Das PR-Interview Ohne IT kein CommTech. So einfach.

CommTech AG IMWF LogoDie „Arbeitsgemeinschaft CommTech“ (AG CommTech) wurde im Sommer 2021 unter dem Dach des Instituts für Management- und Wirtschaftsforschung (IMWF), Hamburg, gegründet. Sie wird gemeinsam getragen vom IMWF und von Thomas Mickeleit. Mehr als 250 PR-Praktikerinnen und -Praktiker sind der Einladung gefolgt. Die AG erarbeitet Lösungen für die digitale Kommunikation und stellt diese der interessierten Fachöffentlichkeit vor. Seit Februar 2022 erscheint jeweils am 1. Mittwoch im Monat der „CommTech Newsletter“. Im Vorgriff auf die 7. Ausgabe veröffentlicht das „PR-Journal“ einen Beitrag, in dem Ansgar Zerfaß, Professor für Strategische Kommunikation an der Universität Leipzig, das Thema im Gespräch mit Thomas Mickeleit erörtert.

Ohne IT kein CommTech. So einfach.

Zerfass Ansgar CommTech

Ohne die Unterstützung der IT-Abteilungen kann die Anwendung von CommTech nicht gelingen, sagt Ansgar Zerfaß. (Foto: Universität Leipzig)

Der European Communication Monitor (ECM) 2022 ist kürzlich präsentiert worden und CommTech nimmt darin ein eigenes Kapitel ein. Ansgar Zerfaß, Professor für Strategische Kommunikation an der Universität Leipzig und Leiter der internationalen ECM-Forschergruppe, beleuchtet das Thema im Gespräch mit Thomas Mickeleit, Founder von KommunikationNeuDenken, genauer. 

Mickeleit: Mit dem Begriff MarTech sind bereits viele Menschen vertraut. Was kennzeichnet jetzt aber CommTech aus und wo liegen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu MarTech? 

Zerfaß: Es gibt verschiedene Definitionen für CommTech. Wir verstehen darunter alle digitalen Technologien, die sich für die Unternehmens- oder Organisationskommunikation einsetzen lassen. Hierbei geht es zum einen um die Unterstützung von Kernaktivitäten wie die Kommunikation mit internen und externen Stakeholdern sowie die Beratung der Leitungsebene und interner Klienten. Dazu zählt aber auch die Unterstützung des Workflows in Kommunikationsabteilungen. 

Im Hinblick auf die Kommunikation mit Stakeholdern gibt es viele Überschneidungen mit MarTech, also mit digitalen Tools für das Marketing. So kommen beispielsweise oft die gleichen Softwares und Services zum Einsatz. Es gibt demnach nicht nur Überschneidungen bei den Begrifflichkeiten, sondern auch bei den dahinterliegenden Technologien. Allerdings spielen bei MarTech auch Aspekte bei Produktgestaltung, Pricing oder Vertrieb eine Rolle, die in der Unternehmenskommunikation nicht benötigt werden – zum Beispiel automatisierte Preisgestaltung mithilfe von Künstlicher Intelligenz.

Mickeleit: Warum kam die Debatte um CommTech vergleichsweise so spät auf? 

Zerfaß: Der aktuellen Debatte um CommTech liegt ein sehr breites Verständnis zugrunde. Teilbereiche davon beleuchten Wissenschaft und Praxis bereits seit langem. Hierzu zählt insbesondere der Einsatz von Technologien in der Social-Media-Kommunikation und die Analytics-Debatte. Bisher ging es jedoch vor allem um einzelne Anwendungen und weniger um die dahinterliegenden Technologien, ihre Einführung sowie die Nutzung. Das heißt, die Debatte um CommTech fand bereits in Teilen statt, das große Ganze wurde aber lange Zeit nicht in den Blick genommen.  

Mickeleit: Eine Auffälligkeit in den Ergebnissen des ECM 2022 sind die beträchtlichen regionalen Unterschiede. Wie lassen sich diese erklären? 

Zerfaß: Zunächst lässt sich festhalten, dass Deutschland im Vergleich relativ weit vorne liegt, wenn es um die Frage geht, wie intensiv das Thema in der Branche diskutiert wird. 51 Prozent der Befragten nehmen das so wahr. 42 Prozent geben zudem an, dass sie persönlich die Debatte verfolgen. Die Aufmerksamkeit für das Thema ist in Deutschland demnach nicht gering. Es gibt jedoch Unterschiede bei der Frage, ob man glaubt, dass CommTech einen Einfluss auf die eigene Abteilung und die eigene Arbeit hat. Diese Unterschiede sind meiner Einschätzung nach aber weniger von kulturellen Gegebenheiten geprägt. Das liegt vielmehr am unterschiedlichen Reifegrad der Organisationen und dem individuellen Reflexionsgrad der Kommunikatorinnen und Kommunikatoren.

Mickeleit: In der Vorgängerstudie, dem ECM 2021, gaben europaweit 88 Prozent der Befragten an, dass sie die Digitalisierung sehr wichtig finden. Die Ergebnisse aus diesem Jahr zeigen jedoch, dass sich nur rund ein Drittel selbst um das Thema kümmert. Wie lässt sich dieser Unterschied erklären? Ist die Debatte am Ende vielleicht nicht so relevant, wie wir denken? 

Zerfaß: Das könnte man so sehen ­– wenn man unterstellt, dass die Praxis immer recht hat, weil sie sehr vorausschauend und strategisch denkt. Meine Beobachtung ist jedoch, dass Kommunikatorinnen und Kommunikatoren häufig im Tagesgeschäft stecken und der Blick auf das große Ganze eher fehlt. Das Thema wird also diskutiert, es werden sich Meinungen gebildet, aber man zieht häufig keine Konsequenzen daraus. Daher ist der Anteil derer, die sich Fragen wie „Was bedeutet das eigentlich für mich persönlich?“ und „Was bedeutet das für meine Kommunikationsabteilung, meinen Berufsstand?“ stellen, bisher nicht groß. Dies ist etwas, das sich erst im Laufe der Zeit entwickeln wird und das ist auch der wesentliche Unterschied zum Marketing, wo das Thema schon länger auf der Agenda steht.

Thomas Mickeleit: Bei denjenigen, die die Debatte verfolgen, ist ein Drittel der Befragten der Meinung, dass CommTech auch Nachteile bei der Kommunikation mit Stakeholdern bringt. Welche Risiken sehen die Befragten hier? 

Zerfaß: Die Risiken wurden im ECM 2022 nicht spezifisch erhoben, lassen sich aber auf Basis anderer Studien erklären. Zum einen spielt der Aspekt ‚Qualität‘ eine wichtige Rolle. Vor allem bei der Kommunikation mit internen und externen Stakeholdern mit Chatbots oder automatisierter Content-Produktion besteht häufig die Sorge, dass die Unternehmenskommunikation schlechter wird. Zum anderen kann die Automatisierung dazu führen, dass die eigenen Kompetenzen, die eigene Einfluss oder sogar der eigene Job gefährdet wird.

Viele Kommunikatorinnen und Kommunikatoren überlegen, ob ihre eigenen Kompetenzen und Tätigkeiten zukünftig noch gebraucht werden. Während einige gut damit umgehen können, verschließen andere eher die Augen, weil sie sich nicht vorstellen können oder wollen, was die Entwicklung für sie bedeutet. Man muss auf Basis unserer Studie aber auch sagen, dass diejenigen, die sich stärker mit dem Thema beschäftigen, mehr Vor- als Nachteile sehen und vielfältige Use-Cases für sich entdeckt haben. 

Mickeleit: Welche Risiken bestehen, wenn sich Kommunikation nicht auf den Pfad von CommTech begibt? 

Zerfaß: Die Risiken ergeben sich daraus, dass die Technologie trotzdem verfügbar sein wird, auch wenn man sich nicht damit auseinandersetzt. Dabei drohen zwei Szenarien: Das eine ist, dass digitale Tools durchaus genutzt werden, aber von anderen – beispielsweise von anderen Abteilungen oder von Agenturen. Unter anderem im Marketing ist die Erfahrung bereits da. Dann droht Kommunikationsabteilungen ein Bedeutungsverlust. Ein anderes Szenario ist, dass digitale Anwendungen für die Unternehmenskommunikation als einem recht kleinen Bereich im Gesamtkontext keine Aufmerksamkeit erfahren und CommTech gar nicht eingesetzt wird. Dann sind Kommunikationsleistungen möglicherweise in Zukunft zu inflexibel, zu teuer, nicht mehr gut genug. Auch dann droht ein Bedeutungsverlust innerhalb der Organisationen.

Mickeleit: Die Ergebnisse des ECM 2022 zeigen, dass Kommunikationsabteilungen vor allem aufgrund von internen strukturellen Barrieren Schwierigkeiten bei der Einführung von CommTech haben. Welchen Rat kann man Kommunikatorinnen und Kommunikatoren geben, um ihre Digitalisierung voranzutreiben?

Zerfaß: Diese Erkenntnisse deuten ein weiteres Mal darauf hin, dass interne Kommunikationsabteilungen immer Teil einer Organisation und keine isolierten Einheiten sind. Dennoch grenzt man sich in der Praxis häufig aktiv von anderen Bereichen wie Vertrieb, Marketing oder IT ab. Doch bei der digitalen Transformation stellt genau diese Isolation ein Problem dar. Ohne die Unterstützung von IT-Abteilungen wird die Einführung von CommTech nicht gelingen. Hierfür muss sich das Selbstverständnis und das Denken von Kommunikatoren verändern. Jedem muss klar werden, welche Aufgaben und Prozesse zu bewältigen sind, welche Verbesserungen erzielt werden möchten und welche Software, Services und Infrastruktur dafür jeweils benötigt wird. Nur so lässt sich überhaupt festlegen, was genau digitalisiert werden soll. Dieses ganze strukturierte, prozessorientierte Denken und die Erfahrung mit IT-Implementationen fehlen oft und das zeigt sich hier ganz deutlich. 

Mickeleit: Und wie lässt sich das überwinden?  

Zerfaß: Hierfür ist es besonders wichtig, die eigene Rolle im Unternehmen noch einmal zu überdenken. So kann es beispielsweise hilfreich sein, das Geschäftsmodell der eigenen Kommunikationsabteilung zu überdenken. Dafür haben wir kürzlich an anderer Stelle einen Bezugsrahmen vorgestellt (im PR-Magazin 8/2022). Sobald man ganzheitlich das eigene Handeln reflektiert, denkt man zwangsläufig konkret darüber nach, welche Leistungen erbracht und wie diese erstellt werden. Dadurch kommt man dazu, sich das Operating Model im Maschinenraum der Kommunikationsabteilung und die dahinterstehenden Technologien anzuschauen. So entwickelt sich eine neue Sichtweise auf das Thema und man spricht nicht mehr so isoliert über benötigte Kompetenzen und Software. Es ist essenziell, Kommunikationsabteilungen aus der Isolation herauszuholen und in die Organisation einzupassen. Diese Art von Denke ist in der PR-Profession historisch nicht so weit entwickelt wie in anderen Bereichen. Daher besteht jetzt ein großer Nachholbedarf. Wer weiß, auf was es bei der digitalen Transformation ankommt und wer die eigenen Prozesse kennt, ist klar im Vorteil.

Mickeleit: Sind Kommunikationsabteilungen Deiner Erfahrung nach in der Lage, selbstständig solche Prozesse zu managen und diese Transformation zu betreiben oder schaffen sie es nur mit externer Hilfe? 

Zerfaß: Mein Eindruck ist, dass sie es nicht alleine schaffen. Das ist auch nicht schlimm. Die meisten Entscheidungsträger in Kommunikationsabteilungen haben bisher solche Projekte noch nicht selbst umgesetzt, sondern sie denken bei Transformation eher an ‚softe‘ Aspekte wie zum Beispiel Change-Kommunikation. Selten gibt es Erfahrung mit Technologieeinführung im großen Stil, Investitionen in Hard- und Software oder dem Umgang mit IT-Dienstleistern. Das wird aber dringend benötigt. Das Know-How hierfür kann kurzfristig extern akquiriert werden, sollte mittelfristig aber intern aufgebaut werden. Dies gelingt am Besten, wenn mit anderen Abteilungen und internen Beratungseinheiten zusammengearbeitet wird.

Die zentrale Frage ist oft, ob man die hierfür notwendigen Beziehungen aufgebaut hat. Hierzu zählt vor allem die Beziehung zur IT-Abteilung, um einen informellen und indirekten Zugriff auf Transformationswissen und Know-How zu erhalten. Man sollte jedoch bedenken, dass die Zusammenarbeit mit einer doch recht speziellen und im Gesamtkontext kleinen Kommunikationsabteilung für Wirtschaftsinformatiker auf den ersten Blick eher weniger attraktiv erscheint. Daher gilt es, Win-Win-Möglichkeiten bei der Zusammenarbeit herauszustellen und IT-Spezialisten für die eigene Arbeit zu begeistern. Gleichzeitig sollte sich ausreichend Zeit dafür genommen werden, die eigenen Prozesse noch einmal anzuschauen, um Optimierungspotenzial aufzudecken. 

Mickeleit: Gibt es denn organisatorische, prozessuale, kulturelle Voraussetzungen, die man in Organisationen schaffen muss, um mit CommTech erfolgreich zu sein? Gibt es Hürden, die wir erst einmal beseitigen müssen, um diesen Schritt zu gehen?  

Zerfaß: Auf organisatorischer Ebene geht es vor allem darum, das Dauerthema ‚Was sind die Aufgaben, was trägt die Kommunikationsabteilung zum Gesamterfolg bei?‘ als Teil eines ganzheitlichen Prozesses zu sehen und sich nicht zu isolieren. Sobald man diesen Weg geht, ist man direkt in der Prozesslandschaft der Wertschöpfung und der Digitalisierung des ganzen Unternehmens. Dann wird schnell klar, dass sich alle Herausforderungen der digitalen Transformation – Kompetenz-Entwicklung, Technologie-Entwicklung, Software-Auswahl – auch in anderen Bereichen wiederfinden. Gelingt es, sich selbst klar zu positionieren, sieht man, welches Know-How sich an welcher Stelle nutzen lässt und an wem man sich orientieren kann. Wichtig ist zu erkennen, dass nicht alles neu erfunden werden muss, sondern man vor allem durch die interne Zusammenarbeit mit anderen profitiert.

Das heißt, der erste Schritt wäre zunächst einmal eine Reflexion der eigenen Aufstellung und die Offenlegung paralleler Herausforderungen in der Organisation. Im zweiten Schritt gilt es, einzelne Leistungs- und Unterstützungsprozesse genauer zu betrachten. Gerade die Stakeholder-Journeys sind spezielle Prozesse, die sich je nach Unternehmen und Bezugsgruppe unterscheiden. Um mit CommTech erfolgreich zu sein, ist also zum einen die ganzheitliche Betrachtung und der Austausch mit anderen wichtig. Hier helfen auch Initiativen wie die AG CommTech. Zum anderen wird die Einführung von CommTech aber nur gelingen, wenn zusätzlich eine individuelle Reflexion erfolgt und die gewonnenen Erkenntnisse auf das eigene Unternehmen heruntergebrochen werden.

Dieser und weitere Beiträge zum Thema Daten in der PR erscheinen am 3. August im „CommTech Newsletter“ 07. Der Newsletter richtet sich an die Mitglieder der AG CommTech und alle an der Digitalisierung von Kommunikation interessierte Personen. Weitere Informationen über die AG CommTech sowie ein Bestellformular für den Newsletter finden sich hier auf der IMWF-Website.