Macht der Bilder Schau mir in die Augen - Robert Habeck auf Instagram

Gebräunt und konzentriert schaut Robert Habeck nachmittags um 17:00 Uhr direkt in die Kamera. An dem Tag, an dem der Wirtschaftsminister von den Grünen die Deutschen mitten im Sommer auf einen harten Winter einschwört, nimmt sich Habeck eine halbe Stunde Zeit, um sich im Live-Gespräch via Instagram den Nutzern zu stellen. Im weißen Hemd ohne Krawatte, Europa- und Deutschlandfahne im Hintergrund, beantwortet er die von seinem Team kuratierten Fragen – ohne Geschwurbel, klar nachvollziehbar und ohne Sprechzettel formuliert er seine Antworten. Dabei blickt er leicht von unten direkt in die Kamera, sein Abstand zum Objektiv beträgt kaum eine Armlänge. Wäre da nicht edles Holz und Flaggen, könnte man sich mit ihm zusammen am Tresen wähnen: „Der Robert“ erklärt die Welt, das Pils kommt, er läuft zur Form auf. Er liebt es, offensichtlich. So inszeniert man Kommunikation auf Augenhöhe.

Habeck in einer Lederjacke – ein bisschen Air-Force-One. (Quelle: Screenshot Instagram / Robert Habeck)

Das Modell

Schwungvoll wirft sich der Minister die North Face-Tasche über die Schulter, in der anderen Hand die Anzüge, im Hintergrund wartet auf nassem Asphalt der große Airbus der Flugbereitschaft – so beginnt eine Insta-Story über Habecks Nah-Ost-Reise Anfang Juni. Das Kommunikationsteam des Ministers hat zusammen mit Fotografen wie Dominik Butzmann aus Berlin Insta-Stories zu ihrem eigenen politischen Reportage-Format entwickelt: das nächste Bild zeigt Habeck aus direkter Nähe im Kreis seiner Mitarbeiter auf dem Weg nach Tel Aviv. Auch hier nur eine Armlänge Abstand zum Fotografen, Kamera auf Augenhöhe. Das dritte Bild zeigt ihn aus einer gewissen Entfernung mit Lederjacke am Fenster, die Lesebrille in der Hand, er studiert ein schriftliches Briefing. Ein bisschen Air-Force-One, ein bisschen Kanzlerdarstellung – der Mann hat offensichtlich noch Ziele und weiß sich in Szene zu setzen.

Gutes Aussehen war in der Politik noch nie ein Nachteil, schon Pharaonen und Caesaren ließen sich schöner darstellen, als sie wahrscheinlich waren. Die heutigen „Leader“ müssen täglich ihre trainierten Figuren in „Slim fit“-Anzügen vorführen: Der politische Körper ist ein Körper vor der Kamera, und die Bilder werden immer mehr, immer schärfer und immer gnadenloser. Ein Dreitage-Bart ist täglich penibel zu pflegen, „Stützbiere“ um 11:00 Uhr morgens und Saumagen zum Abendessen sind in der visuellen Hochleistungskultur der politischen Kommunikation nicht mehr vorstellbar. Spitzenpolitik ist Leistungssport, psychisch und physisch. Im Zeitalter der Social Media-Kommunikation bekommt die sichtbare Körperlichkeit eine zugespitzte Bedeutung: „Ich habe heute kein Foto für Dich“ – Heidi Klums Todesurteil vor laufender Kamera gilt auch für politische Führer und ihre Wähler.

Der Authentische

Die Ausstrahlung eines Antreibers, gepaart mit Nähe und Empathie, das Aussprechen unangenehmer Wahrheiten in Kombination mit dem Willen zum Aufbruch – das macht die Perfomanz eines Robert Habeck augenblicklich so erfolgreich. Mit seiner Offenheit nimmt er sein Gegenüber ernst und fordert, ebenfalls Verantwortung zu übernehmen. Eine Haltung, die das Publikum auf Augenhöhe anspricht und das Gefühl vermitteln will, dass es einen Ausweg aus der Ohnmacht der Gegenwart geben könnte. Gleichzeitig öffnet Habeck sich ein Türchen für den Rückzug: Wer alle mitnimmt, ist es nachher nicht alleine schuld. Diese Strategie in glaubhafte Bilder zu übertragen ist harte Arbeit für seine Kommunikatoren und Fotografen: Sein Team manövriert den Minister täglich durch einen medialen Parcours aus Pressekonferenzen, TV- und Social-Media-Auftritten und übersetzt seine Politik in visuelles Storytelling. Habeck performt bei „Lanz“ oder neben dem israelischen Premier, ist auf Social Media ständig präsent mit Videos und Foto-Stories. Seine Gesten, Bewegungen und Kleidungen verschmelzen mit seinen Sprachfiguren des „Ich“, „Wir“ und „Ihr“ zu einer medial inszenierten Nähe, die messbar erfolgreich ist: Max Weber nannte es „Charisma“, heute nennt man es „authentisch rüber kommen“.

Selenskyj Wolodomyr Ocasio Cortez Alexandria Instagram

Die politische Heroen des Social-Media-Zeitalters arbeiten mit der Strahlkraft ihrer unmittelbaren Körperlichkeit: Ob Alexandria Ocasio-Cortez aus den USA oder Wolodomyr Selenskyj – die Ansprache in den sozialen Netzwerken kommt meist auf Augenhöhe aus nächster Nähe (siehe oben stehende Fotos, Quelle: Instagram). Hier durchdringt die Tik-Tok-Ästhetik bereits die Politik – visuelle Kommunikation im 1:1, hochkant, live. Inszenierte Authentizität via Smartphone.

Der emotionale Leader

Aber eine mediale Strategie mit hohem persönlichen Einsatz birgt auch Risiken. Der mediale Strom aus der eigenen Produktion darf nie abreißen, körperliche Schwächen vor der Kamera bewirken mediale Gegenangriffe: Wird die Haut sichtbar grau, der Blick flatterig, die Stimme zu hoch, werden auch die besten Argumente angreifbar. Wer so mit Emotionen arbeitet wie Habeck, wird auch emotional attackiert. In den Kommentarspalten der Online-Medien und Social-Media-Kanäle wird das täglich sichtbar. Gleichzeitig vergisst das Netz nichts mehr – jeder Fehler wird kopiert, kommentiert und verbreitet. Bundeskanzler Scholz hat dazu seine eigene Strategie entwickelt – Fehlervermeidung bis zur Erstarrung. Habeck hat eine andere Strategie gewählt: erklären, erklären, erklären und das Publikum mit Kommunikation fluten. Dabei gelingt es Habeck, seine Antworten auf die komplexe Gegenwart als persönliche, emotionale Botschaften zu formulieren, die ihn authentisch wirken lassen. Und: Mit Emotionen wird der Algorithmus zum Verbündeten, denn emotionale Botschaften sind in den „Gefühlsmaschinen“ (Sascha Lobo) der Social Media ein entscheidender Vorteil beim Kampf um das Publikum. Der Erfolg scheint ihm Recht zu geben, bis in konservative Kreise hinein wirkt die Kommunikation des Ministers. Gleichzeitig brachten die letzten Landtagswahlen große Erfolge für die Grünen und die Regierungsbeteiligung in NRW.

Wohin auch immer die politische Karriere den 52-Jährigen noch führen wird: Mit seiner politischen Kommunikation hat er von sich das Bild eines Mannes geschaffen, der Niederlagen aushält (Kanzlerkandidatur) und unter Druck überlegt handelt. Der sich gegenüber Kritikern aus der eignen Partei auf seinen Amtseid beruft und damit klar macht: Erst das Land, dann die Partei. Ein emotionaler Leader, an dessen digitaler Performance sich in Zukunft jede Kanzlerin und jeder Kanzler messen lassen muss.

Über den Autor: Jost Listemann ist Inhaber des Unternehmens Time:Code:Media GmbH in Berlin. Er berät große Unternehmen wie die Bayer AG und die Autobahn GmbH des Bundes und produziert für sie Bewegtbild-Kommunikation. Gestartet ist er als Politikwissenschaftler, seit dem Jahr 2000 ist er in der PR-Branche mit Schwerpunkt visuelle Kommunikation und Film tätig. An der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft unterrichtet er Storytelling und Bewegtbild.