Von links: Annegret Winzer, Marius Voigt und Sachar Klein.

Auf eine Führungsposition in einer Agentur folgt gerne der Wechsel auf die Kundenseite. Das setzt aber voraus, dass man mit der Struktur eines Unternehmens oder sonstigen Organisation klarkommt. Eine andere Agentur? Gehaltstechnisch reizvoll, nur vielleicht das Gleiche in Grün. Dritte Option: Selbstständigkeit. Für Annegret Winzer und Marius Voigt nach extensiver Agenturkarriere der präferierte Weg – wie auch für Sachar Klein. Nach vielen Jahren in Unternehmen leitet er mit hypr jetzt seine eigene Agentur. Das „PR-Journal“ hat nachgefragt: Warum sein eigener Chef sein?

Die drei verbindet die Lust, etwas Neues kennenzulernen, für Kunden beraterisch tätig zu sein, mal wieder in Ruhe einen Text zu schreiben oder ein Konzept zu durchdenken. Weniger fremdbestimmt zu sein und den nicht zu unterschätzenden Anteil an Managementaufgaben los zu werden, verschafften zusätzliche Motivation. Marius Voigt war zuletzt sechs Jahre Geschäftsführer am Berliner Standort von fischerAppelt. Winzer arbeitete in der Geschäftsführung bei Kohl PR und Klein war als Senior Vice President PR & Communications bei Glossybox tätig.

Kunden mitgenommen

Alle drei waren in der glücklichen Situation, dass sich mögliche Kunden bereits während des Angestelltendaseins herauskristallisierten. Marius Voigt traf die finale Entscheidung, sich nach 13 Jahren fischerAppelt selbstständig zu machen, erst nach konkretem Interesse eines Agentur-Auftraggebers an einer Zusammenarbeit. „Der Kunde wollte 100 Prozent Marius Voigt“, erklärt der 44-Jährige. Unverändert sei fischerAppelt für diesen Kunden tätig.

Sein Verhältnis zu seinem ehemaligen Arbeitgeber sei gut, betont Voigt. Kein böses Blut – man arbeite nach wie vor projektweise zusammen. Political Campaigning war einer der Schwerpunkte von Voigt bei fischerAppelt. Bei seinen eigenen Kunden überwiegt für ihn Diskretion vor Selbstvermarktung: „Ich habe ein sehr zugespitztes Profil: Politische Kommunikationsberatung. In diesem Bereich gewinnen Sie Kunden eher durch Weiterempfehlung und den schrittweisen Aufbau von Vertrauen; weniger durch allzu laute Eigen-PR.“ Fraktionen, Parteien, Einzelpersonen und andere politische Akteure sind sein Betätigungsfeld.

Alles wieder selber machen? Nervt das nicht? Das sei eine Umstellung. „Aber ich mag es inhaltlich und strategisch zu arbeiten“, erklärt Voigt. Er bezeichnet sich selbst als „Agenturtyp“ und „Teamplayer“ und will deshalb auch nicht für alle Zeiten ausschließen, sich mal wieder anstellen zu lassen. „Ich wollte jetzt einfach etwas anderes machen. Für mich ist Selbstständigkeit aktuell genau das Richtige.“ Das Arbeitspensum sei gleich, dafür „bin ich flexibler“. Nur noch ein Handy, ein Laptop. Eine eigene Agentur gründen? Eher keine Option derzeit. Voigt: „Ich habe mir aber Partner für den professionellen Austausch gesucht.“

Wie Voigt ist auch Annegret Winzer einfach gerne beraterisch tätig. Zuletzt war sie Mitglied der Geschäftsführung bei Kohl PR und vorher Leiterin des Berliner Standorts von komm.passion. „Für mich kam ein Wechsel zu einem Kunden nicht in Frage“, sagt Winzer. „Ich will weiterhin Beratung machen.“ Die Vielfalt an Kunden, unterschiedliche Projekte und die persönliche Beziehung zu ihren Auftraggebern würden sie reizen. „Ein Stück weit ging es mir auch darum, mich selbst zu beweisen; Projekten meinen eigenen Stempel aufzudrücken.“ Selbstverwirklichung.

Erklärungsbedürftige Themen

Annegret Winzers Kunden kommen aus den Bereichen Pharma, Healthcare, Ernährung und dem politischen Umfeld. Komplexe und sensible Themen, erklärungsbedürftige Kommunikationsbedürfnisse seien ihr Schwerpunkt. Krisenkommunikation und -prävention genauso wie Medienarbeit.

Dass man als Solo-Selbstständiger nicht Mega-Verteiler abtelefonieren kann, weiß Winzer natürlich auch: „Bei meinen Kunden überwiegt Qualität vor Quantität. Es geht eher darum, komplexe Themen ausgewählten Journalisten näher zu bringen oder beispielsweise ein CEO-Gespräch zu begleiten.“ Ähnlich wie bei Voigt haben sich bei Annegret Winzer Kunden ihrer letzten Agentur entschieden, persönlich mit ihr zusammenzuarbeiten, als sie erfuhren, dass sie sich als „w communications“ selbstständig mache. Hohe Fluktuation und ständig wechselnde Ansprechpartner auf Agenturseite haben noch selten Auftraggeber fasziniert.

Begeisterung für Kunden und Projekte

Sachar Klein hat mit hypr in diesem Jahr eine Agentur gegründet. Zwei Mitarbeiter beschäftigt er inzwischen, die von München und Heidelberg arbeiten. Klein selbst hat sein Büro in Schmargendorf, tief im Westen Berlins. Aufgrund zahlreicher Kommunikationstools gebe es für ihn keine Notwendigkeit mehr, dass Mitarbeiter an einem Ort zusammenarbeiten, sagt er.

Vor seinem Schritt in die Selbstständigkeit war Klein für die weltweite Kommunikation des Start-ups Glossybox zuständig. Für E-Plus initiierte der 37-Jährige unter anderem das Basecamp, ein in Berlin beliebter Treffpunkt der Digitalszene. Die Agentur-Webseite weist vor allem Referenzen im digitalen Bereich aus: mymuesli, Zalando, Glossybox und Thermondo. Dazu gibt es ein Foto von Klein und Kanzlerin Angela Merkel.

Klein will sich nicht auf die digitale Szene als Kunden beschränken: „Ich kann mich generell für zukunftsfähige Bereiche begeistern.“ Er und sein Team würden auch für Konzerne arbeiten. „Mir ist wichtig, dass wir uns mit dem Kunden und Projekten identifizieren können“, so Klein. Medienarbeit, Krisenprävention, Influencer Relations, Social Media, Investorensuche oder Mitarbeiterkommunikation sind mögliche Aufgabenfelder. „Es geht um alles, was mit Kommunikation zu tun hat“, sagt Klein. „Wir arbeiten sehr lösungsorientiert und wollen vor allem unsere Bestandskunden mit guter Arbeit überzeugen.“ Kaltakquise und Pitches lehnt hypr ab.

Der Bayern-München-Anhänger gehört zu den Kommunikationsprofis, die Social Media von Beginn an in ihre Arbeit einbezogen haben. Er verzeichnet fast 10.000 Twitter-Follower – ein Wert, den kaum eine Agentur erreicht. Sein Podcast „Talking Digital“ mit Ex-Orca-Mann Timo Lommatzsch erfreut sich unter Kommunikatoren mit Digitalinteresse reger Nachfrage. In Facebook-Gruppen wie der des Berliner PR-Stammtischs beteiligt er sich an Diskussionen oder sucht nach Mitarbeitern. Klein: „Wir würden gerne mehr Personal einstellen. Mitarbeiter zu finden, die eigenverantwortlich arbeiten können, ist eine Herausforderung.“


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