Die gute Sache, Sexismus, Buzz: Die Kampagne „Helme retten Leben“ liefert das ganze Paket

Die Kampagne „Helme rettet Leben“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), Berlin erhält aktuell enorme Aufmerksamkeit. Das ist ein Erfolg für die Kommunikationsabteilung des Ministeriums und die verantwortliche Agentur Scholz & Friends. Seit Tagen trommeln Minister Andreas Scheuer (CSU), das Ministerium und dessen Pressesprecher Wolfgang Ainetter für die Kampagne. Sie rette Leben. Ob das wirklich der Fall sein wird, ist allerdings offen.

Influencer-Style: Leicht bekleidete Models mit Fahrradhelm. ©BMVI/Runter vom Gas

Ziel der Kampagne ist es, vorrangig jüngere Menschen zu überzeugen, beim Fahrradfahren einen Helm zu tragen – und nicht möglichst viele Clippings und Likes zu generieren. Diese sind Mittel zum Zweck. Es gibt einen „Call to Action“: Helm aufsetzen! Der Erfolg lässt sich erst nachträglich im Zuge einer Kampagnenevaluation anhand von Kennzahlen messen: Haben sich mehr Menschen in Deutschland einen Helm gekauft? Tragen diejenigen, die einen besitzen, diesen nach der Kampagne häufiger? Hat sich wenigstens die Einstellung zum Helmtragen im Anschluss an die Kampagne positiv verändert?

Die Kampagne ist gerade gestartet. Stand heute hat „Helme retten Leben“ noch kein Leben gerettet. Es ist unredlich, die Aktion bereits als Erfolg zu verkaufen. Seinen trumpmäßigen Superlativ-Tweet „schon jetzt die erfolgreichste Verkehrssicherheitskampagne“ hätte sich Minister Scheuer sparen können. Für so eine Aussage sollte er dann Belege liefern. 

Es ist sogar denkbar, dass die Kampagne den Anteil der Helmträger unter jungen Menschen reduziert. Das ist wenig wahrscheinlich, weil Fahrradhelme allgemein an Akzeptanz zu gewinnen scheinen. Der Claim „Looks like shit. But saves my life.“ bestärkt diejenigen, die aus ästhetischen Gründen auf einen Helm verzichten, weil dieser wirklich „scheiße aussieht“. Jetzt mit Ministeriumssiegel. Es wäre nicht der erste Appell an die Vernunft junger Menschen, der wirkungslos bleibt. Sie rauchen trotz der bekannten Gesundheitsrisiken, konsumieren Drogen und rasen über die Autobahn.

Kampagnen ändern selten Einstellungen

Erfahrungsgemäß bedarf es mehr als einer temporären Kampagne, um einen Bewusstseinswandel in der Bevölkerung zu erzeugen. Manchmal ist es ein trauriges Ereignis, dass den entscheidenden Impuls gibt. Beim Skifahren griffen viele Menschen erst zum Helm, als der damalige thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus in einen Unfall verwickelt war, der zum Tod einer beteiligten Skifahrerin führte. Es gibt seitdem wegen der Zunahme der Akzeptanz von Helmen auf der Piste den Begriff „Althaus-Effekt“. Menschen brauchen es konkret. Profi-Radfahrer fallen aufgrund der Doping-Problematik als Vorbilder aus. Jan Ullrich ebenfalls.

Kampagnen von politischen Institutionen verpuffen häufig, weil sie es zu vielen Seiten recht machen wollten. Familien müssen gezeigt werden, ein Rentner- und Kinder-Motiv müssen her. Frauen und Männer – beide zusätzlich mit Migrationshintergrund – gilt es zu berücksichtigen genauso wie unterschiedliche sexuelle Orientierungen. Wenn Küste, dann auch Berge. Wenn Felder, dann auch Stadt. Die ganze gesellschaftliche Breite. 

Nach Ministeriumsangaben kostet #HelmeRettenLeben 400.000 Euro – zu wenig für große Advertising-Sprünge. Ein anderer Hebel musste her. Die Berichterstattung in den Medien und sozialen Netzwerken dürfte bereits ein Vielfaches an Gegenwert erreicht haben. Über die Einbindung in Heidi Klums Format „Germany’s Next Topmodel“ (Foto: "GNTM"-Kandidatin Alicija. ©BMVI/Runter vom Gas) inklusive Shooting mit dem Starfotografen Rankin gelingt die Ansprache der schwierigen Zielgruppe der 17- bis 30-Jährigen. „GNTM“ wird gerne in Promi-Sendungen weitergedreht. „Bild“ springt auf. Die Gestaltung der Motive erinnert an Influencer. Die Zielgruppe spricht das an. Hier wurde vieles richtig gemacht. Fahrradhelme sind Gesprächsthema – nur aufgesetzt hat sich deshalb noch keiner einen.

Nebenprodukt: „Political-Correctness“-Debatte

Es ist davon auszugehen, dass dem Ministerium und der in Gesellschaftskommunikation erfahrenen Agentur Scholz & Friends bewusst war, dass Fotos von jungen Frauen in Unterwäsche eine „Political-Correctness“-Diskussion auslösen würden. Das ist der wirkliche Buzz; nicht die Helme. Dem CSU-geführten Verkehrsministerium dürfte diese Huckepack-Debatte nicht ungelegen kommen – mal was anderes als Diesel und Stickoxide. Die Kernwählerschaft der Union springt auf derartige Themen gerne an. Trolle lieben sie.

RuntervomGas Fahrradhelm GNTM AlicijaDie Kampagnen-Motive sind nicht das freizügigste, was die Welt jemals gesehen hat. Sexistisch sind sie. Sie stellen den Körper der weiblichen Models zur Schau. „Die aktuelle Sexismus-Diskussion ist überzeichnet“, sagt GPRA-Präsidentin Christiane Schulz. Die Auseinandersetzung wäre nur gar nicht entstanden, hätten die Models lediglich enge T-Shirts getragen. Man musste einen Schritt weitergehen. Ist das jetzt schlimm? Zudem zeigt die Kampagne Frauen und Männer. 

Dass Frauen sich an den Motiven stören und sie verbieten lassen wollen, ist genauso wenig überraschend, wie dass die „Das-wird-man-wohl-noch-sagen-dürfen-Fraktion“ die Kampagne verteidigt. Einiges ist Wahlkampfgetöse. Am 26. Mai ist Europawahl. Die Kampagne bietet einen willkommenen Anlass für die Parteien, sich gegenseitig einen mitzugeben. Einige SPD-Frauen sind empört. Nur: Wer mit politischer Korrektheit die Möglichkeit auskontern will, das Leben junger Menschen zu retten, hat den Kampf um die Deutungshoheit verloren.

In Großbritannien dürfte geschlechtertypische Werbung dieser Art übrigens bald verboten sein. Das Ende von oberkörperfreien Handwerkern sowie Frauen mit Kochlöffeln oder in Unterwäsche mit Fahrradhelm wäre dann dort besiegelt. 

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