Das PR-Interview Sebastian Callies im PR-JOURNAL-Podcast: Erfahrene Fachkräfte sind die Gewinner der KI-Ära
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- von Thomas Dillmann, Bad Honnef
„Gerade erfahrene Fachkräfte können die größten Gewinner der KI-Revolution sein.“ Während viele Beobachter aus PR und Kommunikation eher Jobverluste durch die zunehmende Verbreitung von KI erwarten, stellt Agenturchef und Buchautor Sebastian Callies seine Gegenthese auf. Er begründet sie ausführlich in seinem Mitte März erschienen Buch „Schubkraft – Die neue Intelligenz aus Erfahrung und KI.“ Im PR-JOURNAL-Podcast-Interview erläutert er seine Sicht auf die künftige Bedeutung von KI.

PR-JOURNAL: Herr Callies, Sie schreiben im Prolog Ihres Buches, dass KI nicht nur Werkzeuge und Prozesse verändert, sondern die Grenzen unseres Denkens verschiebt. Was meinen Sie damit genau?
Sebastian Callies: Ich glaube, es wird in Deutschland noch immer missverstanden, was gerade passiert. Wir befinden uns in einer kompletten Umwälzung der Gesellschaft, der Unternehmen, der Wirtschaft und des persönlichen Lebens, angetrieben von Algorithmen, die intelligenter sind als in der ersten Phase der Digitalisierung. Das Denken wird parallel statt linear erfolgen. Wir können vieles gleichzeitig tun und unser eigenes Denken im Dialog mit generativen KI-Systemen anreichern. Viele nutzen KI privat für Texte oder Erklärungen, aber wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung hin zu einer Parallelität des Denkens.
„KI kann auch plausibel klingenden Unsinn produzieren“
PR-JOURNAL: Viele Agenturen, Unternehmen und auch Individuen haben im letzten Jahr damit experimentiert und gearbeitet, aber häufig bleibt es bei der Faszination ohne weitergehende Anwendung oder gar Integration in die Arbeitsabläufe.
Callies: Genau. Oft beschäftigt man sich erst damit, wenn man muss. Aber das Faszinierende ist, wenn man sich darauf einlässt, gerade in Bereichen, in denen man sich auskennt, kann man sein Können erweitern. Kritisch wird es, wo man sich nicht auskennt, da KI auch plausibel klingenden Unsinn produzieren kann. Expertenwissen wird immer wichtiger, um das zu prüfen. Auch beim Programmieren gilt: Nur wer den Code versteht, kann die Ergebnisse der KI beurteilen.
PR-JOURNAL: Sie vergleichen diesen Entwicklungsschritt mit Großereignissen wie der Markteinführung des iPhones. Ist die Ausbreitung der KI seit gut einem Jahr wirklich eine vergleichbare bahnbrechende Entwicklung?
Callies: Das iPhone trifft es schon sehr gut. Bei der Vorstellung 2007 sahen die meisten nur ein Telefon mit ein paar Apps. Aber es hat unser gesamtes Leben beeinflusst, in einer Weise, die damals niemand ahnte. Ich glaube, die Auswirkungen der generativen KI werden ähnlich tiefgreifend sein, auch wenn uns die genaue Dimension noch nicht klar ist.
„Kreative befürchteten eine Entwertung ihrer Arbeit“
PR-JOURNAL: Es gibt ganz allgemein viele Vorbehalte und Unsicherheiten. Wie nehmen Sie diese in der Unternehmenswelt wahr?
Callies: Als ChatGPT veröffentlicht wurde, habe ich als Unternehmer sofort gespürt, dass da etwas auf uns zukommt, das unsere Arbeitsweise grundlegend verändert. Ich musste verstehen, was da passiert! Die Wucht dieser Erkenntnis hat bei uns im Team intensive Diskussionen ausgelöst. Manche Kreative hatten Bedenken, ob ihre Arbeit in Zukunft noch denselben Wert hat. Aber genau da liegt der Schlüssel: Ihre Erfahrung ist heute wichtiger denn je, um über das Mittelmaß hinauszugehen. Es kommt darauf an, Lust zu machen, sich mit diesem revolutionären Thema auseinanderzusetzen. Die Einstiegshürde ist niedrig – jeder kann sofort loslegen.
PR-JOURNAL: Wie haben Sie Ihre Mitarbeiter konkret mitgenommen?
Callies: Ich habe versucht, das Führungsteam zu überzeugen und ihnen die Möglichkeiten gezeigt. Dann habe ich einzelne Teams einberufen und ein persönliches Beispiel genutzt: Meine wiederbelebte Leidenschaft für Musikproduktion mithilfe von KI. Ich habe alte Texte genommen und mit KI neue Songs produziert. Das hat den Teams gezeigt, wie sie ihre eigenen Interessen und Fähigkeiten erweitern können. Es wurde greifbarer und die Ängste nahmen ab.
„Man braucht im Kopf ein Endbild“
PR-JOURNAL: Sie haben also deutlich gemacht, dass diese Beschleunigung fühlbar ist und man Denken und Handeln neu ausrichten kann. Es geht um die Verknüpfung von technischem Know-how mit Erfahrungswissen.
Callies: Genau. Ohne mein Vorwissen und meine künstlerische Vision hätte ich die Musikproduktion mit KI nicht so umsetzen können. Man braucht im Grunde im Kopf ein Endbild, worauf man hinarbeiten möchte und die Kompetenz, die Ergebnisse zu bewerten. Sonst wird das Ergebnis schnell oberflächlich.
PR-JOURNAL: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass KI kein eigenes Erfahrungswissen hat und ein Koordinatensystem braucht, um zwischen wertvoll und wertlos zu unterscheiden.
Callies: Das ist richtig. Ich muss im Entscheidungsprozess mit KI permanent selbst bewerten und entscheiden. Die Entscheidung kann nicht an das System abgegeben werden. Erfahrung ermöglicht es auch, einem System zu widersprechen, wenn es falsch liegt.
„Es geht um völlig neue Möglichkeiten“
PR-JOURNAL: Können Sie ein konkretes Beispiel aus Ihrem Agenturalltag nennen?
Callies: Für eine Bank haben wir das Branding überarbeitet und einen besonderen Illustrationsstil entwickelt, der durch KI im Brainstorming entstand. Wir haben ihn dann aber tagelang verfeinert. Jetzt können wir mit Hilfe der KI eine Bilddatenbank in diesem Stil erstellen, was früher unmöglich gewesen wäre. Es geht nicht nur um Geschwindigkeit, sondern um völlig neue Möglichkeiten.
PR-JOURNAL: Es gibt Stimmen, die sagen, die kreative Leistung der Agentur werde durch KI entwertet. Haben Sie diese Erfahrung gemacht?
Callies: Nein, eigentlich nicht, weil die Kunden das Ergebnis sehen. Es ist trotz KI viel Detailarbeit nötig, um ein sinnvolles Ergebnis im Kontext zu erzeugen. Ein Bild kann jeder erzeugen, aber es muss in die Geschichte passen und verwendbar sein. Es geht von einzelnen Bausteinen hin zum Gesamtblick auf das Thema.
„Am Ende entscheidet die fachliche Expertise“
PR-JOURNAL: Hat sich die Denkweise Ihrer Mitarbeiter verändert?
Callies: Die Denkweise hat sich insofern verändert, als die Crossmedialität wichtiger wird. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus verschiedenen Spezialisierungen müssen jetzt stärker übergreifend denken und arbeiten. Der Kreativitätsoutput ist größer, aber am Ende entscheidet die fachliche Expertise.
PR-JOURNAL: Damit wären wir wieder bei der Erfahrung, die erfahrenen Fachkräften hilft.
Callies: Unbedingt. Jungen fehlt oft die Bewertungsmatrix, während Ältere die Neugier und Lust auf Weiterentwicklung wiederentdecken müssen. Raus aus der Komfortzone, rein in die Freude und das eigene Wachstum. Das kann auch privat beginnen. Die eigenen Fertigkeiten sind sehr wertvoll, denn die Ergebnisse der KI bedürfen immer der Überarbeitung und Prüfung durch Experten.
PR-JOURNAL: Ihr Buch heißt „Schubkraft“. Worin besteht diese genau?
Callies: Die Schubkraft besteht darin, dass jemand mit Erfahrung durch KI seine Kreativität und die Qualität seiner Ergebnisse verbessern kann. Er kann bei Routineaufgaben schneller werden und sich in neuen Bereichen positionieren. Die Verbindung von Erfahrung mit KI ist die Schubkraft, wenn man sich darauf einlässt.
„Den ‚Doom Talk‘ entkräften“
PR-JOURNAL: Gab es schon Resonanz auf Ihr Buch?
Callies: Ja, sehr inspirierende. Viele wünschen sich konkretere Anweisungen, aber mir geht es darum, den Funken anzuzünden, die Angst zu nehmen und die Chancen und Gefahren aufzuzeigen. Das Buch soll Mut machen, sich damit auseinanderzusetzen und die eigene Kompetenz zu stärken. Die Experimente im Schlussteil des Buches sollen zu einem neuen Denken anregen. Es geht darum, Begeisterung zu wecken und den „Doom Talk“ zu entkräften. Mit der richtigen Haltung können wir mit KI über uns hinauswachsen.
PR-JOURNAL: Wo kann man Ihr Buch erwerben?
Callies: Tatsächlich bei Amazon als Hardcover und E-Book. Kindle Unlimited Nutzer können es die nächsten zwei Monate kostenlos lesen. Ich freue mich auf Feedback.
Soweit die schriftlichen Auszüge aus dem Gespräch mit Sebastian Callies. Ein erster Ausschnitt aus dem Interview ist hier im PR-JOURNAL-Podcast zu hören (ab Minute: 21:40‘). Das Podcast-Interview in voller Länge gibt es hier:
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