Theologie im Journalismus Autor Veit Neumann CoverKönnen Journalisten auch zugleich als Theologen wirken? Diese Frage ist aus journalistischer Perspektive fast zwangsläufig zu verneinen. Die professionelle journalistische Distanz, ihre Unabhängigkeit in den Grundpositionen und ihre Verpflichtung auf Objektivitäts-Kriterien verbieten ein solches Selbstverständnis geradezu, fast zwingend. Jedoch, was kommt als Antwort heraus, wenn man die Frage aus theologischer Perspektive stellt? Bis jetzt hatte das niemand getan. Bis zur Habilitationsschrift, die Veit Neumann an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz vorlegte und mit der er seine Habilitation 2020 erfolgreich abschloss. Er sieht in den Qualitätsmedien neue Räume enstehen für die Auseinandersetzung mit theologischen Fragen. Eine PR-Leistung zugunsten der Kirchen sieht er darin aber keinesfalls.

Eigentlich ist es erstaunlich, dass bis dahin niemand der Frage der inhaltlichen Wirkung der Berichterstattung über theologische und kirchliche Fragen so richtig intensiv nachgegangen ist. Denn im gleichen Maß, wie die Bedeutung der christlichen Kirchen und ihre Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft abnehmen, ist doch ein hohes Interesse des Publikums an diesen Fragen festzustellen. Volle Buchregale mit unzähligen Publikationen zur Sinnsuche und Glücksfindung zeugen davon. Aber eben auch die kontinuierliche Berichterstattung von Qualitätsmedien jenseits des Boulevards. Pars pro toto steht hierfür das vor einigen Jahren erst eingeführte Ressort "Glaube und Zweifel", eine Erfolgsgeschichte der besonderen Art in Deutschlands erfolgreichstem Printmedium "Die Zeit".

Interviews mit Journalistinnen und Journalisten

Die Berichterstattung über theologische und kirchliche Fragen wird im deutschsprachigen Raum von einem eher kleinen Kreis bestimmt, der in den A-Medien wirkt, geschätzt vielleicht 20 Personen. Elf von ihnen hat Veit Neumann für sein Habilitationsprojekt interviewt, besser: sozialwissenschaftlich befragt. Zum Zeitpunkt der Befragung arbeiteten diese Journalistinnen und Journalisten für: „FAZ“, „Kölner Stadtanzeiger“, „Neue Zürcher Zeitung“, „Presse“ (Wien), „Süddeutsche Zeitung“, „Mittelbayerische Zeitung“, „Welt“, „Die Zeit“ und beim Deutschlandfunk.

Untersuchung aus der Sicht eines Journalisten und Theologen

Die Ergebnisse dieser anonymisierten Befragung liegen seit kurzem in einem 413 Seiten starken Paperback vor, das im Verlag Friedrich Pustet erschienen ist. Neumann ist der richtige Autor für dieses Projekt, das man erfolgreich nur in einem interdisziplinären Stil angemessen bewältigen kann. Es ist ein theologisches Studienprojekt, das aber mit den klassischen Mitteln der empirischen Sozialforschung und der qualitativen Inhaltsanalyse arbeitet. Und der Forscher Neumann hat alle Voraussetzungen, um ein solches Projekt zu stemmen. Er ist zum einen sowohl akademisch als auch praktisch ausgebildeter Journalist und zum anderen ausgewiesener Wissenschaftler und Hochschullehrer. Seit Jahren ist der promovierte Theologe ordentlicher Professur für Pastoraltheologie an der Universität St. Pölten und darüber hinaus ist er aktuell im gleichen Fach zusätzlich noch Lehrstuhl-Vertreter an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Seine Forschungsfrage lautete: "Wer berichtet wie und warum in deutschsprachigen Qualitätszeitungen und wofür steht das?" (S. 18). Diese Frage kann der Autor umfassend beantworten und generiert reichen Ertrag, den er in 31 (!) fruchtbaren und das weitere Nachdenken befeuernden Hypothesen ausformuliert. Es ist hier nicht der Ort, um den Ergebnissen in Einzelnen gerecht werden zu können, aber ein paar seien angedeutet.

Interesse der Menschen an grundlegenden theologischen Fragen bleibt

Es berichten akademische ausgebildete und hoch spezialisierte Expertinnen und Experten, aber eben nicht in einem genuin kirchlichen Sinn. Vielmehr folgen sie dem typischen journalistischen Selbstverständnis und orientieren sich an klassischen Nachrichten-Faktoren – selbst wenn sie enttäuscht sind von der mangelhaften Kommunikation oder Kommunikationsbereitschaft mancher kirchlichen Institutionen und auch mancher Theologen. Diese journalistischen Berichterstatterinnen und -erstatter sind in unterschiedliche redaktionelle Strukturen eingebunden, an deren Prozesse und Vorgaben sie sich orientieren. Sie haben durchaus ein Gefühl dafür, dass es auch ihre Arbeit ist, die die Möglichkeiten der unter Auflagenschwund stehenden Printmedien erweitert. Denn auch wenn die Kirchen selbst, gerade in Zeiten der Missbrauchs-Skandale, geradezu sintflutartige Vertrauens-Einbrüche bei ihren Mitgliedern und in der Gesamtgesellschaft erleiden – das Interesse der Menschen an den grundlegenden Fragen bleibt. Das gilt unabhängig davon, ob diese Fragen nun religiös oder gar christlich beantwortet werden oder nicht. Und dies gerade in Zeiten, in denen die Welt vielfach mit politischen Konflikten aufgeladen ist, die im Kern oftmals religiöse sind.

Redaktionen als neuer wirkmächtiger Ort von Theologie?

Und so steckt das eigentlich Innovative und, ja auch, ein ganzes Stück Sprengkraft in den abschließenden Kapiteln 6 und 7, in denen Veit Neumann seine Ergebnisse reflektiert, weiterdenkt und am Ende auch theologisch deutet. Demnach ist in den Redaktionen von Qualitätsmedien, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter er exemplarisch interviewt hat, faktisch ein neuer wirkmächtiger Ort von Theologie entstanden. Hier wird Theologie in einem anderen Stil behandelt oder gar gemacht, und zwar ganz automatisch jenseits von Kirche und Institution. Und dieser Ort ist von vornherein ein öffentlicher. Ganz im Gegensatz zur Theologie der Kirche(n), die sich ihren Weg in die Öffentlichkeit immer schon mühsam bahnen mussten und denen es zukünftig sicher noch schwerer fallen wird, Gehör zu finden. Genau das ist aber nicht das Problem derer, die in niveauvollen, substanzstarken Medien über Theologie berichten. Sie werden gehört. Und angesichts des aktuell rasant wachsenden Vertrauensverlusts von Kirche in Zukunft wohl noch viel mehr. "Andere Theologen" und "Andere Theologie" – so hat Veit Neumann dieses neuartige Phänomen bezeichnet und ihm faszinierende Konturen verliehen.

Keine PR-Leistung zu Gunsten der Kirchen!

Eines ist gewiss: Mit einer PR-Leistung zu ihren Gunsten, werden die Kirchen in den Medien zukünftig noch viel weniger rechnen dürfen. Aber ganz offensichtlich entsteht hier ein Raum von theologischer Reflexion und hoher Relevanz, der die Interessen und Bedürfnisse von noch mehr kirchlich ungebundenen, aber religiös interessierten Menschen adäquat bedienen kann. Und um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Ja, in diesem Sinne sind Journalisten, die in diesen Feldern arbeiten, auch Theologen, ob es ihnen bewusst ist oder nicht, ob es ihnen angenehm ist oder nicht. Diese Erkenntnis, gewonnen auf der Grundlage einer sozialwissenschaftlich-methodisch blitzsauber und bestens dokumentierten Studie, hat wirklich Neuigkeitswert. Eine Entwicklung mit Potential, nicht zuletzt mit Blick auf den künftigen Medienwandel. Man sollte das im Auge behalten.

Titel: Theologie im Journalismus. Studien zu einem neuen theologischen Ort; Autor: Veit Neumann; Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2021; Umfang: 415 Seiten; Preis: 49,95 Euro; ISBN 978-3-7917-3309-8

Kiefer Markus Prof FOM kleinerÜber den Autor der Rezension: Markus Kiefer (63, Foto) ist Professor an der FOM - Hochschule für Oekonomie und Management. Dort lehrt er BWL, mit dem Schwerpunkt der Unternehmens- und Wirtschaftskommunikation.
Im Rechtsverlag (Düsseldorf / Stadtlohn) hat er im März 2021 das Buch „Kommunikationskompetenz“ und die Essay-Sammlung „Moderne Unternehmenskommunikation“ veröffentlicht. Das Buch zeigt Wege zu einer zeitgemäßen Führungskräfte- und Organisationskommunikation auf, die zweite Schrift liefert Bausteine und Vorschläge für die Praxis – insbesondere der mittelständischen Unternehmenskommunikation. Zur Verlags-Website mit direkter Bestellmöglichkeit geht es 
hier.


Wir haben die Kommentarfunktion wegen zu vieler Spam-Kommentare abgeschaltet. Sie können uns aber trotzdem Ihre Meinung zu diesem Artikel als Leserbrief direkt zusenden. Falls Sie wünschen, dass wir Ihren Leserbrief als Kommentar dem Artikel hinzufügen, vermerken Sie dies bitte in der Mail an uns.
leserbrief@pr-journal.de