Rezensionen Krisenanalyse im Sammelband: Elf Fälle unter der Lupe der Wissenschaft
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- von Markus Kiefer, Heiligenhaus
Manche Krisen bleiben in Erinnerung. Ob es die Flüchtlingskrise 2015 oder die Özil-/Gündogan-Fotos mit dem türkischen Präsidenten Erdogan waren, die Ereignisse dürften bei vielen Menschen noch präsent sein – das gilt vor allem auch für die PR-Fachwelt. Umso interessanter dürfte für sie ein Sammelband mit einer wissenschaftlichen Analyse dieser Fälle sein. Jana Wiske, PR-Professorin an der Hochschule Ansbach, hat ihn 2020 vorgelegt und lässt darin rückblickend auch die Betroffenen zu Wort kommen.

Jede Krise ist anders. Weswegen die Learnings aus einer speziellen Krise auch nicht einfach anderorts übertragen und angewendet werden könnten. In keinem Fachbuch oder Fachaufsatz zur Krisenkommunikation fehlt dieser mantrahaft vorgetragene Appell. Allerdings gibt es in der Kommunikationspraxis von Unternehmen, Institutionen, Organisationen dann doch immer wieder Krisenfälle, die so blendend im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit stehen, dass es doch lohnt, diese Fälle wissenschaftlich intensiver zu betrachten. Weil dann eben zumindest allgemeine Learnings und Einsichten abgeleitet werden können, die einer modernen, regelgeleiteten, systematischen Kommunikation auf die Sprünge helfen. Oder eben, weil sie ein erneuter, aktueller Beleg für früher vorgelegte wissenschaftliche Erkenntnisse sind.
Elf Fälle, die für bundesweite Aufmerksamkeit sorgten
Solche Fälle hat Jana Wiske, Professorin für PR und Unternehmenskommunikation an der Hochschule Ansbach, als Herausgeberin eines Sammelbandes im Jahr 2020 vorgelegt, inklusive einer kompakten Einführung zu den Basics der Krisenkommunikation aus ihrer eigenen Feder. Elf Fälle der politischen Kommunikation und der Unternehmenskommunikation, die allesamt in den fünf Jahren zuvor in eine bundesweite Aufmerksamkeit gerückt waren. Darunter die Schlecker-Insolvenz, die Flüchtlingskrise ab 2015 und die Kanzlerkommunikation dazu. Die DFB-Kommunikation um die Özil-/Gündogan-Fotos mit dem türkischen Präsidenten Erdogan, die Relotius-Fälschungen im SPIEGEL und anderen Medien. Und andere spannende Fälle. Für die Analyse dieser Cases hat Wiske teilweise sehr prominente wissenschaftliche Mitstreiter gefunden, wie beispielsweise die Professoren Stefan Russ-Mohl (Universität Lugano, em.), Christian Pieter Hoffmann (Universität Leipzig) oder Christiane Goodfellow (Universität Wilhelmshaven) oder aber prominente Journalisten wie den FAZ-Sportredakteur Hanns-Christian Kamp.
Der Aufbau der Case-Analyse ist in allen Fällen gleich. Zunächst wird der Sachverhalt neutral, objektiv, faktisch und ohne Wertung geschildert. Dann die wahrgenommene Kommunikationsstrategie der Betroffenen. Danach folgt das Medienecho. Gefolgt von einer fachlich-kritischen Analyse der Kommunikationsstrategie, zum Abschluss ein von dem betroffenen Unternehmen/der betroffenen Organisation eingeholtes Experten-Statement mit rückblickender Bewertung des eigenen Tuns. Sowie ein Fazit und Quellenverzeichnis.
Rückblick der Betroffenen ist ungemein wertvoll
Das wirklich Eigenständige an dieser Sammelband-Konzeption ist die Konzentration bei der Stakeholder-Reaktionen auf die Medien und die journalistische Öffentlichkeit sowie natürlich die rückblickende Einordnung der Betroffenen. Denn gerade dieser Rückblick ist für den mitdenkenden Leser ungemein wertvoll. Wenn er denn wirklich selbstkritisch ausfällt und konkrete Learnings für die Zukunft formuliert.
Das ist in manchen Fällen wirklich beeindruckend gelungen.
- Beispielsweise in einem langen und nachdenklichen Interview, das DFB-Sportdirektor Oliver Bierhoff zur Kommunikation des Deutschen Fußballbundes um die Skandal-Fotos der Nationalspieler mit dem türkischen Präsidenten gab.
- Oder wenn die Leiterin der Unternehmenskommunikation der BASF selbst dann Verbesserungs-Potential in einer Krisenkommunikation nach einem schweren Unglücksfall mit entwichenem Gas (2016) sieht, wo sowohl die berichtenden Medien als auch die kritische Fachanalyse zum Ergebnis kam: Das war eine Vorzeige-Krisenkommunikation sowohl im Umwelt- als auch im Nachbarschafts- und Anrainer-Kontext.
- Und deutlich weniger beeindruckend, in dem knappen Antwortschreiben von Regierungssprecher Steffen Seibert, der sich auf die Wiederholung von zwei Wortlaut-Zitaten seiner Kanzlerin beschränkte.
- Selbstkritisches fehlt auch in anderen Antworten von Kommunikationsmanagern, die aber dennoch sehr aussagekräftig sind. Beispielsweise in dem zitierten Markenstreit um Ritter Sports quadratische Verpackung. Hier ist der Konzernsprecher ein Jurist. Und so (defensiv mit einer dominanten juristischen Fachsprache) agiert er auch, während des Falles und ebenso in der rückblickenden Betrachtung.
Statt Krisenprävention viel Improvisation
Zwei Fälle sind noch besonders zu erwähnen, da sie die Krisenkommunikation betroffener Leitmedien betreffen, nämlich die des „Spiegels“ im Fall seines mehrfach ausgezeichneten Starjournalisten Relotius, der sich als gnadenloser Fälscher erwies. Und die der ARD, nachdem ein bundesweit bekannt gewordener Mordfall durch einen afghanischen Flüchtling im Oktober nicht in der Tagesschau gemeldet wurde. In beiden Fällen zeigt die Analyse Licht und Schatten in der Kommunikation der Redaktionen.
Auffällig ist aber: in beiden Fällen gab es offensichtlich keine Krisenprävention, keine vorbereiteten Strukturen, keine festgelegten Prozesse. Sondern viel Improvisation. Das ist deswegen bemerkenswert, weil die beiden Premium-Medien-Marken in der eigenen Kommunikationspraxis genau das offenbarten, was sie andererseits in ihrer Berichterstattung von insbesondere großen Konzernen immer wieder bemängeln: mangelhafte Vorbereitung auf Krisensituationen.
Fazit: Geeignet scheint das Buch ganz besonders für Studienzwecke in der Hochschullehre als auch für das Training bzw. Workshops von Krisenkommunikations-Teams von Unternehmen und Organisationen. Empfehlung!
Titel: Krisenkommunikation komplex. 11 Analysen prominenter Fälle mit medialer Einordnung und Nachbetrachtung beteiligter Experten; Herausgeberin: Jana Wiske; Verlag: Herbert von Halem, Köln 2020; Umfang: 290 Seiten; Preis: 27,00 Euro; ISBN-Nr.: 9783869624662
Über den Autor der Rezension: Professor Dr. Markus Kiefer (66) war von 2010 bis Ende des Sommersemesters 2022 hauptberuflich an der FOM – Hochschule tätig, als Professor für Allgemeine BWL, mit dem Schwerunkt Unternehmens- und Wirtschaftskommunikation. Seit dem Wintersemester 2022 nimmt er an der FOM und im Wechsel an weiteren Hochschulen Lehraufträge mit Schwerpunkt PR und Unternehmenskommunikation wahr.
Mittelstandskommunikation – Fachbuch von Professor Kiefer
In einem neuen, 48-seitigen Fachband setzt sich Kiefer mit den aktuellen Herausforderungen der mittelständischen Unternehmenskommunikation auseinander. In elf Kolumnen beleuchtet er Themen wie Kommunikationsstrategien, Erfolgskontrolle, den Umgang mit KI oder Führungskräftekommunikation unter Berücksichtigung der spezifischen Besonderheiten der mittelständischen Industrie. Der Titel „Mittelstandskommunikation“ ist im Juli 2024 erschienen und steht auf der Website des Rechtsverlags zum Preis von 4,76 Euro zum Download im PDF-Format zur Verfügung.
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