Rezensionen Rezension: Technische Innovationen fordern neue journalistische Formate

Innovationtelling CoverMuss der Journalismus neu erfunden werden? Big Data, Augmented Reality, Künstliche Intelligenz, Robotertechnik, um nur vier rasant fortschreitende Entwicklungen zu nennen, durchdringen immer tiefer Wirtschaft und Gesellschaft. Sie bieten vielfache neue Möglichkeiten. Die mit Social Media herangewachsene Generation kann man mit den klassischen Formaten der Medien ja auch nur noch nur noch bedingt erreichen.

Wie sollte die Antwort des professionellen Journalismus beschaffen sein? Dem widmet sich das hier anzuzeigende wissenschaftliche Fachbuch, entstanden im Umfeld der Hochschule der Medien in Stuttgart. Zwei der drei Herausgeber arbeiten dort. Harald Eichsteller ist Professor für Strategisches Management und Dekan des Medien-Masterprogramms der Hochschule. Maria Elisabeth Müller ist Professorin für Internationales Kommunikationsmanagement an gleicher Stelle. Devadas Rajaram ist Professor für Neue Medien in Chennai (Indien) und Spezialist für multimediales Storytelling.

Die drei Herausgeber des 100 Seiten schmalen Bandes sind zugleich Herausgeber der neuen Reihe „Now Media“ im Nomos-Verlag, dessen erster Band #Innovationtelling ist. Anspruch der Reihe ist es neue Entwicklungen im Medienbereich zu analysieren, die der Tendenz zur Live- und Echtzeit-Kommunikation folgen.

Diesem Anspruch folgend und angesichts der internationalen Dynamik der Medienentwicklung folgerichtig, sind die 14 Beiträge des ersten, in dieser Reihe vorgelegten Buches auf Englisch abgefasst.

Können die Herausgeber ihrem Anspruch mit ihrer ersten Publikation gerecht werden?

Ja und Nein. Denn der rote Faden, den Müller in ihrem durchaus inspirierenden richtungsweisenden Essay (S. 35-39) spinnt, kann das Buch insgesamt so nicht gerecht werden. Es soll eigentlich um das Übersetzen der oben genannten modernen technischen Entwicklungen in zeitgemäßes journalistisches Storytelling gehen. Dieser Vorgabe werden tatsächlich gerade die ersten Beiträge des Bandes gerecht. Yusuf Omar, bei der „Hindustan Times“ berühmt geworden mit der weltweit aufsehenerregenden Aufdeckung des Skandals um Vergewaltigung von Frauen in Indien, arbeitet heute bei CNN London. In einem faszinierenden Beitrag stellt er konkret die Möglichkeiten und auch die Notwendigkeiten von Mobile Journalismus vor. Er zeichnet nach, wie moderne Reporter heute ihre Arbeit in Text, Bild und Ton mit ihrem Smartphone erledigen und dies parallel nicht nur in ihrem Kernmedium publizieren (Instant Journalismus), sondern dies zugleich parallel über die Social Media Accounts ankündigen, begleiten, nachbereiten. Dieser hoch innovative Aufsatz allein rechtfertigt schon die Befassung mit dem gesamten Sammelband.

Eine gute Ergänzung ist der leider nur sehr kurze, aber gute Beitrag des Mit-Herausgebers Rajaram (S. 31-33), der seinerseits sehr klar herausarbeitet, warum die digitale Revolution den Journalismus so eklatant herausfordert. Denn jedermann mit einem Smartphone kann heute zum weltweit einflussreichen Storyteller werden. Storytelling ist heute demokratisiert. Man muss nicht als Journalist ausgebildet und akkreditiert sein, um eine packende Livestory zu erzählen. Eine ungemein starke Herausforderung für die etablierten Medien. Sie kann nur auf eine Art und Weise beantwortet werden. Die professionellen Journalisten müssen daran arbeiten, die besseren Storyteller zu sein oder es wieder zu werden.

Wie das gehen kann, das zeigt wiederum sehr plastisch der exzellente Beitrag von Vera Kirschbaum, Nils Kraft und Aline Spantig auf, allesamt Studierende an der Hochschule der Medien, die faszinierend über Real-Time-Reporting berichten. Der Beitrag ist aus – offensichtlich sehr produktiven! - Lehrveranstaltungen ihrer Hochschule entstanden. Sie schildern nicht nur, wie Echtzeit-Reportagen entstehen, sondern wie sie über welche Social Media-Plattformen (zusätzlich) ausgespielt werden sollten. Qualitativ genauso ebenso überzeugend wie anschaulich sind die Beiträge von Julian Bossert zu innovativem Storytelling über die in Deutschland noch nicht allzu weit verbreitete Social Media-Plattform Snapchat (S. 59-62) oder von Max Schmierer über 360-Grad-Videos (S. 53-57).

Auch diese Beiträge liegen voll im Korridor des Anspruchs des Sammelbandes. Allerdings gilt das keineswegs für alle aufgenommenen Beiträge des Buches. Insbesondere bei den letzten dreien fragt man sich, was Aufsätze über Projektmanagement bei Daimler, über architektonische Open Space-Konzepte (Einrichtung, Mobiliar) bei einem mittelständischen Unternehmen und über mentale Rollen, die zur Adaption journalistischer Innovationen erforderlich sein könnten, in diesem Buch sollen. So etwas würde eher in Sammelbände über Innovations- und Change-Management im Medienkontext gehören.

Insgesamt liegt hier ein durchaus fruchtbarer Diskussionsbeitrag zu einem journalistischen Zukunftsfeld vor, das PR-Manager im Auge behalten sollten.

Titel: #Innovationtelling; Herausgeber: Marie-Elisabeth Müller/ Harald Eichsteller / Devadas Rajaram (Ed.); Verlag: Nomos, Baden-Baden 2017, Umfang: 100 Seiten; Preis: 29,00 Euro; ISBN-Nr. 978-3-8487-3812-0

Kiefer Markus Prof FOM kleinÜber den Autor der Rezension: Markus Kiefer (60, Foto) ist Professor an der FOM - Hochschule für Oekonomie und Management. Dort lehrt er BWL, mit dem Schwerpunkt der Unternehmens- und Wirtschaftskommunikation. Darüber hinaus arbeitet er in Seminaren, Vortragsveranstaltungen und Workshops für Weiterbildungs-Akademien der Wirtschaft. Er berät Unternehmen in Fragen der Kommunikationsstrategie, der PR, Mitarbeiterkommunikation, Social Media und Krisenkommunikation.
Im Recito Verlag, Essen, ist im Sommer 2018 sein neues Buch „Unternehmenskommunikation - Erfolgreiche Kommunikationskonzepte aus Wissenschaft und Praxis“ erschienen. Markus Kiefer richtet sich darin an Praktiker, die über den Tellerrand hinaus denken. Ein Buch für Kommunikatoren der Zukunft.