaler Zeitungen wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Welt oder der Süddeutschen Zeitung auf Werte zwischen 11 und 14.

Wer mehr wissen möchte, kann hier in die Tiefen der Studie eintauchen.

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