Macht der Bilder US-Präsident Joe Biden Kontrollverlust – live auf CNN

Es ist unübersehbar: Körper und Geist Joe Bidens sind dem Amt des US-Präsidenten nicht mehr gewachsen. Für diese Erkenntnis musste man nur hinschauen – live oder in die milliardenfach produzierten digitalen Derivate, die nach seinem TV-Duell mit Donald Trump um die Welt rasten und immer noch rasen. Es gibt kein Zurück mehr – die Macht der Bilder hat das Ende der Karriere von Joe Biden sichtbar gemacht.

Bilder ein missglückten Inszenierung. (Quelle: Screenshot ZDF-Auslandsjournal)

In der Politik wie in Unternehmen gilt: Die kommunikative Wirkung einer Führungsperson ist unauflöslich mit ihrer Körperlichkeit verbunden. In Zeiten digitaler Allsichtbarkeit sind es nicht nur Kleider, die Leute machen, es ist auch die physische Performanz: Wer smart führen will, sollte smart leben und das sichtbar machen. Die allgegenwärtige Macht der Bilder erzwingt den attraktiven Auftritt. Das ist nicht neu, Europas Museen sind voll mit Gemälden meist männlicher Herrscher in Bestform. Aber anders als Heinrich der Achte oder Wilhelm der Zweite ist Joe Biden jetzt dem Endgegner aller Optimierung begegnet: Dem Live-TV im Zeitalter der digitalen Plattformen. Biden hat auf der medialen Weltbühne erst die Kontrolle über seine Worte und dann über seine Botschaft verloren – jetzt droht ihm vielleicht der Verlust seiner Macht.

Kaum etwas befeuert den Traffic von YouTube, Instagram und TikTok so, wie der Spott und die Schadenfreude über prominente Persönlichkeiten: Trumps und Bidens Aussetzer sind auf Social Media reichweitenstark. Bis heute geistert auch die legendäre Fehleinschätzung von Steve Balmer, dem ehemaligen CEO von Microsoft, durch die Social-Media-Kanäle: Niemand würde ein „Telefon für 500 Dollar“ kaufen, so Balmer über das gerade erschienene iPhone. Politik und Unternehmen begegnen der Gefahr des digitalen Gesichtsverlustes mit immer ausgefeilteren Inszenierungen: Man erhofft sich von präzise orchestrierten Auftritten in Hauptversammlungen oder auf Wahlkampfbühnen die Kontrolle der Bilder, der Botschaften und damit der Kanäle. Der kritische Punkt in diesem Konzept ist die Hauptfigur selbst – der Mensch in der Führungsposition.

"You have to be seen, to be believed"

Von der englischen Königin ist der Satz überliefert „You have to be seen, to be believed.“ Dieses Mantra der ständigen öffentlichen Sichtbarkeit führt im digitalen Zeitalter in ein Dilemma: Je öffentlicher die eigene Position, desto enger muss die Kontrolle über das eigene Erscheinen sein, denn das Internet ist überall und es vergisst nie. Da digitale Kanäle mit ihrem user generated content per se nicht kontrollierbar sind, erscheint nur noch der Anfang der digitalen Impulskette beherrschbar: Der eigene Auftritt, die eigene Botschaft, die eigene Performanz. Genau das war der Plan hinter Bidens frühzeitigem Duell mit Trump: Mit dem eigenen Auftritt die Kontrolle über die Botschaften und die Kanäle zurück gewinnen – und damit letztendlich über Trump.

Und Trump? In einer Welt der Impulskontrolle gibt er den Impulsiven, den politischen Entertainer, der sich um Regeln nicht schert und genau deshalb Erfolg hat. Diese Rolle spielt er aggressiv und unterhaltsam, liefert verlässlich Geschichten vom Golfplatz oder aus der Umkleidekabine.

Gleichzeitig erklärt er die Welt: Mexiko schlecht, Deutschland schlecht, China schlecht, Putin gut. Mit seiner unverwechselbaren Mischung aus Ressentiment, Unterhaltung und Sexismus gibt er den großen Lümmel, der hässlich, geschmacklos und triebhaft daherkommt. Spätestens seit dem Prozess in New York hat Trump kein Gesicht mehr, dass er noch verlieren könnte.

Er entzieht sich Argumenten, Wahrheiten und der Vernunft, aber er zieht die Aufmerksamkeit der Medien und des Publikums auf sich. Die „New York Times“ gibt an, dass er schon 2016 mit seinen Auftritten und der folgenden verstört-faszinierten Berichterstattung einen Medienwert von zwei Milliarden Dollar generierte haben soll. Es ist der kalkulierte Affront, der ihn medial so erfolgreich macht. Auf diesem Weg will er zurück ins Weiße Haus und die Kontrolle über einen der mächtigsten Staaten der Erde zurückgewinnen.

In der Demokratie ist das Versagen des einen Lagers der Erfolg des anderen, der Erfolg der Antidemokraten das Versagen der Demokraten, schreibt der Bremer Politikwissenschaftler Philip Manow. Das haben uns Joe Biden und jetzt auch Manuel Macron vor Augen geführt. Und die Populisten und Autokraten dieser Welt haben ganz genau hingeschaut.

Über den Autor: Jost Listemann ist Inhaber der Videoproduktionsfirma Time:Code:Media GmbH in Berlin. Er berät globale Unternehmen und öffentliche Institutionen in ihrer visuellen Kommunikation. Gestartet als Politikwissenschaftler ist er seit 2000 in der PR-Branche als Filmproduzent tätig. An der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft leitet er die Ausbildung für visuelles Storytelling und Bewegtbild.

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