Rezensionen Rezension: Politische Internet-Memes – keine Beiträge zur Wahrheitssuche

Internet Memes Buchcover Lars Buelow Michael JohannEin noch relativ frisches Internet-Format macht seit Jahren zunehmend Furore, die sogenannten Internet-Memes. Sie sind vor allem in der politischen Debatte eine immer noch neuartige Ausdrucksform. Dazu zählen Bilder, kurze Video-Clips, GIF's und ähnliches. Es geht stets um Bild-Text-Kombinationen, in denen vor allem Original-Fotografien bearbeitet, verfremdet und mit zugespitzten Botschaften in andere Kontexte versetzt werden. Inhalte werden adaptiert, geteilt, verändert, weiterverbreitet. Es ist eine Form der Kommunikation, die besonders gut den Ausdruck des Web 2.0 als "Mitmach-Web" wirksam zum Leben bringt. Sprachlich wird dabei mit Humor, Ironie, Sarkasmus gearbeitet, nicht selten auch mit aggressiven Formulierungen. Der hier vorgestellte, interdisziplinäre Sammelband von jungen Sprach- und Kommunikationswissenschaftlern konzentriert sich auf die sogenannten Image-Macros.

Bei Image-Macros handelt es sich um Bild-Text-Modalitäten, die sich in aller Regel aus drei Elementen zusammensetzen: ein Original-Foto, darüber ein Frame (oft ein fett gesetzter Begriff als Headline) und unter dem Bild eine sogenannte "Punchline", die eine knappe, zugespitzte textliche Message bringt.

Internet Memes schaffen niedrigschwelligen Zugang zur politischen Debatte

Sowohl das Vorwort als auch der Einleitungsaufsatz der beiden Herausgeber Lars Bülow (Universitätsassistent am Fachbereich Germanistik, Universität Salzburg) und Michael Johann (Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für digitale und strategische Kommunikation, Universität Passau) schaffen mit einem Überblick über den noch jungen Forschungsstand eine Orientierung. Die Herausgeber verstehen Internet Memes als Fortentwicklung der politischen Fotografie mit modernen Mitteln der Internet-Kommunikation. Sie verkennen nicht den destruktiven Charakter vieler Äußerungen in diesem Bereich. Aber für Bülow und Johann dominieren die positiven Implikationen der Internet-Memes. Dass sie nämlich einen vor allem niedrigschwelligen Zugang zur politischen Debatte bringen.

Der nachfolgende Beitrag von Wolfgang Osterroth (S. 41 ff.) charakterisiert Internet-Memes ganz allgemein als multimodale Sprache-Bild-Akte, die insbesondere mit einer speziellen Art von Humor und Ironie arbeiten, die allerdings entsprechendes Vorwissen des Adressaten über das dargestellte Medien-Ereignis voraussetzen.

Neue thematische Anschlüsse werden konstruiert

Der nachfolgende Beitrag von Kevin Pauliks (s. 61 ff.) geht auf die besonders wirksame Erscheinungsform der seriellen Image-Macros ein, wo Beiträge inhaltlich passend aneinandergereiht werden. Er zeigt das mit konkreten Beispielen an zum Teil bitterbösen Meme-Attacken auf US-Präsident Donald Trump auf, so zum Beispiel mit der Serie "Tiny Hands" (spielt auf die relativ kleinen Hände Trumps an). Der Beitrag von Ulrike Krieg-Holz und Lars Bülow (S. 89) analysiert einige Merkel-Memes (z.B. die Szene mit Obama und Merkel in einer Pause während einer Pause des G 7-Gipfels im Park des Schloss-Hotels von Elmau: Obama von hinten fotografiert, mit ausgebreiteten Armen auf der Bank, Merkel mit ausgebreiteten Händen gestikulierend vor ihm). Beide Autoren arbeiten stark heraus, wie sehr hier spielerische Zugänge neue Bild-Text-Anordnungen schaffen und wie der zwingend auf Unterhaltung der Adressaten ausgerichtete Charakter ganz neuartige Botschaften in aktuelle politische Debatte einzuspielen vermag. Manuela Krieger und Ulrike Machnyk (S. 115) zeigen am Beispiel des berühmten Merkel-Satzes "Das Internet ist für uns alle Neuland", wie gezielt durch Memes die Ursprungs-Botschaften aus Zusammenhängen gerissen und neue thematische Anschlüsse konstruiert werden. Markus Scheiber (S. 143) analysiert an Meme-Beispielen aus dem Ukraine-Konflikt, wie man allein durch scharfkantiges Selektieren von bestimmten (einseitigen) Perspektiven Prioritätensetzungen in öffentlichen Kontroversen schafft. Ähnlich ist der Beitrag Georg Weidachers (S. 167 ff.), der sich unter anderem mit Memes zu Merkels "Wir schaffen das!" (2015) auseinandersetzt.

Humor wird zur Zuspitzung genutzt

Die analysierten Beispiele zeigen, wie durch die sprachlichen Mittel von Süffisanz und bitterbösem Sarkasmus und durch den Remix von Bild-Komponenten die angegriffene Position regelrecht gebrandmarkt wird. Der Beitrag von Marie-Luis Merten und Lars Bülow zeigt an konkreten Beispielen aus dem Bundestagswahlkampf 2016 und der US-Wahl 2017 eindrucksvoll auf, wie wenig an Sprache eigentlich nötig ist, um klare Standpunkte zu markieren. Und wie sehr gerade Humor zuspitzt.

Der abschließende Beitrag von Anne Leisner (S. 229 ff.) bringt Studienergebnisse eines Forschungsprojekts zur Nutzer-Perspektive, ermittelt durch Interviews und Fokus-Gruppen-Gespräche. Welche Motive bewegen die Gestalter von Memes? Es sind vor allem das Bedürfnis nach Unterhaltung, Optionen eines neuartigen Selbst-Ausdrucks und der Chance, offen Zugehörigkeit zu markanten Positionen Ausdruck zu geben.

Keine Beiträge zur Wahrheitssuche

Es bestätigt sich der Eindruck bei der Lektüre des gesamten Bandes. Einerseits sehen wir hier neuartige, relativ einfache, spielerische Zugänge zur öffentlichen Politik-Debatte. Aber anderseits sind es eben zumeist keine argumentativen Beiträge zu einem echten Diskurs. Sondern es sind vielmehr scharfkantige Abgrenzungen der eigenen Position und Attacken auf die gegnerische Position. Es sind Optionen eines Beharrens auf der eigenen Position und der scharfen Abgrenzung. Das sind keine Beiträge zur Wahrheitssuche.

Fazit: Parteien, Organisationen, Regierungen und Unternehmen, die sich bislang noch nicht oder zu wenig mit diesem jungen Phänomen auseinandergesetzt haben, finden hier reichlich Warnungen, welche neuartigen Auseinandersetzungen noch auf sie zukommen werden. Mit klassischen Mitteln der Medienarbeit sind hier keine wirksamen Antworten möglich.

Titel: Politische Internet-Memes. Theoretische Herausforderungen und empirische Befunde; Herausgeber: Lars Bülow und Michael Johann; Verlag: Frank und Timme Verlag, Berlin 2019; Umfang: 249 Seiten; Preis: 39,80 Euro; ISBN 978-3-7329-0535-5

Kiefer Markus Prof FOM kleinerÜber den Autor der Rezension: Markus Kiefer (62, Foto) ist Professor an der FOM - Hochschule für Oekonomie und Management. Dort lehrt er BWL, mit dem Schwerpunkt der Unternehmens- und Wirtschaftskommunikation.
Im Rechtsverlag (Düsseldorf / Stadtlohn) hat er im März 2021 das Buch „Kommunikationskompetenz“ und die Essay-Sammlung „Moderne Unternehmenskommunikation“ veröffentlicht. Das Buch zeigt Wege zu einer zeitgemäßen Führungskräfte- und Organisationskommunikation auf, die zweite Schrift liefert Bausteine und Vorschläge für die Praxis – insbesondere der mittelständischen Unternehmenskommunikation. Zur Verlags-Website mit direkter Bestellmöglichkeit geht es hier.