PR-Historie Karl Varnhagen von Ense: Die „Erfindung“ der Public Relations in Deutschland (Teil 2)
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- von Günter Bentele, Leipzig und Berlin
Die Geschichte der jeweiligen Profession gehört bei Ärzten oder Juristen zum Kern professionellen Wissens. Man würde sich sehr wundern, wenn der eigene Hausarzt noch nie etwas vom Eid des Hippokrates gehört hätte. Günter Bentele (Foto), emeritierter Leipziger Kommunikationsprofessor, überträgt das auf die PR-Profession und stellt in einer Artikelserie für das „PR-Journal“ einige für die Entwicklung des Berufsfelds wichtige Vertreter, Organisationen und Instrumente vor.
Am 2. März hat er den ersten Teil der Geschichte über Karl Varnhagen von Ense veröffentlicht. Darin werden dessen Aufgaben als „Legationssekretär“ und „offiziöser Publizist“ für den preußischen Staatskanzler Karl August von Hardenberg vorgestellt, ebenso die private Biografie. Im zweiten Teil geht es darum, wie Karl Varnhagen von Ense (siehe nebenstehende Zeichnung von Wilhelm Hensel) zur Institutionalisierung moderner Öffentlichkeitsarbeit beigetragen hat.
Erster „Pressesprecher“ und Kommunikationsmanager für den preußischen Staatskanzler
Nachdem Varnhagen schon 1813 in der weitverbreiteten „Zeitung aus dem Feldlager“ für General Tettenborn antinapoleonische Artikel geschrieben hatte, in denen er die französischen Militärs hart und kritisch angeht, arbeitet er einige Zeit für die Zeitung „Deutscher Beobachter“ und schreibt auch hier pro-preußische Artikel. Wohl nicht zuletzt aufgrund dieser Erfahrungen und auf Empfehlung des Freiherrn vom und zum Stein wird er vom preußischen Staatskanzler Hardenberg 1814 „mit einer Reihe publizistischer Aufgaben betraut und erhielt den bescheidenen Status eines Legationssekretärs“ (Greiling, 1993, 39). Varnhagen nimmt auf die eher vage Zusage von Hardenberg, als „künftiger preußischer Staatsdiener“ berufen zu werden, ab Oktober 1814 am Wiener Kongress teil, um in dieser Position als „Hardenbergs Pressechef“ für den preußischen Staatskanzler zu arbeiten.
Was sind die konkreten Tätigkeiten von Varnhagen und auch seinen literarischen Kollegen in Wien und danach in Paris? Varnhagen muss 1) die öffentliche Diskussion ständig beobachten, er erstellt 2) regelmäßig einen kommentierten „Pressespiegel“ und trägt ihn Hardenberg vor. Er schreibt 3) politische Artikel, beispielsweise für die damals führende Augsburger „Allgemeine Zeitung“, den „Deutschen Beobachter“ sowie den „Hamburger Unparteiischen Correspondenten“, um politische Positionen Preußens in die Öffentlichkeit bringen und damit die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Teilweise werden die Artikel unter Deckadressen abgesandt, dies hatte die österreichische Geheimpolizei während des Wiener Kongresses herausgefunden. Darüber hinaus muss Varnhagen 4) die „literarischen Angestellten“ während des Wiener Kongresses 1814/15 koordinieren. Die Kontaktpflege zu Politikern, politischen Publizisten und Verlegern ist 5) ein überaus wichtiges Anliegen. Die Analyse zentraler politischer Themen (6) und darauf aufbauend 7) die Entwicklung von Strategien für die staatliche Pressepolitik und Öffentlichkeitsarbeit durch die Erstellung von „Denkschriften“, d.h. kurzen Strategiepapieren, sind weitere Aufgaben, die Varnhagen eigenmotiviert angeht. Und natürlich ist 8) die Kontaktpflege mit talentierten Autoren und dialogfreudigen Literaten, die wieder für den preußischen Staatsdienst gewonnen werden sollten, ein wichtiges Anliegen.
Öffentliche Meinung leise und ununterbrochen leiten
Eine Denkschrift über die öffentliche Meinung verfasst Varnhagen 1815 für Hardenberg, hier argumentiert er, dass die Öffentliche Meinung Preußens unbedingt die Stimme der Regierung benötige. Die öffentliche Meinung „leise und ununterbrochen zu leiten, verständig aufzuhalten und würdig zu beachten, ist das einzige Mittel, welches die Regierung anwenden kann, um das größte Gut des Staates, die öffentliche Meinung, nicht zu dessen größtem Übel werden zu lassen“ (Varnhagen, März 1815).
Ebenfalls im Frühjahr 1815 entwickelt Varnhagen den Plan zur Herausgabe eines Ministerialblattes. Vorbild für ihn ist England, wo es „unter den Zeitungen beinah immer so viele Ministerialblätter wie Oppositionsblätter“ gebe. Das Projekt mit dem von Varnhagen vorgeschlagenen Titel „Preußische Zeitung“ wird nicht realisiert. Aber im Jahr 1819, noch vor den Karlsbader Beschlüssen, durch die liberale und freiheitliche Regeln wieder zurückgenommen werden, entsteht mit der „Allgemeinen preußischen Staatszeitung“ das erste offiziöse Organ Preußens zur Pressebeeinflussung. Ein „Literarisches Büro“ unter Friedrich von Cölln stellt eine erste Zentrale für Pressebeobachtung und -beeinflussung dar. Nach dem Tod von Cöllns im Jahr 1820 wird es nach einer kurzen Übergangsphase von Carl Heun geleitet und arbeitete in der Zeit politischer Restauration eng mit dem Polizeiministerium zusammen.
Institutionalisierung moderner Öffentlichkeitsarbeit
Die gesellschaftlichen Bedingungen für die Entstehung der modernen Public Relations waren mit Beginn des 19. Jahrhunderts gegeben, die ersten Akteure begannen zu arbeiten und zwar mittels Tätigkeiten, die auch heute noch jedem Pressesprecher oder Kommunikationsmanager sehr bekannt vorkommen dürften. Die Institutionalisierung moderner Öffentlichkeitsarbeit hatte begonnen. Damit war der Anfang für ein Berufsfeld gemacht, das heute in Deutschland mit – geschätzt – mehr als 50.000 hauptberuflichen PR-Praktikern größer ist als das journalistische Berufsfeld. Es zeichnet sich heute auch international durch Berufsorganisationen, fest strukturierte Ausbildungswege und Studiengänge, einen „body of knowledge“, der auch Instrumente, Medien und Verfahren für die Praxis enthält, ethische Regeln, wissenschaftliche Grundlagen und Methoden und einiges mehr aus. Höchste Zeit dafür, dass auch das Wissen über die Geschichte dieses Berufsfelds die Praxis auf breiterer Front erreicht und dass sich dieses Wissen durch Forschung erweitert.
Literatur:
- Feilchenfeldt, K. (1970). Varnhagen von Ense als Historiker. Amsterdam: Erasmus.
- Greiling, W. (1993). Varnhagen von Ense – Lebensweg eines Liberalen. Politisches Wirken zwischen Diplomatie und Revolution. Köln, etc.: Böhlau.
- Hofmeister-Hunger, A. (1994). Pressepolitik und Staatsreform. Die Institutionalisierung staatlicher Öffentlichkeitsarbeit bei Karl August von Hardenberg (1792-1822). Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht.
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