Das PR-Interview KI-Implementierung Fokus liegt zu wenig auf Menschen

In der Interviewreihe zur Digitalisierung der PR ist Christina Rettig unsere Gesprächspartnerin. Sie ist Head of Strategic Marketing & Communication bei Schott, einem der weltweit führenden Hersteller im Bereich Spezialglas, Glaskeramik und anderer High-Tech-Werkstoffe. In ihrer Rolle bildet Rettig eine strategische Klammer für Marketing und Kommunikation, und ist dort auch für die Koordination von KI verantwortlich. Das Interview wurde von Christopher Morasch geführt.

Christina Rettig stellt fest, dass die datengestützte Kommunikation Aufholbedarf gegenüber dem Data-driven Marketing hat. (Foto: privat)

Frage: Frau Rettig, wer Ihre Vita kennt, der weiß, dass Sie schon früh in die Bereiche CommTech und Digitalisierung eingetaucht sind. Können Sie uns einen kurzen Abriss Ihres bisherigen Karrierewegs geben?

Christina Rettig: Tatsächlich begleitet mich das Thema Digitalisierung schon mein ganzes Berufsleben. Als ich vor 25 Jahren bei Hill & Knowlton in der „Tech Practice“ anfing, hat mich die Pionierstimmung in der New Economy fasziniert: Es drehte sich alles um Software und neuen Technologien. Anschließend konnte ich tolle Erfahrungen bei Fink & Fuchs sammeln, eine Agentur die damals überwiegend Technologiekunden betreute. Zu dieser Zeit lag der Fokus neben dem digitalen Wandel auch auf der Energiewende. Einer meiner Kunden war Schott Solar, und so bin ich schlussendlich dann auch zu Schott gekommen.

Frage: Was hat sich in dieser Zeit in Sachen Digitalisierung speziell in der Kommunikation getan?

Rettig: Es gibt heute viel mehr Möglichkeiten Stakeholdergruppen zu erreichen. Zu Beginn meiner Karriere hatten die Leitmedien noch eine sehr starke Position, dann gab es einen starken Shift in Richtung Social Media. Die direkte Ansprache von Zielgruppen stellt neue Möglichkeiten dar, ist aber auch herausfordernder – nicht zuletzt, weil sich Marketing und Kommunikation auf dieser Spielwiese treffen. Dann stellt sich die Frage, welche der vielen Möglichkeiten die beste für eine Organisation ist. In diesem Entscheidungsprozess werden dann Daten immer wichtiger.

Aufholbedarf der datengestützten Kommunikation

Frage: Daten sind ein gutes Stichwort: Bei Schott arbeiten Kommunikation und Marketing in einer Abteilung zusammen, dennoch gibt es Unterschiede. Inwiefern besteht aus Ihrer Sicht Aufholbedarf der datengestützten Kommunikation zum Data-driven Marketing, welches es schon seit einer ganzen Weile gibt?

Rettig: Diesen Aufholbedarf kann ich bestätigen. Das hängt aus meiner Sicht damit zusammen, dass Marketing oft einen spezifischeren und gut messbaren Auftrag hat, wie das Generieren von Leads und letztlich den Verkauf von Produkten. Bei Kommunikation sind die Wirkungsfelder komplexer, was aber diesen Job gerade so spannend macht.

Frage: Im CommTech Index Report schreibt Thomas Mickeleit: „Technologie kann weit mehr als nur Monitoring. Wir sollten die Chancen erkennen und dies gezielt entlang der gesamten Kommunikationswertschöpfung nutzen.“ Wie interpretieren Sie das?

Rettig: Ich würde es so interpretieren: Wir sollten Technologie in der Kommunikation nicht nur dafür einsetzen, effizienter zu werden. Wir sollten uns auch überlegen, welche neuen Potenziale wir durch den gewonnenen Freiraum heben wollen.

Chatbot für Briefings

Frage: Welche Rolle spielt derzeit generative KI in der Unternehmenskommunikation von Schott?

Rettig: Wir haben das Glück, dass Schott dem Thema KI sehr aufgeschlossen gegenübersteht. Zum Beispiel durften wir ChatGPT unter Berücksichtigung unserer Informationsschutzrichtlinien von Anfang an nutzen. Im Moment herrscht – positiv gesprochen – eine Sandkastenmentalität: Wir probieren vieles aus, und das ist völlig in Ordnung so. Das hat zum Beispiel dazu geführt, dass wir unseren Ansatz geändert haben – anstatt vieler spezieller KI-Tools wollen wir unser TechStack punktuell ergänzen, denn alle unsere bestehenden Partner haben KI-Funktionalitäten bereits auf ihrer Roadmap. Aktuell arbeiten wir an zwei Pilotprojekten, einen Chatbot für Briefings und dem Aufsetzen von CustomGPTs. Nicht generative KI, wie zum Beispiel Grammerly, nutzen wir hingegen schon sehr lange.

Frage: In der Leitlinie zum Umgang mit KI in der Kommunikation fordert der Deutsche Rat für Public Relations eine Kennzeichnungspflicht für alle Inhalte, die mit KI erstellt wurden. Ist dies aus Ihrer Sicht eine sinnvolle Regel?

Rettig: Absolut, denn somit wird beispielsweise die Verbreitung von Deep Fakes vom Rat explizit ausgeschlossen. Allerdings gibt es in der Praxis viele Graubereiche: Wenn ChatGPT einen Erstentwurf für einen Text basierend auf menschlichem Input generiert und dieser von Menschenhand weiterbearbeitet und fertiggestellt wird, ist schwierig festzulegen, ab wann Kennzeichnungspflicht besteht. Heutige Ethikregeln müssen morgen wahrscheinlich wieder angepasst werden. Der Umgang mit KI bedeutet eben work in progress.

„Stakeholdership“ für die Implementierung von KI

Frage: Welcher wichtigen Schritte bedarf es, um KI erfolgreich in bestehende Kommunikationsprozesse implementieren zu können?

Rettig: Bei der Implementierung von KI in Kommunikationsprozesse darf es nicht primär um das Tool gehen, sondern es muss in erster Linie um den Prozess und vor allem die Menschen gehen. Dann braucht es „Stakeholdership“ in Form einer verantwortlichen Person, der die Implementierung als offiziellen Auftrag hat. Ferner muss diese Aufgabe im Unternehmen auch mit den zeitlichen Ressourcen ausgestattet werden. Es ist keine gute Idee, Mitarbeitenden solche Projekte zusätzlich zu ihrem regulären Arbeitspensum zuzuschieben. Zu guter Letzt: Man fährt besser, wenn man nicht von Anfang an den ganz großen Wurf plant, sondern Pilotprojekte fährt und Lernschleifen einkalkuliert.

Frage: Welche künftigen Einflüsse hat KI Ihrer Meinung nach auf die Unternehmenskommunikation?

Rettig: KI wird einen großen Einfluss darauf haben, welche Rolle Kommunikation künftig spielen wird. Die Aufgaben werden sich eher weg von operativen Tätigkeiten, wie redaktionelles Arbeiten, hin zu koordinierenden Tätigkeiten verlagern. Darin besteht eine große Chance, denn bislang hatten wir Kommunikationsmenschen eher eine Unterstützungs- als eine Gestaltungsfunktion in der digitalen Transformation. KI gibt uns die Chance, das neu zu definieren.

Über den Autor: Christopher Morasch ist Professor für Public Relations an der Westfälischen Hochschule sowie Gründer und Geschäftsführer der digitell.me GmbH, ein auf Umfragen spezialisiertes Softwareunternehmen.

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