Kommentare Kommentar zu Springer: Er muss nicht zum Emir, er muss nur nach New York…

Wohl grade frisch geduscht, die Augen noch vom Shampoo gerötet, denkt Mathias Döpfner offensichtlich schon frühmorgens an seine „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“. In die Kamera eines Laptops oder Smartphones gebeugt, erscheint Döpfners Gesicht nah und ohne Hals auf das Publikum einredend, umgeben von einem pyramidenförmigen Schattenwurf in seinem Home-Video. Vor dem geistigen Auge vermutet man ihn in seinem privaten Arbeitszimmer sitzend, vor dem Haus dieselt bereits der Hybrid-SUV auf dem Weg zum „Ärport“ und unten in der Küche köchelt die Haushaltshilfe etwas Veganes…

Mathias Döpfner wendet sich per Home-Video an seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. (Quelle: Screenshot YouTube)

Der gesamte Auftritt hat wenig von der gespielten Überraschung eines Martin Winterkorn, als der den milliardenschweren Betrug bei Volkswagen gegenüber den eigenen Mitarbeitern und Kunden per Video einräumen musste. Aber einen solchen Reputationsschaden in einem heiklen Moment der Firmengeschichte, der Übernahme von „Politico“ und dem Eintritt in den amerikanischen Markt, muss der Chef und Eigentümer selbst einzugrenzen versuchen.

Eingeleitet von der überraschend detaillierten Beschreibungen der vielfältigen sexuellen Beziehungen eines Julian Reichert vermittelt Döpfner – ohne größeres Bedauern erkennbar werden zu lassen – den Eindruck, von einem seiner wichtigsten Mitarbeiter belogen worden zu sein: „Damit war klar, wir mussten handeln.“ Es waren also nicht die sexuellen Übergriffigkeiten und anderweitig kolportierten „Schneefälle“ am Arbeitsplatz, die Grund genug gewesen wären, Reichelt „freizustellen“, sondern dass er den Falschen belog. „Nachher ist man immer schlauer“ – in seiner Not greift Döpfner zu einem Zitat der ungeliebten Angela Merkel, mit dem die Kanzlerin das Versagen ihrer Regierung in Afghanistan vor wenigen Wochen zu relativieren versuchte. Schließlich wird auch noch der Anwaltskanzlei Freshfield ein Stück Verantwortung zugeschoben, aber das wirkt durchsichtig. Man weiß, dass Berater und Anwälte auch dafür bezahlt werden, ihnen nachher die Schuld für eigenes Versagen geben zu können.

Mathias Döpfner war klug genug zu wissen, wen er sich einkaufte, und die Ergebnisse gaben ihm recht: Reichelt hielt die „Cash Cow Bild“ am Laufen, transformierte die Marke journalistisch ins digitale Zeitalter und setzte mit „Bild TV“ noch ein deutsches Fox-News aufs Gleis. Dass der Journalismus eines Julian Reichelt dabei auf Kampagnen und deren Eskalation beruhte, war zweitrangig, solange die Unternehmensziele erreicht wurden. Und dass ein Chefredakteur der „Bild“-Zeitung nach dem Grundsatz auszuwählen ist, „wo gehobelt wird, fallen Späne“, mag nur Gutgläubige noch überraschen.

Nein, Reichelt musste nicht wegen seines Machtmissbrauchs gehen, sondern weil er den Unternehmenszielen im Weg stand. Er wurde nicht auf dem Altar einer „neuen Kultur“ geopfert, sondern gefährdete die Expansionspläne der Springer SE. Welches Leid und welche Schmach dieses Verhalten von Vorgesetzten erzeugt, spielt in diesem Zusammenhang keinerlei Rolle: „Es waren einvernehmliche Beziehungen“, behauptet Döpfner hier. Die sexuellen Praktiken Reichelts mit dem Wort „einvernehmlich“ zu kaschieren ist mindestens ignorant.

Am Ende des Statements versucht Döpfner mit einem charmanten Haifisch-Lächeln eine Entgleisung zu relativieren: Der Vergleich der deutschen Corona-Politik mit der DDR hat das staunende Publikum doch sehr ratlos zurück gelassen. Meint Deutschlands mächtigster Medienmanager das wirklich ernst? Ach nein, das ist doch alles privat, lächelt es aus dem Computer herab und man ahnt nur, was sonst noch so alles privat sein könnte. Die Bigotterie in diesem Statement enttarnt sich erst im Nachgang: sah man hier eben den Miteigentümer der „Bild“ sprechen, zu deren sehr erfolgreichen Geschäftsmodell zweifellos die vorsätzliche Ignoranz gegenüber jeglicher Privat-Sphäre gehört und das schon seit Jahrzehnten?

Wird hier nicht jemand zu mächtig, dessen innerer Kompass den demokratischen Rechtsstaat nicht mehr wirklich respektiert und für den schon andere Regeln zu gelten scheinen? Welche Legitimation rechtfertigt den Einfluss auf eine demokratische Öffentlichkeit, wie ihn der Springer-Verlag in Deutschland hat? Ist die zunehmende Eskalation in journalistischen Medien letztendlich eine Strategie zur Monetarisierung von Emotionen, die auf demokratische Kompromissfähigkeit keine Rücksicht mehr nimmt? Diskutieren wir bei Facebook &Co nicht auch ein bisschen über die Falschen… Der Flieger wartet!

Listemann Jost Gf Time Code MediaÜber den Autor: Jost Listemann (Foto) ist Inhaber des Unternehmens Time:Code:Media GmbH in Berlin. Er berät große Unternehmen wie die Bayer AG und die Autobahn GmbH des Bundes und produziert für sie Bewegtbild-Kommunikation. Gestartet ist er als Politikwissenschaftler, seit dem Jahr 2000 ist er in der PR-Branche mit Schwerpunkt visuelle Kommunikation und Film tätig. An der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft unterrichtet er Storytelling und Bewegtbild.

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