Xis Machtdemonstration bei der Abschlusszeremonie des Pekinger Parteitags: Sein Vorgänger als Staatspräsident Hu Jintao wird aus dem Saal entfernt. (Screenshots: YouTube)

Die Kamera zeigt die vorderste Reihe der chinesischen Führungsriege. Statisch aufgereiht in dunklen Anzügen umgeben sie den neuen Sonnengott des Maoismus: Xi Jinping, Führer von Partei und Staat Chinas. Eiskalt demonstriert er seine Macht. Beinahe teilnahmslos lässt er seinen Vorgänger als Staatspräsident, Hu Jintao aus dem Saal entfernen. Seine Botschaft: Seht her, ich kenne keine Freunde, keine Alliierten, keine Partner. Ich herrsche, allein. Doch sein Reich scheint ihm nicht groß genug zu sein. Sein Arm reicht bis hinein in den Hamburger Hafen. Bis jetzt hat Bundeskanzler Scholz Kritik an einer möglichen chinesischen Beteiligung noch zurückgewiesen.

Kurz nachdem die internationale Presse in die große Halle des Volkes eingelassen worden ist, betreten zwei unauffällige Herren den Saal. Maskiert und in dunklen Anzügen gehen sie auf dem Po-dium hinter Xi vorbei auf dessen Nachbarn zu: Hu Jintao, Vorgänger Xis als Staatspräsident und Parteichef. Das etwas Ungewöhnliches passiert, erkennt man am Wackeln des Bildes: überrascht und verunsichert sucht die Kamera nach dem richtigen Bildausschnitt für die ungewöhnlich Szene. Einer der Herren nimmt die Unterlagen und die Brille Hus vom Tisch, der andere fasst den 79-Jährigen unter die Axel. Xi wendet sich ihm zu und bedeutet ihm offensichtlich, er habe jetzt aufzustehen und zu gehen. Die anderen Sitznachbarn Xis schauen versteinert ins Publikum, so als wenn nichts geschehen würde. Der alte Mann wankt, setzt sich eskortiert in Bewegung, reicht Xi noch die Hand, aber der Sonnengott wendet sich grußlos ab. Eine mediale Hinrichtung erster Klasse.

Xi Jinping ist ein Modernisierer, der die kommunistische Tradition von Gewalt und Demütigung gut kennt. Sein eigener Vater wurde während der Kulturrevolution Ende der 60er Jahre öffentlich gedemütigt, er selbst aufs Land verschickt. Seine über vierzig Jahre dauernde Parteikarriere führte ihn an die Spitze Chinas. Alle öffentlichen Inszenierungen sind mittlerweile auf seine Person fokussiert: In Pekings großer Halle des Volkes sitzt er im Mittelpunkt – alle Sitzreihen, Symbole und Bilder richten sich auf ihn.

Mediale Hinrichtung

Für Diktatoren ist Gewalt gegen die eigenen Gefolgsleute ein selbstverständliches Mittel der Politik. Stalin ließ Trotzki erschlagen, Saddam Hussein soll einen seiner Minister erschossen haben. Letzte Woche wurde bekannt, dass der Verantwortliche für die desaströse Mobilmachung in Russland zu Tode gekommen ist. Ein Weggefährte Wladimir Putins. Die mediale Hinrichtung des Hu Jintao spricht die gleiche Sprache: Hier wird jemand öffentlich gemeuchelt, kurz bevor der Diktator seine absolute Macht weitere fünf Jahre verlängern lässt. Es ist eine Botschaft an seine Rivalen und die Weltöffentlichkeit: Ich kenne keine Freunde, keine Alliierten, keine Partner. Ich herrsche, allein.

Wer einmal die Gelegenheit hatte, Xi Jing Pings China zu besuchen, wird die Eindrücke nicht vergessen: die unglaubliche Energie, der explosive Wohlstand, die beeindruckende Infrastruktur – und die atemberaubende Kontrolle und Überwachung. Es ist die reale Vision eines digitalen Kontrollstaates, den die Welt so noch nicht gesehen hat. Aber für Xi ist China nicht genug.

Hamburger Hafen: Dilemma für die deutsche Wirtschaft und Politik

Und damit wären wir beim Verkauf von Teilen des Hamburger Hafen an den chinesischen Konzern COSCO: Xis Reden und die mediengerechte Hinrichtung seines Vorgängers sprechen nicht die Sprache von Partnerschaft auf Augenhöhe, für ihn geht es einzig um Kontrolle und Macht. In neun europäischen Häfen hat sich China bereits eingekauft, unter anderem in Griechenland, Spanien, Italien und Belgien. Die Beteiligung in Hamburg wäre das fehlendes Puzzlestück im Norden und würde den Zugriff Chinas auf die europäische Wirtschaft weiter stärken. Aber das Dilemma der deutschen Wirtschaft und Politik ist „höher als jede Kaimauer des Hamburger Hafens“ schreibt die „Süddeutsche Zeitung“, denn die Verflechtung mit China ist komplex. In solchen Momenten geht es auch um die Macht der Bilder: Da wird schnell der gesamte „Hamburger Hafen“ an „die Chinesen“ verkauft.

Bundeskanzler Olaf Scholz lässt die Diskussion laufen, ohne sich genauer zu erklären und lässt Raum für Spekulationen: Setzt sich der Bundeskanzler über die Bedenken seiner Fachminister hinweg, damit sein Parteifreund Peter Tschentscher als Hamburger Bürgermeister Wohltaten finanzieren kann? Oder sind die Anteile am Hamburger Hafen kommende Woche ein schönes Gastgeschenk beim Besuch von Scholz in Peking?

"China ist ihm nicht genug"

Die Opposition in Berlin hat den Symbolwert in der Debatte erkannt: Man wolle dem Kanzler „in den Arm fallen“ verkündet Jens Spahn etwas theatralisch. Das Bedürfnis, eine komplizierte Welt mit einfachen Bildern zu beschreiben, ist aktuell groß – aber gefährlich. Eigentlich möchte die Opposition nur die Regierung spalten und Olaf Scholz vorführen – ob der das kurz vor seinem Abflug nach Peking mit sich machen lässt?

Während in Berlin munter gestritten wird, präsentiert sich die Spitze Chinas monolithisch: Wieder tritt am Ende des Parteitags eine Führungsriege aus schwarz gekleideten Männern vor die Kameras. Chinas Partei und Staat mag westlichen Beobachtern oft intransparent und nur schwer verständlich erscheinen. Aber auf dem Parteitag hat uns Xi Jinping den Gefallen getan, seinen Anspruch deutlich sichtbar zu machen: China ist ihm nicht genug.

Über den Autor: Jost Listemann ist Inhaber des Unternehmens Time:Code:Media GmbH in Berlin. Er berät große Unternehmen wie die Bayer AG und die Autobahn GmbH des Bundes und produziert für sie Bewegtbild-Kommunikation. Gestartet ist er als Politikwissenschaftler, seit dem Jahr 2000 ist er in der PR-Branche mit Schwerpunkt visuelle Kommunikation und Film tätig. An der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft unterrichtet er Storytelling und Bewegtbild. 


Wir haben die Kommentarfunktion wegen zu vieler Spam-Kommentare abgeschaltet. Sie können uns aber trotzdem Ihre Meinung zu diesem Artikel als Leserbrief direkt zusenden. Falls Sie wünschen, dass wir Ihren Leserbrief als Kommentar dem Artikel hinzufügen, vermerken Sie dies bitte in der Mail an uns.
leserbrief@pr-journal.de