1,9 Milliarden Euro aus der Bilanz des Zahlungsdienstleisters Wirecard sind irgendwo in Asien verschwunden – falls es sie denn überhaupt jemals gab. Der Gründer ist verhaftet worden und weitere Vorstandsmitglieder sind zurückgetreten, die Existenz des gesamten Unternehmens steht in Frage. Das Drama, das sich aktuell vor den Augen der Öffentlichkeit am Finanzplatz Deutschland abspielt, auch als monumentales Kommunikationsdesaster zu beschreiben, ist ein Leichtes. Immerhin wurde es vor mehr als einem Jahr durch die investigative Berichterstattung der „Financial Times“ ins Rollen gebracht. Und immerhin hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) bereits lange vor den jüngsten News um fehlende Milliarden und nicht vorhandene Konten bei philippinischen Banken, auch die – irreführende – Kommunikation des Noch-DAX-Mitglieds mit den Kapitalmärkten überprüft.

Dennoch lohnt es sich gerade im Fall Wirecard, über die offen- und die absichtlichen kommunikativen Fehlleistungen der Beteiligten hinauszuschauen. Schließlich zeigen die Vorgänge auch eindringlich, warum erfolgreiche Kommunikation gerade am Kapitalmarkt stets aufs Neue ein so schwieriges Unterfangen ist. Ein wesentlicher Grund: Kaum irgendwo anders kollidiert die Komplexität der Materie so stark mit den oft eher schlichten Mechanismen der Öffentlichkeit.

Komplexität als Feind gelingender Kommunikation

Böse angelsächsische Spekulanten und (etwas weniger böse) angelsächsische Journalisten attackieren eine leicht schmuddelige, aber im Grunde ehrliche und vor allem innovative, mutige deutsche Tech-Hoffnung – so in etwa funktionierte das Narrativ, mit dem Wirecard sich im vergangenen Jahr gegen die Vorwürfe der „Financial Times“ und Leerverkäufe der Unternehmensaktie durch Hedgefonds verteidigte. Freundliche Unterstützung erhielt das Unternehmen dabei von der Bafin, die im Februar 2019 Leerverkäufe der Aktie kurzerhand untersagte. Begründung: Der Aufbau von Leerverkaufspositionen in Verbindung mit negativen Presseberichten könne zu exzessiven Preisbewegungen der Wirecard-Aktie führen und “den Verlust des Marktvertrauens in Deutschland, insbesondere hinsichtlich der Preisbildung an den Märkten, bewirken.”

Die von der Bafin erzählte Geschichte bedient die oben genannten Ressentiments allenfalls in verbrämter Behördensprache. Und nach allen normalen Maßstäben der öffentlichen Kommunikation ist die behördliche Allgemeinverfügung weit von einem eingängigen Narrativ entfernt. Dennoch – und das illustriert eine grundsätzliche Herausforderung der Kommunikation über Kapitalmärkte: Die Botschaft der Bafin ist unterkomplex. Und sie war es auch schon zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung.

Natürlich: Dass die negativen Presseberichte und die Leerverkäufer richtig lagen, konnte man vor knapp anderthalb Jahren noch nicht wissen. Schon lange vorher war aber bekannt, dass auch Leerverkäufer eine wichtige Rolle bei der Suche nach einem fairen Preis für Aktien einnehmen – so unsympathisch Wetten auf fallende Kurse intuitiv auch sein mögen. Leerverkäufe sind die stärkste Möglichkeit, an einem Markt auszudrücken, dass man den Preis eines Gutes für zu hoch hält. Und ihn damit nach unten zu treiben. Wer einen Leerverkauf tätigt, setzt sein Spekulationskapital beträchtlichen Risiken aus – die Gewinnchancen sind begrenzt (eine Aktie kann nur auf 0 Euro fallen), die Verlustmöglichkeiten theoretisch unbegrenzt. Leerverkäufe zuzulassen, kann helfen Preisblasen an Märkten zu verhindern oder zumindest schneller zu beenden. Und das gilt unabhängig davon, ob Hedgefonds sympathisch sind oder nicht.

Die komplexere Geschichte wäre die bessere gewesen

Sind Sie noch dabei? Ich höre auf, die Vorteile von Leerverkäufen zu erklären. Andere können das ohnehin besser. Und inzwischen wissen wir alle: Die Leerverkäufer hatten Recht, der faire Kurs der Wirecard-Aktie lag schon Anfang 2019 deutlich unter dem tatsächlichen Kurs. Und die Maßnahme der Bafin, die das Vertrauen in den Finanzplatz Deutschland stärken sollte, hat womöglich dazu beigetragen, dass heute alle Seiten einen schweren Schlag für das Vertrauen in den Finanzplatz beklagen.

Die grundsätzliche, dahinter liegende Herausforderung für die Finanzkommunikation bleibt aber: Die vorherrschenden Erzählungen werden der Komplexität des tatsächlichen Geschehens oft nicht gerecht. Und wie das Beispiel Wirecard zeigt, lassen sich dafür auch nicht einfach die Medien verantwortlich machen, weder die klassischen noch die sozialen. Behörden und Unternehmen stricken selbst eifrig mit an den verkürzten Geschichten.

Erfolgreiche Finanzkommunikation dagegen muss die Komplexität ihrer Themen ernst nehmen – und dann auf eingängige Formate und Vermittlung setzen. Im Fall der Allgemeinverfügung der Bafin war es andersherum. Leider.

Über den Autor: Dr. Holger Handstein verantwortet als Business Director das Geschäft von fischerAppelt mit Unternehmen aus den Sektoren Financial und Professional Services. Zuvor war er in ähnlicher Funktion für Edelman tätig. Mit den Finanzmärkten beschäftigt er sich seit zwei Jahrzehnten – zunächst als Wirtschaftsjournalist, dann als Verbraucherschützer, schließlich als Kommunikationsberater.
Weder Handstein noch fischerAppelt unterhielten oder unterhalten geschäftliche Beziehungen zur Wirecard AG.


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