Macht der Bilder Putin: An ihren Inszenierungen sollst Du sie erkennen

Ein Stadion voller Menschen war gerade groß genug: Der TV-Auftritt W. Putins zum Jahrestag der Annexion der Krim war zwar von technischen Pannen begleitet, entsprach aber ansonsten dem perfekten Storyboard totalitärer Inszenierungen. Ein Storyboard, das die Macht eines Einzelnen verherrlicht, begeisterte Zustimmung suggeriert und unterschwellig droht: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns…

Anführer und Masse

Schon der Ort fokussiert die Energie der anwesenden Menschen auf einen Punkt: Putin tritt in einem Stadion auf, in dessen Mitte eigens für diesen Zweck eine sechseckige Konstruktion errichtet wurde: Die Tribüne für den Tribun, und nur für ihn. Im Zentrum aller Kraftlinien steht der Anführer allein im Fokus, umgeben von den Nationalfarben Russlands - Blau, Weiß, Rot. Das Publikum im Stadion schwenkt Fahnen in den Landesfarben - alle erstaunlich ähnlich, wie frisch gebügelt und für das Fernsehbild auffallend gleichmäßig im Publikum verteilt. Diese Inszenierung formt Menschen zu Masse - die Perspektive der Kamera degradiert sie zu einem gesichtslosen politischen Körper, dessen Daseinszweck einzig die Verherrlichung des Anführers ist. Der pompöse TV-Auftritt ist gleichzeitig eine Drohung an die „äußeren Feinde“ und „Abweichler in den eigenen Reihen“: Sieht her, wir sind viele und wir stehen vereint hinter unserem Anführer Wladimir Putin.

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 Perspektiven der Überhöhung

Kamerapositionen legen die Perspektive des Betrachters fest - und die ist nicht auf Augenhöhe: Die Kameras im Moskauer Stadion schauen unmerklich leicht von unten auf Putin, so dass auch ein Mensch mit durchschnittlicher Körpergröße wie der russische Präsident herausgehoben wirkt. Putin tritt in einer schlichten, aber kostspieligen Jacke auf und kaschiert den gealterten Hals mit einem cremeweißen Rollkragen. Er ist unauffällig geschminkt, so dass seine Haut im TV-Bild eine gesunde Frische vermittelt. Weder Augenringe noch hängende Wangen deuten auf sein Alter von fast 70 Jahren. Die Kameras befinden sich mehrere Duzend Meter entfernt, so lässt sich die Statur des Präsidenten durch das Teleobjektiv vor der unscharfen Masse im Hintergrund markant heraus meisseln. Gleichzeitig rückt die Perspektive der Kamera dem Protagonisten nicht zu nah - der Betrachter soll auf Distanz gehalten werden, die Aura der Unnahbarkeit soll das fehlende Charisma des Präsidenten überspielen.

Putin hält keine übliche Rede, er doziert, lässt in seinem Vortrag kaum Raum für Interaktion mit dem Publikum. Die Unbeweglichkeit der Gesichtszüge und die sparsame Gestik vermitteln eine Ernsthaftigkeit, die keinen Widerspruch duldet. In seiner siebenminütigen Rede sind nur vereinzelt Pausen eingebaut, die vom Publikum eher zögerlich, als euphorisch beklatscht werden.

Putin tritt schnell auf und schnell wieder ab, ohne einen Kontakt mit dem Publikum, der über ein Winken hinaus geht. Der Mann hat Angst, will aber auch Angst machen.

Ekstase und Unterwerfung

Es sind immer die Jungen, die für die Huldigung des Anführers ihr Gesicht hinhalten müssen: Im Moskauer Stadion zeigt die TV-Regie während Putins Rede vor allem verzückte Teenagerinnen und junge Männer, die euphorisch ihre Fahnen schwenken. Die Bilder jugendlicher Putin-Fans sollen die Herrschaft des Autokraten verjüngen und gleichzeitig vertuschen, dass der „Herbst des Patriarchen“ längst begonnen hat. Den Betrachter beschleicht ein sehr unangenehmes Gefühl: werden es diese jungen Menschen sein, die den Preis für eine Politik bezahlen, die über Leichen geht?

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Machen wir uns nichts vor: Inszenierungen dieser Art sind uns zwar in Deutschland suspekt, aber auch in anderen demokratischen Staaten sind sie durchaus Teil der politischen Kommunikation: man denke nur an die Auftritte eines französischen Präsidenten oder die Wahlkampfshows diverser US-Präsidentschaftskandidaten. Doch der Unterschied liegt nicht nur in der Legitimation des Systems.

 

 

Den Unterschied macht eine Inszenierung, die Menschen zu Masse degradiert, zum willfährigen Körper in der Gewalt eines Einzelnen: Autokraten sehen die Menschen in ihrem Herrschaftsgebiet als ihre ureigenste Verfügungsmasse - deutlich ablesbar an Putins TV-Show oder auch den Auftritten Xi Jing Pings.

Seht her, ich bin das Volk, die Nation, der Staat - und euer Schicksal.

Jost Listemann
20. März 2022

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